Leitsatz (amtlich)

1. Eine berufliche Hauterkrankung (3. BKVO Anl Nr 19 Fassung: 1952-07-26) ist auch dann als schwer anzusehen, wenn sie zwar in einer medizinisch nicht schweren Erscheinungsform verlaufen ist, jedoch längere Zeit ununterbrochen bestanden hat (Anschluß an RVA in EuM, 47, 113).

2. Der Entschädigungsanspruch wegen einer zum Wechsel des Berufs zwingenden schweren oder wiederholt rückfälligen beruflichen Hauterkrankung ( 3. BKVO Anl Nr 19 Fassung: 1952-07-26) setzt voraus, daß der Erkrankte den Beruf tatsächlich aufgegeben hat, es sei denn, daß triftige Gründe ihn nötigen, in diesem Beruf einstweilen weiterzuarbeiten; solche Gründe können vor allem in der sozialen oder wirtschaftlichen Lage des Erkrankten, im Verhalten des Versicherungsträgers (zB Unterlassung der in 3. BKVO § 5 3. Abs 1 vorgesehenen Maßnahmen) oder in unabweisbaren Erfordernissen des Unternehmens gegeben sein.

 

Normenkette

BKVO 3 Anl 1 Nr. 19 Fassung: 1952-07-26; BKVO 5

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Oktober 1957 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der 1892 geborene Kläger war von 1925 bis 1942 in seinem erlernten Beruf als Maler tätig. In den folgenden acht Jahren war er berufsfremd beschäftigt. Am 11. Oktober 1950 wurde er als Maler bei der amerikanischen Militärverwaltung H angestellt. Während dieser Beschäftigung, die beim Beklagten unfallversichert war, erkrankte der Kläger am 21. Oktober 1950 an einem Ekzem, welches vor allem beide Hände und das Gesicht befiel. Der Hautfacharzt Dr. W und die Universitäts-Hautklinik H erstatteten dem Beklagten ärztliche Anzeigen über eine Berufskrankheit (BK.), in denen das Auftreten des Ekzems auf den beruflichen Umgang des Klägers mit Terpentinersatz zurückgeführt wurde; auf ähnliche Erkrankungen, die der Kläger vor Jahren während seiner Malertätigkeit durchgemacht hatte, wurde hingewiesen. Die Universitäts-Hautklinik H, wo der Kläger vom 23. November bis zum 22. Dezember 1950 und vom 2. März bis zum 9. April 1951 stationär behandelt wurde, führte im Gutachten vom 17. April 1951 aus, der Kläger sei während der durch Terpentinersatz hervorgerufenen Dermatitis bis zum 22. Dezember 1950 arbeitsunfähig gewesen; an diesem Tage sei er als geheilt aus der Klinik entlassen worden; die wenige Tage danach wieder aufgetretene Hauterkrankung sei nicht auf eine schädigende Einwirkung im Malerberuf zurückzuführen. Der Gewerbearzt schloß sich dieser Stellungnahme an. Der Beklagte, an den sich der Kläger inzwischen mit der Bitte um Hilfe unter Hinweis auf seine durch den Verlust der Arbeitsstelle entstandene bedrängte Lage gewandt hatte, erteilte dem Kläger am 26. Oktober 1951 einen Bescheid, mit dem die Gewährung einer Entschädigung abgelehnt wurde, weil keine BK. nach Nr. 15 der Anlage zur 3. Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf BK.en (3. BKVO) vom 16. Dezember 1936 vorliege.

Der Kläger legte hiergegen Berufung ein. Im Juli 1952, während der Beschäftigung in einem bei der Südwestlichen Bau-Berufsgenossenschaft versicherten Malergeschäft, erkrankte er erneut an einem Ekzem, ein weiterer Rückfall trat im Mai 1954 ein.

In einem dem Oberversicherungsamt K am 21. Juli 1952 erstatteten Gutachten führte Dr. W aus, er habe nach Abschluß der klinischen Behandlung den Kläger in der Zeit vom 13. April bis zum 27. August 1951 ambulant behandelt. Die in dieser Zeit vorgenommenen Hauttestungen und der zeitliche Zusammenhang sprächen dafür, daß es sich - entgegen der Annahme der Universitäts-Hautklinik - bei dem Krankheitsschub des Jahres 1951 um ein Wiederaufflackern des im Dezember 1950 doch nicht völlig abgeheilten Terpentinekzems gehandelt habe; das Hautleiden des Klägers sei schwer und mit einer beträchtlichen Störung des Allgemeinbefindens verbunden gewesen; unter Berücksichtigung einer früheren Hauterkrankung im Jahre 1939 habe es sich 1950/1951 um den ersten Rückfall gehandelt; Berufswechsel erscheine angezeigt. Der Gewerbearzt vertrat im September 1952 die Ansicht, mit dem inzwischen im Juli 1952 erneut aufgetretenen Rückfall des Hautleidens seien die Entschädigungsvoraussetzungen - wiederholte Rückfälligkeit, objektiver Zwang zum Berufswechsel - gegeben. Diese Auffassung wurde von Prof. Dr. St (Universitäts-Hautklinik F) in seinem am 4. Mai 1953 erstatteten Gutachten im wesentlichen bestätigt.

Das Sozialgericht Mannheim (SG.), auf welches das Klageverfahren überging, hat die Südwestliche Bau-Berufsgenossenschaft beigeladen. Durch Urteil vom 12. Oktober 1955 hat es die Klage gegen den Beklagten abgewiesen, dagegen die Beigeladene verurteilt, die beim Kläger am 19. Juli 1952 eingetretene Erkrankung als BK. gemäß Nr. 19 der Anlage zur 5. Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 26. Juli 1952 anzuerkennen und zu entschädigen. Das SG. hat die 1939 aufgetretene Hautkrankheit des Klägers als Ersterkrankung, diejenige von 1950/1951 als ersten Rückfall und den im Juli 1952 eingetretenen neuerlichen Krankheitsschub als zweiten Rückfall angesehen; hinsichtlich der weiteren Voraussetzung des Berufswechsels hat es für ausreichend erachtet, daß der Kläger in der Zeit von Juli 1952 bis Mai 1954 jegliche Erwerbstätigkeit aufgab; die Wiederaufnahme des Malerberufs im Mai 1954 dürfe dem damals 62 Jahre alten Kläger nicht zum Nachteil gereichen.

Auf die Berufung der Beigeladenen und die Anschlußberufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG.) durch Urteil vom 24. Oktober 1957 (veröffentlicht in Breithaupt 1958 S. 833) unter Änderung der vorinstanzlichen Entscheidung den Beklagten verurteilt, die am 21. Oktober 1950 aufgetretene Hauterkrankung des Klägers als BK. zu entschädigen. Das LSG. hat es dahingestellt gelassen, wann die Hauterkrankung beim Kläger erstmals in Erscheinung getreten und wie oft sie seitdem rückfällig geworden ist. Hierauf komme es nicht an, denn bei der Erkrankung vom 21. Oktober 1950 habe es sich, wie aus dem Bericht des Dr. W vom 21. Juni 1952 hervorgehe, um eine schwere Hauterkrankung mit beträchtlicher Störung des Allgemeinbefindens gehandelt. Selbst wenn aber - wofür das Gutachten der Universitäts-Hautklinik H vom 17. April 1951 zu sprechen scheine - schwere Krankheitserscheinungen im medizinischen Sinne damals nicht bestanden haben sollten, müsse doch die zehnmonatige Dauer des erst am 27. August 1951 abgeschlossenen Krankheitsschubes für sich allein schon genügen, um eine schwerere Hauterkrankung des Klägers anzunehmen. - Auch die zweite gesetzliche Voraussetzung, daß die schwere berufliche Hauterkrankung zum Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit zwinge, sei beim Kläger zu bejahen. Zwar habe der Kläger sich erst durch die schriftliche Erklärung vom 24. Oktober 1955 der Beigeladenen gegenüber verpflichtet, seinen Beruf als Maler aufzugeben; diesem Vorgang komme für die hier streitige Hauterkrankung von 1950/1951 keine Bedeutung zu. Ein Zwang zum Wechsel des Berufs habe für den Kläger jedoch bereits bei der Erkrankung vom 21. Oktober 1950 bestanden. Die Frage, ob und wann eine schwere Hauterkrankung zum Berufswechsel zwinge, sei nach objektiven Merkmalen zu beurteilen. Nach dem Wortlaut der Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO sei es nicht erforderlich, daß der bisherige Beruf tatsächlich aufgegeben und eine andere Berufstätigkeit aufgenommen worden sei. Diese Erfordernisse würden praktisch dahin führen, daß für Versicherte, die wegen ihres höheren Lebensalters einen Berufswechsel nicht mehr verwirklichen könnten, ein Entschädigungsanspruch niemals entstünde. Unter Berücksichtigung des gesamten Krankheitsbildes, der später eingetretenen Rückfälle und der Ausführungen des Dr. W des Prof. Dr. St sowie des Gewerbearztes sei anzunehmen, daß für den Kläger bereits 1950 objektiv ein Zwang zum Berufswechsel bestanden habe. Das Gutachten der Universitäts-Hautklinik H vom 17. April 1951 stehe dieser Annahme nicht entgegen, da diese Gutachter nicht über ausreichende Unterlagen zum früheren Krankheitsverlauf verfügten; außerdem seien sie - wie sich später erwiesen habe - zu Unrecht davon ausgegangen, daß die stationäre Behandlung vom 2. März 1951 an nicht mehr mit dem Terpentinekzem zusammenhing. Daß der Kläger den Beruf nicht schon 1950/1951 aufgegeben habe, sei nicht zuletzt dem Beklagten zuzuschreiben; es könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, daß der Beklagte seinerzeit seinen Verpflichtungen gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. b BKVO nicht nachgekommen sei. - Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 10. Dezember 1957 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 6. Januar 1958 Revision eingelegt und diese zugleich begründet: Das LSG. habe zu Unrecht angenommen, daß das am 21. Oktober 1950 aufgetretene Terpentinekzem eine schwere Hauterkrankung gewesen sei, und es habe die gesetzliche Voraussetzung des Berufswechsels verkannt. Nach dem Gutachten der Universitäts-Hautklinik H vom 17. April 1951 sei die berufliche Hauterkrankung am 22. Dezember 1950 ausgeheilt gewesen. In Rechtsprechung und Schrifttum sei anerkannt, daß ein Entschädigungsanspruch erst nach vollendetem Berufswechsel bestehe; dem Kläger sei auch trotz seines Alters die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit ohne weiteres zuzumuten gewesen. Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie pflichten den Ausführungen des LSG. bei. Der Kläger macht insbesondere geltend, ein Versicherungsträger, der seinen Verpflichtungen aus § 5 Abs. 1 Buchst. b BKVO nicht entsprochen habe, könne sich nach Treu und Glauben nicht darauf berufen, daß den Versicherte das gesetzliche Tatbestandsmerkmal der Aufgabe des gefährdenden Berufs noch nicht verwirklicht habe.

II

Die Revision ist statthaft durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist formgerecht und - entgegen der Vermutung der Beigeladenen - auch innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt und begründet worden, demnach zulässig (§ 164 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.

Ist der Versicherungsfall, wie das LSG. angenommen hat, am 21. Oktober 1950 eingetreten, so richtet sich der Entschädigungsanspruch des Klägers nicht nach der vom LSG. angeführten Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO, sondern nach Nr. 15 der Anlage zur 3. BKVO in der Fassung der 4. BKVO vom 29. Januar 1943; dies ist indessen wegen des übereinstimmenden Wortlautes der beiden Vorschriften für die rechtliche Beurteilung unerheblich.

Von den in Nr. 15 der Anlage zur 3. BKVO wahlweise aufgeführten Tatbestandsmerkmalen "schwere oder wiederholt rückfällige berufliche Hauterkrankungen" hat das LSG. nur die 1. Alternative berücksichtigt. Da im Laufe des Verfahrens die vor 1950 vom Kläger durchgemachten Ekzemerkrankungen nicht zweifelsfrei zu ermitteln gewesen sind, hat es das LSG. dahingestellt gelassen, wann erstmals eine berufliche Hauterkrankung beim Kläger auftrat und wie oft sie etwa schon bis 1950 rückfällig wurde. Nach Auffassung des LSG. war jedenfalls das am 21. Oktober 1950 aufgetretene Terpentinekzem eine schwere berufliche Hauterkrankung, und zwar - im Hinblick auf die lange Behandlungsdauer von zehn Monaten - selbst dann, wenn sich dabei schwere Krankheitserscheinungen im medizinischen Sinne nicht gezeigt haben sollten.

Das Vorbringen der Revision, die unter Hinweis auf das Gutachten der Universitäts-Hautklinik H vom 17. April 1951 behauptet, die berufliche Hauterkrankung des Klägers sei schon nach der ersten einmonatigen stationären Behandlung am 22. Dezember 1950 abgeschlossen gewesen, scheitert an der Bindung des Revisionsgerichts an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG). Gegen die Feststellung des LSG., die Hauterkrankung habe vom 21. Oktober 1950 bis zum 27. August 1951 gedauert, hat der Beklagte wirksame Verfahrensrügen (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) nicht vorgetragen, insbesondere hat er nicht dargelegt, das LSG. habe bei der Auswertung der ärztlichen Gutachten die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten (§ 128 SGG, vgl. BSG. 2 S. 236). Im übrigen hat der Beklagte übersehen, daß die Universitäts-Hautklinik H ihren im Gutachten vom 17. April 1951 eingenommenen Standpunkt später in dem auf Veranlassung der Beigeladenen erstatteten Gutachten vom 19. März 1956 erheblich modifiziert und nunmehr offenbar in der 1950/1951 verlaufenen Hauterkrankung einen zusammenhängenden Krankheitsschub erblickt hat.

Rechtlich ist dem vom LSG. vertretenen Standpunkt nach Auffassung des Senats beizupflichten. Wäre eine "schwere" Hauterkrankung im Sinne der Nr. 15 der Anlage zur 3. BKVO nur beim Vorhandensein schwerer klinischer Symptome anzuerkennen, so ergäbe sich daraus eine dem Sinne des Gesetzes widersprechende Benachteiligung derjenigen beruflich Hauterkrankten, deren Krankheit ununterbrochen längere Zeit in einer medizinisch nicht schweren Erscheinungsform verlaufen ist, im Vergleich zu denjenigen, deren Hauterkrankung ebenso lange und in derselben Erscheinungsform, aber mit mehrfachen Intervallen der Ausheilung bestanden hat; die letzteren, von der beruflichen Hauterkrankung weniger nachhaltig betroffenen Versicherten könnten dann nämlich einen Entschädigungsanspruch aus dem Begriffsmerkmal des "wiederholten Rückfalles" der Krankheit herleiten, während der erstgenannten, in ihrer Erwerbsfähigkeit stärker beeinträchtigten Gruppe ein solcher Anspruch versagt bliebe. Dieses Ergebnis kann nicht gebilligt werden. Nach Ansicht des Senats ist deshalb eine berufliche Hauterkrankung auch dann als "schwer" anzusehen, wenn sie zwar in einer medizinisch nicht schweren Erscheinungsform verlaufen ist, jedoch längere Zeit ununterbrochen bestanden hat (ebenso HVA. EuM. Bd. 47 S. 113; LSG. Celle, Breithaupt 1954 S. 910; LSG. Hamburg, ZfS. 1958 S. 236 Nr. 62; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 6. Aufl., S. 490 i; Schulte-Holthausen, BG. 1939 S. 285 (286); Podzun, WzS. 1954 S. 313 (314)). Die vom LSG. festgestellte Krankheitsdauer von 10 Monaten rechtfertigt es nach Meinung des Senats, unter diesem Gesichtspunkt das Vorliegen einer schweren beruflichen Hauterkrankung anzunehmen.

Ein Entschädigungsanspruch für den Kläger ist allerdings nicht schon hiermit gegeben. Vielmehr bedarf es noch der Erfüllung der weiteren gesetzlichen Voraussetzung, daß diese schwere berufliche Hauterkrankung "zum Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit zwingt." Bei der Beurteilung der streitigen Hauterkrankung vom 21. Oktober 1950 hat das LSG. sich auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob beim Kläger ein Zwang zum Wechsel des Berufs anzunehmen war, die 2. gesetzliche Alternative hat es nach Lage des Falles mit Recht nicht in Betracht gezogen. Einen Zwang zum Wechsel des Berufs hat das LSG. hinsichtlich der Hauterkrankung des Klägers vom 21. Oktober 1950 bejaht mit Erwägungen, denen der erkennende Senat freilich nur im Ergebnis beipflichten konnte.

Das LSG. glaubt aus dem Wortlaut der Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO (bzw. Nr. 15 der Anlage zur 3./4. BKVO) folgern zu können, das Begriffsmerkmal des "Zwanges zum Berufswechsel" erfordere weder die Aufgabe des bisherigen noch die Aufnahme eines anderen Berufs, vielmehr genüge allein die objektiv bestehende Notwendigkeit hierzu, wie sie dem Betrachter bei Kenntnis und Berücksichtigung aller Umstände des Falles sich darstelle; das Verhalten und die subjektive Einstellung des Versicherten wird demnach hierbei außer Acht gelassen. Dieser Auslegung steht zwar der Gesetzeswortlaut nicht unbedingt entgegen, insbesondere da hierin nicht die Vergangenheitsform "gezwungen haben", sondern die Gegenwartsform "zwingen" verwendet wird. Demgegenüber weist indessen die herrschende Lehre (Schulte-Holthausen, a. a. O., S. 288; Podzun, a. a. O., S. 316; Noeske, BG. 1958 S. 203 (205); LSG. Celle, Breithaupt 1955 S. 1155; LSG. Nordrhein-Westfalen, BG. 1955 S. 225; vgl. auch Wander in ZfS. 1959 S. 113) nach Meinung des Senats mit Recht darauf hin, daß eine solche weite Auslegung dem Zweck der BKVO zuwiderliefe. Denn sie würde es ermöglichen, daß ein Versicherter wegen einer schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankung Rente bezieht, trotzdem aber aus freiem Belieben in dem gefährdenden Beruf weiter tätig bleibt mit der Aussicht auf weitere Verschlimmerungen des Hautleidens, die unvermeidlich zu Erhöhungen der Rentenleistungen führen müssen. Dieses Ergebnis kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Ob der Versicherungsträger in der Lage wäre, solchen Konsequenzen wirksam zu begegnen - etwa mit Hilfe entsprechender Anwendung des § 606 der Reichsversicherungsordnung -, könnte immerhin fraglich erscheinen. Deshalb muß nach Auffassung des Senats grundsätzlich verlangt werden, daß aus dem objektiv gegebenen Zwang zum Berufswechsel der Versicherte auch seinerseits die Folgerungen gezogen und den ersten Teil des Berufswechsels, nämlich die Aufgabe des bisherigen Berufs, verwirklicht hat; die Aufnahme eines anderen Berufs wird allerdings in der Regel nicht zu fordern sein (Brackmann a. a. O., S. 490 l; Schulte-Holthausen und Noeske a. a. O.). Der Entschädigungsanspruch wegen einer zum Wechsel des Berufs zwingenden schweren oder wiederholt rückfälligen beruflichen Hauterkrankung setzt demnach grundsätzlich voraus, daß der Erkrankte den hautschädigenden Beruf tatsächlich aufgegeben hat.

Diese Voraussetzung hat der Kläger an sich erst im Jahre 1955 erfüllt. Das LSG. hat ihm aber trotzdem mit Recht einen Entschädigungsanspruch gegen den Beklagten wegen der Hauterkrankung vom 21. Oktober 1950 zuerkannt. Es hat zutreffend dargelegt, daß die besonderen Umstände des vorliegenden Falles das Erfordernis eines vom Kläger bereits vollzogenen Berufswechsels als überspannt erscheinen lassen. Dabei hat das LSG. insbesondere hervorgehoben, daß dem Kläger in Anbetracht seines Lebensalters ein Versuch, aus eigener Initiative den bisherigen Beruf aufzugeben, wegen des erheblichen Risikos der Arbeitslosigkeit mit den nachteiligen Auswirkungen auf den Unterhalt seiner Familie schwerlich zuzumuten war; ferner hat es auf das passive Verhalten des Beklagten hingewiesen, der in der fraglichen Zeit, obwohl vom Kläger um Unterstützung gebeten, jegliches durch § 5 Abs. 1 Buchst. b BKVO gebotene Eingreifen unterlassen hat. Diese von der Revision zwar angezweifelten, aber nach Ansicht des Senats nicht überzeugend widerlegten Erwägungen des LSG. lassen erkennen, daß den Kläger triftige Gründe genötigt hatten, trotz des seit Oktober 1950 gegebenen Zwangs zum Berufswechsel einstweilen den Malerberuf weiter auszuüben. Beim Vorliegen solcher triftigen Gründe - sie können vor allem auf der sozialen oder wirtschaftlichen Lage des Erkrankten, dem Verhalten des Versicherungsträgers oder auch auf unabweisbaren Erfordernissen des Unternehmens beruhen - kann aber das oben dargestellte Erfordernis des vom Versicherten tatsächlich vollzogenen Berufswechsels nicht gelten, da sich sonst eine Überforderung des Versicherten ergeben würde. Der Entschädigungsanspruch des Klägers wegen der im Oktober 1950 aufgetretenen BK. ist somit begründet.

Mit Recht hat schließlich das LSG. nicht die Beigeladene, sondern den Beklagten zur Entschädigung der BK. des Klägers verurteilt. Denn der Versicherungsfall ist bei der Beschäftigung des Klägers in einem beim Beklagten versicherten Unternehmen eingetreten. Die späteren Rückfälle des Terpentinekzems, die durch Beschäftigungen des Klägers in bei der Beigeladenen versicherten Unternehmen ausgelöst wurden, haben an der Entschädigungspflicht des Beklagten nichts mehr geändert (vgl. Schulte-Holthausen, BG. 1939, S. 304/305).

Die Revision war hiernach zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 286

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