Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Entschädigung wegen der Folgen einer Hauterkrankung nach Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit iS der 7. BKVO Anl 1 Nr 46.

 

Leitsatz (redaktionell)

RVO § 551 Abs 1 S 3 ist nicht verfassungswidrig.

 

Orientierungssatz

Der Verordnungsgeber hat mit der BKVO 7 Anl 1 Nr 46 nicht die Ermächtigungsgrundlage des RVO § 551 Abs 1 S 3 überschritten, als er nur die schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankungen als Berufskrankheit bezeichnete, "die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben".

 

Normenkette

RVO § 551 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-04-30; BKVO 7 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1968-06-20; RVO § 551 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1963-04-30; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 13.07.1977; Aktenzeichen L 3 U 1162/75)

SG Darmstadt (Entscheidung vom 06.11.1975; Aktenzeichen S 1 U 39/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Juli 1977 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die jetzt 64 Jahre alte Klägerin begehrt von der Beklagten Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen einer beruflich bedingten Hauterkrankung. Sie hat keinen Beruf erlernt und war im Laufe ihres Erwerbslebens als Hausangestellte, Arbeiterin und Reinigungsfrau beschäftigt. Zuletzt arbeitete sie von 1968 bis Ende Oktober 1972 im H-Hospital in B als Stationshilfe; dabei hatte sie Spül- und Putzarbeiten zu verrichten. Während dieser Zeit war sie erstmalig vom 25. Januar bis 21. Februar 1971 wegen eines Kontaktekzems arbeitsunfähig. Weitere Arbeitsunfähigkeiten wegen Hauterkrankungen lagen vom 13. bis 28. April 1971 und vom 4. August bis 19. September 1971 vor. Am 30. Oktober 1972 gab die Klägerin ihre Tätigkeit im Heiligen-Geist-Hospital wegen der Hauterkrankungen auf, nachdem sie deswegen erneut arbeitsunfähig geworden war. Seit dem 1. November 1972 bezieht sie von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und seit dem 17. Februar 1974 (Vollendung des 60. Lebensjahres) Altersruhegeld.

Aufgrund ärztlicher Anzeige und Anzeige des Unternehmens über eine Berufskrankheit vom 2. Dezember 1972/8. Februar 1973 ließ der Landesgewerbearzt im Hessischen Sozialministerium die Klägerin in der Hautklinik der Städtischen Kliniken D untersuchen und begutachten. Prof. Dr. ... und Dr. G kamen im Gutachten vom 15. September 1973 zu dem Ergebnis, daß die Klägerin an einer Dyshidrose beider Hände und einem Abnutzungsekzem leide. Daneben bestehe höchstwahrscheinlich eine Überempfindlichkeit gegen biologische Waschmittelzusätze und verschiedene Desinfektionsmittel. Bei ihrer Beschäftigung als Stationshilfe sei eine ständige Berührung mit Wasser und mit Waschmittelzusätzen unvermeidbar gewesen. Die Erkrankung habe zur Aufgabe dieser Tätigkeit gezwungen. Der Landesgewerbearzt vertrat in seiner Stellungnahme vom 11. Dezember 1973 die Auffassung, daß die Voraussetzungen für eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit gemäß Nr 46 der Anlage 1 zur Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung (7. BKVO) vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) nicht erfüllt seien, da die Klägerin keinen erlernten Beruf aufgegeben habe. Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. Februar 1974 die Gewährung einer Entschädigung ab. Die wiederholt rückfällige Hauterkrankung zwinge die Klägerin nicht zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit.

Das Sozialgericht (SG) Darmstadt hat die Beklagte verurteilt, die bei der Klägerin vorliegende Hauterkrankung nach Nr 46 der Liste der 7. BKVO dem Grunde nach zu entschädigen und dabei von einem am 30. Oktober 1972 eingetretenen Versicherungsfall auszugehen (Urteil vom 6. November 1975). Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt; die Klägerin hat sich der Berufung angeschlossen. Das Landessozialgericht (LSG) hat vom Heiligen-Geist-Hospital Auskunft über die berufliche Tätigkeit der Klägerin und über die Stoffe, mit denen die Klägerin dabei in Berührung gekommen war, eingeholt. Ferner hat es von den Herstellern verschiedener Putz-, Spül- und Desinfektionsmittel Auskünfte über deren chemische Zusammensetzung eingeholt. Auf Ersuchen des Gerichts haben Prof. Dr. ... und Dr. G von der Hautklinik der Städt. Kliniken D ein Gutachten vom 12. April 1977 erstattet. Die Sachverständigen haben darin die Auffassung vertreten, daß bei der Klägerin eine schwere und wiederholt rückfällige Hautkrankheit vorliege. Der Klägerin seien Tätigkeiten verschlossen, bei denen ihre Haut Feuchtigkeit ausgesetzt sei. Sie müsse schmutzige Arbeiten, die eine intensive Handreinigung erforderten und den Kontakt mit Chemikalien, insbesondere Waschmitteln jeder Art, vermeiden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage seit Aufgabe der Tätigkeit 20 vH. Das LSG hat die Beklagte unter Änderung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH seit dem 22. Februar 1971 sowie Verletztengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei der Klägerin bestehe eine beruflich erworbene Hautkrankheit iS der Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO. Zwar habe diese Krankheit die Klägerin nicht zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit gezwungen, denn es gebe eine Vielzahl von Tätigkeiten, bei der die Klägerin die sie schädigenden Stoffe vermeiden könne. Die Beklagte sei aber dennoch zur Entschädigung der Klägerin verpflichtet. Der in Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO enthaltene Zusatz, daß eine Hauterkrankung dann zu entschädigen sei, wenn diese zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen habe, sei nämlich nicht zu beachten. Wie das LSG in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 1. Dezember 1976 (L 3 U 307/72) zur Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO entschieden habe, sei die dortige gleichlautende Anspruchsvoraussetzung weder mit der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch mit dem Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland vereinbar. Die in jenem Urteil angestellten Erwägungen zu Nr 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO träfen auch auf die Nr 46 zu. Das LSG mache sie daher auch zum Gegenstand dieser Entscheidung. Entgegen der Auffassung des SG sei der Versicherungsfall bereits am 25. Januar 1971 eingetreten, so daß die Rente mit Wegfall der ersten Arbeitsunfähigkeit ab 22. Februar 1971 zu gewähren sei. Entgegen der Meinung der Klägerin bedinge die Hauterkrankung jedoch nur eine MdE von 20 vH.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Es werde der Entscheidung des Revisionsgerichts überlassen, ob die Verweisung des LSG im angefochtenen Urteil auf ein Urteil desselben Senats vom 1. Dezember 1976 (L 3 U 307/72), das zwischen anderen Beteiligten ergangen sei, eine ausreichende Begründung im Sinne der Formvorschrift des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG darstelle. Von einer ausdrücklichen Verfahrensrüge werde jedoch abgesehen. Nach den zutreffenden Ausführungen des LSG habe bei der Klägerin ein Zwang zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit iS der Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO nicht festgestellt werden können. Zu Unrecht meine es jedoch, daß die Klägerin Anspruch auf Entschädigung ihrer Hauterkrankung als Berufskrankheit habe, weil der in Nr 46 enthaltene Zusatz, daß eine Hautkrankheit nur dann zu entschädigen sei, wenn sie zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen habe, nicht zu beachten sei. Die Bundesregierung sei durch § 551 Abs 1 RVO ermächtigt, im Verordnungswege zu bestimmen, mit welcher Einschränkung irgendein Leiden als Berufskrankheit angesehen werden dürfe. Daran habe sich gegenüber § 545a Abs 2 RVO aF nichts geändert.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der beiden vorinstanzlichen Entscheidungen die Klage gegen den Bescheid vom 20. Februar 1974 abzuweisen,

hilfsweise,

auf Zurückverweisung an die Vorinstanz zu erkennen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war. Es kann dahinstehen, ob das Urteil des LSG, soweit es sich auf das zwischen anderen Beteiligten ergangene Urteil vom 1. Dezember 1976 (L 3 U 307/72) bezieht, entgegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG teilweise nicht mit Gründen versehen ist und deshalb gemäß § 202 SGG iVm § 551 Nr 7 ZPO aufzuheben und an das LSG zurückzuverweisen ist. Zwar wird beim Fehlen von Entscheidungsgründen unwiderleglich vermutet, daß das Urteil auf dem Mangel beruht, jedoch ist nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rüge des Revisionsklägers zu prüfen, ob das Berufungsurteil im Sinne des § 551 Nr 7 ZPO nicht mit Gründen versehen ist (Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 19. Aufl § 551 Anm II 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 36. Aufl § 551 Anm 1). Die Beklagte hat ausdrücklich erklärt, daß sie eine Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG im Interesse einer Entscheidung des materiell-rechtlichen Problems dieser Streitsache nicht rüge.

Im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung, stimmt der erkennende Senat dem LSG darin zu, daß die Klägerin wegen einer Hauterkrankung im Sinne der Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO Anspruch auf Entschädigung hat.

Nach § 551 Abs 1 RVO gilt als Arbeitsunfall eine Berufskrankheit (Satz 1). Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet (sog Listensystem) und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (Satz 2). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden sind (Satz 3). Diese Vorschrift verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG iVm mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 26. Januar 1978 - 2 RU 27/77 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

Der Senat hat im einzelnen dargelegt, daß im Gegensatz zum Arbeitsunfall, bei dem sich der Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit aufgrund einer individuellen Kausalitätsprüfung ermitteln läßt, Krankheiten, die ein Versicherter erleidet, auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen, die nicht allein im versicherten Bereich vorhanden sind, sondern ihre Ursache auch in der Person des Versicherten oder in den allgemeinen Lebensverhältnissen haben können. Die Frage, ob sich eine Krankheit als Berufskrankheit darstellt, kann daher nur anhand statistisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen festgestellt werden (Entscheidung des Dreier-Ausschusses des BVerfG gemäß § 93a Abs 2 BVerfGG vom 6. Dezember 1977 - BvR 920/77 - unveröffentlicht). "Nur durch eine Fülle gleichgelagerter Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder kann mit der notwendigen Sicherheit darauf geschlossen werden, daß die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt" (BVerfG aaO). Erkrankungen, die ein Versicherter im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, aber nicht wesentlich durch sie mitverursacht, erleidet, werden von dem sozialen Schutzsystem der anderen Zweige der gegliederten Sozialversicherung erfaßt, etwa von der Krankenversicherung oder von einem bestimmten Schweregrad an durch die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Im Rahmen des aus dem Sozialstaatsgebot des Art 20 Abs 1 GG herzuleitenden sozialen Schutzgedankens war der Gesetzgeber daher berechtigt, nur diejenigen Erkrankungen in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung einzubeziehen, bei denen aufgrund der dargelegten Voraussetzungen die versicherte Tätigkeit als wesentlich mitwirkende Ursache der Erkrankung nachgewiesen ist. Hierbei hält sich der Gesetzgeber in dem ihm zugewiesenen Spielraum, wenn er bei bestimmten Krankheitsbildern als Voraussetzung für ihre Aufnahme in eine Liste der Berufskrankheiten zusätzliche Voraussetzungen aufstellt, die der Abgrenzung der Berufskrankheit von nicht wesentlich beruflich mitbedingten Allgemein- und Verschleißkrankheiten dienen.

Die Ermächtigung des Verordnungsgebers in § 551 Abs 1 Satz 3 RVO hält sich auch innerhalb der dem Gesetzgeber durch Art 80 Abs 1 gezogenen Grenzen. Inhalt, Zweck und Ausmaß einer nach § 551 Abs 1 Satz 3 zu erlassenden Verordnung sind hinreichend bestimmt, wenn das Gesetz die Grenzen der auf seiner Grundlage möglichen Regelung deutlich macht (BVerfGE 8, 274, 307; 35, 179, 183; 36, 224, 228). Für den bestimmten Regelungsbereich muß vorhersehbar sein, in welcher Art von Fällen und mit welcher Zielrichtung von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden darf (vgl. BVerfGE 1, 14, 60; 19, 354, 361; 24, 1, 19).

In der Ermächtigung des § 551 Abs 1 Satz 3 RVO, die durch das UVNG eine dem Art 80 Abs 1 GG entsprechende Konkretisierung erfahren hat (vgl Linthe BG 1963 Sonderheft S. 9 zu § 551 Abs 1), ist dem Verordnungsgeber im einzelnen vorgeschrieben, unter welchen Voraussetzungen er eine Krankheit als Berufskrankheit zu bezeichnen hat. Der Inhalt der Ermächtigung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Es sind die Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, wobei die Berufskrankheiten auf bestimmte Unternehmen beschränkt werden können. Zweck der Ermächtigung ist es, diejenigen Krankheiten dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherungen zu unterstellen, die wesentlich durch die versicherte Tätigkeit mitverursacht sind und daher vom Schutzgedanken der sozialen Unfallversicherung her (vgl dazu BVerfG, JZ 1977 S. 751f) den Arbeitsunfällen gleichwertig sind. Daraus folgt auch die Begrenzung des Ausmaßes der Ermächtigung. Der Verordnungsgeber ist verpflichtet, beim Vorliegen der in § 551 Abs 1 Satz 3 RVO aufgeführten Voraussetzungen die Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen (BSG-Urteil vom 23. Juni 1977 - 2 RU 53/76).

Der Verordnungsgeber hat mit der Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO nicht die Ermächtigungsgrundlage des § 551 Abs 1 Satz 3 RVO überschritten, als er nur die schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankungen als Berufskrankheit bezeichnete, "die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben".

Der erkennende Senat hat die Rechtmäßigkeit der 7. BKVO, bei der es sich um eine Rechtsverordnung handelt, in eigener Zuständigkeit zu prüfen (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juni 1977 - 2 RU 53/76 mwN). Das tätigkeitsbezogene Merkmal des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit in Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO entspricht den oben aufgezeigten Zielen des § 551 RVO. Das ergibt sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte des einschränkenden Tatbestandsmerkmals. Das Merkmal findet sich mit vergleichbarem Inhalt zum ersten Mal in der Nr 15 der 3. BKVO über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 16. Dezember 1936 (RGBl I 1117). Danach waren als Berufskrankheiten "schwere oder wiederholt rückfällige berufliche Hauterkrankungen, die zum Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit zwingen", anzusehen. Durch diese Formulierung wurde eine Einschränkung gegenüber der Erfassung der Hautkrankheiten in den Nrn 11, 12, 13 der Anlage zur 2. BKVO vom 11. Februar 1929 (RGBl I 27), nach denen chronisch und chronisch-rezidivierende Hauterkrankungen, die durch im einzelnen aufgeführte Stoffe hervorgerufen wurden, zu entschädigen waren, vorgenommen. Die Einschränkung war ua deshalb notwendig geworden, weil es nicht angezeigt erschien, jede Hauterkrankung dem Versicherungsschutz zu unterstellen (vgl Amtl Begr. zur 3. BKVO in AN 1936 S. 358 Nr 15; abgedr. auch bei Bauer/Engel/Koelsch/Krohn/Lauterbach, 3. Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 16. Dezember 1936, Arbeit und Gesundheit, Heft 29, 1937, S. 13). Geringfügige und schnell vorübergehende Erkrankungen der Haut sollten nicht als Berufskrankheit entschädigt werden (Bauer ua aaO, S. 10 unter c). Nur die Hauterkrankungen, die nach Verlauf und Dauer als chronisch zu bezeichnen waren (aaO, S. 13), wurden danach von Nr 15 der Anlage 3. BKVO erfaßt (vgl auch Koelsch, in Bauer ua, aa/, S. 331). Durch die 6. BKVO ist bei Hauterkrankungen das Tatbestandsmerkmal des Berufswechsels oder der Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit dahingehend geändert worden, daß nur die Hauterkrankungen als Berufskrankheit im Sinne der BKVO anzusehen waren, "die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben". Das war nach der amtlichen Begründung (BR-Drucks 115/61, S. 8 zu Nr 46) notwendig, weil die frühere Fassung insbesondere dann zu unbilligen Ergebnissen führte, wenn der Erkrankte seinen Beruf zwar aufgegeben, aber nur eine Tätigkeit aufgenommen hatte, die keinen Beruf darstellte. Eine Entschädigung war in diesen Fällen nach der früheren Fassung nicht möglich. Die Voraussetzung der Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit ist auch bei zwei weiteren Berufskrankheiten der 6. BKVO als zusätzliche Voraussetzung des Versicherungsfalles aufgestellt worden. Es handelt sich um das neu in die 6. BKVO aufgenommene Bronchialasthma (Nr 41 der Anlage) und um die Erkrankungen der Sehnenscheiden, des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze (Nr 43 der Anlage). In der amtlichen Begründung ist dazu bei der Nr 41 angeführt worden (aaO, S. 7 zu Nr 41): "Da besonders bei dieser Erkrankung die Gefahr einer nicht mehr zu beherrschenden Ausweitung besteht, mußte eine Einschränkung in der Weise vorgenommen werden, daß nur diejenigen Erkrankungen als Berufskrankheiten anzuerkennen sind, die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder Aufgabe jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben." In der amtlichen Begründung zu Nr 43 heißt es (aaO, S. 7 zu Nr 43): "Die Nummer lehnt sich an die bisherige Nr 22 an, mußte aber nach den inzwischen gewonnenen praktischen Erfahrungen wesentlich anders als diese gefaßt werden. Bei der Durchführung der Verordnung in der bisherigen Fassung hat sich gezeigt, daß zwar die ärztlichen Anzeigen sehr zahlreich sind, daß aber eine Entschädigungspflicht in nur sehr wenigen Fällen anerkannt werden konnte. Hieraus ergibt sich, daß die weitaus meisten Erkrankungen dieser Art durch ärztliche Behandlung günstig zu beeinflussen sind und ohne bleibenden Schaden abklingen. Dieser Tatsache will die neue Fassung dadurch Rechnung tragen, daß sie die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit nur in den Fällen zuläßt, in denen die berufliche Beschäftigung oder jede Erwerbsarbeit infolge Erkrankung aufgegeben worden ist." Entsprechend dem Grundgedanken der amtlichen Begründung zu Nr 41 und Nr 43 der Anlage zur 6. BKVO, die insoweit an die amtliche Begründung zu der Nr 15 der 3. BKVO anschließt, sollen durch die vorgenommene Einschränkung nur die leichteren Fälle der beruflich bedingten Gesundheitsstörungen bei diesen Krankheiten aus dem Schutz der Unfallversicherung herausgenommen werden. Zu entschädigen sind somit diejenigen Erkrankungen, die zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit führen oder eine Änderung der Berufstätigkeit oder der Lohnverhältnisse zur Folge haben (vgl Michaelis, SozSich 1957, S. 327, 328). Das sind bei den angeführten Krankheiten der Nr 41, 43, 46 regelmäßig die schweren Fälle der Erkrankungen, die dadurch als schwer gekennzeichnet sind, daß sie zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit infolge der Erkrankung gezwungen haben (in diesem Sinne auch Linthe, BKK 1961, Sp. 249, 253, der zu Nr 43 und 46 ausführt, daß durch die Aufgabe der beruflichen Beschäftigung die Schwere einer Erkrankung charakterisiert bzw unterstrichen werde).

Das Merkmal des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit ist als zusätzliche Voraussetzung der Berufskrankheit Bronchialasthma unverändert in die Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO übernommen werden. Durch das einschränkende Tatbestandsmerkmal wird in typisierender Betrachtung der Schweregrad der Krankheit beschrieben. Daneben hat das Tatbestandsmerkmal den weiteren Zweck, ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigungsleistung zu verhüten (BSGE 10, 286, 290). Der Versicherungsträger kann regelmäßig nur in den Fällen zur Entschädigung verpflichtet sein, in denen bei einem Erkrankungsfall die medizinisch notwendige Aufgabe des Arbeitsplatzes vom Versicherten auch vorgenommen worden ist.

Die einschränkende Voraussetzung in der Nr 46 darf aber nicht dazu führen, in den Fällen die Entschädigung zu versagen, in denen sich der Schweregrad der Hauterkrankung in einer unfallrechtlich relevanten MdE von 20 vH ausdrückt, der Versicherte seine berufliche Beschäftigung bzw seine Erwerbsarbeit aber in einem anderen ihn nicht gefährdenden Bereich ausübt oder ausüben könnte. Hat der Versicherte durch die im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit entstandene Hauterkrankung eine gesundheitliche Beeinträchtigung erfahren, so ist auch hier der Maßstab für die Bemessung der durch die Berufskrankheit bedingten MdE grundsätzlich die Einbuße der Erwerbsfähigkeit auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung - vgl dazu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Aufl, S 566y II ff mwN). Ergibt sich dabei eine MdE von 20 vH und ist aus medizinischen Gründen die Aufgabe der beruflichen Beschäftigung bzw jeder Erwerbsarbeit nicht geboten, so ist der Versicherte nach der Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO zu entschädigen, da insoweit auch die durch die Einschränkung in Nr 46 geforderten Voraussetzungen der Schwere der Erkrankung und der medizinisch notwendigen Herausnahme aus der gefährdenden Tätigkeit erfüllt sind.

Der für den Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung maßgebende Versicherungsfall ist am 30. Oktober 1972 eingetreten; dieser Tag ist der "Zeitpunkt des Arbeitsunfalls". Nach § 551 Abs 3 RVO gelten für die Berufskrankheiten die für Arbeitsunfälle maßgebenden Vorschriften entsprechend. Als Zeitpunkt des Arbeitsunfalls gilt der Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung, oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der MdE. Für bestimmte Berufskrankheiten, zu denen insbesondere auch die Hauterkrankungen gehören, hat schon das Reichsversicherungsamt eine von dem dargelegten Grundsatz abweichende Auffassung vertreten. Handelt es sich nämlich um Krankheiten, bei denen die Entschädigungspflicht aufgrund der BKVO noch an besondere Voraussetzungen geknüpft ist, so kann der Versicherungsfall grundsätzlich nicht eher gegeben sein, bis sämtliche in der BKVO aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl EuM 43, 100, 102; 49, 28; AN 1942, 204). Dieser Auffassung hat der erkennende Senat bereits früher zugestimmt (vgl SozR Nr 4 zu § 551 RVO); er hält auch jetzt daran fest. In der hier zu entscheidenden Sache ist der Versicherungsfall frühestens in dem Zeitpunkt eingetreten, in dem die wegen der Hauterkrankung notwendige Aufgabe der Erwerbsarbeit von der Klägerin verwirklicht worden ist. Dies ist erst am 30. Oktober 1972 geschehen, als die Klägerin wegen der Hauterkrankung erneut arbeitsunfähig wurde und endgültig aus dem Erwerbsleben ausschied.

Nach Eintritt des Versicherungsfalles am 30. Oktober 1972 kamen für die Klägerin als Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ua Verletztengeld und Verletztenrente in Betracht (§ 547 RVO). Der Anspruch auf Verletztengeld (§§ 560 bis 562 RVO idF des UVNG - RVO aF) ist jedoch insoweit nicht gegeben, als die Klägerin von der zuständigen Krankenkasse Leistungen nach den Vorschriften der Krankenversicherung (Krankengeld) erhalten hat (§ 565 RVO aF). Dem angefochtenen Urteil kann nicht entnommen werden, daß und wie lange die Klägerin nach dem 30. Oktober 1972 wegen der Hauterkrankung arbeitsunfähig war und Leistungen von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung bezogen hat. An tatsächlichen Feststellungen mangelt es dem angefochtenen Urteil auch bezüglich der Voraussetzungen für den Beginn der Verletztenrente wegen der Hauterkrankung gemäß § 580 RVO aF. Hinsichtlich des für die Höhe der Verletztenrente maßgebenden Grades der MdE infolge der Berufskrankheit (§ 581 Abs 1 Nr 2 RVO) ist das LSG zu der von der Beklagten nicht angefochtenen Feststellung gelangt, daß die Klägerin durch die Hauterkrankung noch bei der letzten Untersuchung im März 1977 (vgl Gutachten Prof. Dr. L und Dr. G vom 12. April 1977) um 20 vH in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert war.

Da das Revisionsgericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655108

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