Leitsatz (amtlich)
1. Aufwendungen für die Anschaffung und Instandhaltung nicht typischer Berufskleidung sind Kosten der privaten Lebenshaltung. Nur wenn eindeutig feststeht, daß die Ausübung des Berufs einen besonders hohen Verschleiß dieser Kleidung mit sich bringt, kann der ausschließlich beruflich bedingte Anteil als Werbungskosten anerkannt werden.
2. Eine berufsbedingte 12 Stunden überschreitende Abwesenheit von der Wohnung an nur 54 Tagen im Jahr ist nicht "regelmäßig".
Normenkette
EStG §§ 9, 12 Nr. 1; LStDV § 20
Tatbestand
Berichtigung: Der Leitsatz des im Bundessteuerblatt 1970 Teil II S. 7 abgedruckten Urteils vom 26. Juni 1969 VI R 125/68 wird durch die folgenden Nrn. 3 und 4 ergänzt:
3. Enthält das Urteil des FG eine Rechtsmittelbelehrung u. a. des Inhalts, daß die Zustellung des die Rv zulassenden Beschlusses für den Beginn der Rv-Frist maßgebend sei, so bedarf der die Rv zulassende Beschluß keiner erneuten Rechtsmittelbelehrung.
4. Hat der Beteiligte die versäumte Rechtshandlung nicht innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO nachgeholt, kann ihm, auch wenn er die Frist unverschuldet versäumt hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
FGO §§ 56, 115.
Der Kläger, von Beruf Kellner, machte im Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1965 neben Mehraufwendungen für Verpflegung folgende Ausgaben als Werbungskosten geltend:
Anschaffungen: 1 Zahltasche 8,90 DM
3 Krawatten 8,85 DM
1 Kellnerhose 42,50 DM
Reparaturen: 2 Paar Schuhe 29,90 DM
1 Zahltasche 4,50 DM
Reinigung: 1 Hose 14,20 DM
8 Hemden 63,90 DM
88 Leihjacken 114,40 DM
Schreibmaterial 6,50 DM
293,65 DM
Das FA erkannte als Aufwendungen für Arbeitsmittel nur 180 DM an. Diesen Betrag schätzte das FA, weil der Kläger einen Nachweis über einen höheren Betrag nicht erbracht hatte. Bei dieser Schätzung blieb das FA auch in seiner Einspruchsentscheidung, wobei es die übrigen Aufwendungen als für bürgerliche Kleidung ausgegeben ansah. Die geltend gemachten Mehraufwendungen für Verpflegung wurden nicht anerkannt, weil der Kläger trotz Aufforderung keine entsprechende Bescheinigung des Arbeitgebers beigebracht habe.
Das FG erkannte nicht nur die Kosten für Anschaffung, Reparatur und Reinigung typischer Berufskleidung und Schreibmaterial (im vorgelegten Fall 176,80 DM) in Höhe der finanzamtlichen Schätzung von 180 DM als Werbungskosten an. In der Erwägung, daß Kellner grundsätzlich einen erhöhten Verschleiß an Kleidung hätten, die beruflich und privat genutzt werde, setzte es vielmehr 240 DM als Werbungskosten an, indem es unter Berücksichtigung der teilweise merklich höheren Pauschsätze für andere Berufe die Mehraufwendungen an Kleidung auf monatlich 20 DM schätzte. Das FG sah es auch als glaubhaft an, daß der Kläger aufgrund seines Arbeitsplanes im Jahre 1965 an 54 Tagen länger als 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend war, und erkannte einen beruflich bedingten Mehrverpflegungsaufwand als Werbungskosten nach § 9 EStG in Verbindung mit Abschn. 24 Abs. 5 LStR 1963 an. Von der Rechtsprechung des BFH zur Anerkennung des Mehrverpflegungsaufwandes wich das FG ausdrücklich ab.
Der Kläger und das FA legten gegen das Urteil des FG Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein. Mit Beschluß vom 5. März 1968 half das FG der Beschwerde des FA - nicht des Klägers - ab, indem es die Revision zuließ.
Bereits vor diesem Zeitpunkt hatte der Kläger Revision eingelegt (eingegangen beim FG am 8. Februar 1968). Mit Schreiben vom 31. Juli 1968, abgesandt am 19. August 1968, teilte der Senat dem Kläger mit, die Revision sei nicht begründet und zum gegenwärtigen Zeitpunkt kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen; wegen besonderer Umstände wies der Senat den Kläger jedoch darauf hin, daß er die Revisionsgründe nachreichen könne, falls er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantrage und außerdem begründe, weshalb er ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO), und daß dieser Antrag, dessen Begründung sowie die Revisionsbegründung binnen zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens des Senats beim BFH eingegangen sein müßten (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 FGO). Mit Schreiben vom 1. September 1968, eingegangen am 3. September 1968, stellte der Kläger den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, der Abhilfebeschluß des FG vom 5. März 1968 habe keine Rechtsmittelbelehrung enthalten; ohne diese habe er die Rechtswirksamkeit des Beschlusses nicht erkennen können. Die Revisionsbegründung selbst ging am 16. September 1968 ein.
Mit der aufgrund seiner Nichtzulassungsbeschwerde zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung der §§ 9 und 12 EStG und des § 20 LStDV sowie eine Abweichung von der Rechtsprechung des BFH.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
I.
Die Revision des Klägers war als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
Die Revision ist nicht rechtzeitig begründet worden. Nach § 115 Abs. 5 Satz 4 FGO beginnt der Lauf der Revisionsfrist im Fall der nachträglichen Zulassung der Revision "mit der Zustellung des Beschwerdebescheides". Der Zustellung des Beschwerdebescheides entspricht, wenn - wie im vorliegenden Fall - bereits das FG der Beschwerde abgeholfen hat, die Zustellung des Abhilfebescheides. Der Beschluß ist dem Kläger am 2. Mai 1968 zugestellt worden. Die Revisionsbegründung hätte danach spätestens bis zum 2. Juli 1968 eingereicht werden müssen (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 54 FGO). Das ist nicht geschehen. Der Kläger hat die Revision erst im September 1968 begründet.
Wenn der Kläger meint, ihm gegenüber seien die Fristen des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO wegen des Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung in dem Abhilfebeschluß gar nicht in Lauf gesetzt worden, so kann dem nicht zugestimmt werden. Der Abhilfebeschluß bedarf keiner Rechtsmittelbelehrung. Er ist unanfechtbar (vgl. die Beschlüsse des Senats VI B 56/67 vom 13. Oktober 1967, BFH 90, 335, BStBl II 1968, 94, und VI R 140/67 vom 12. Januar 1968, BFH 90, 395, BStBl II 1968, 121). Was die Einlegung der - zugelassenen - Revision selbst angeht, so ist der Kläger aber bereits durch die dem urteil des FG beigegebene Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen worden, daß die Zustellung des die Revision zulassenden Beschlusses für den Beginn der Revisionseinlegungs- und Revisionsbegründungsfrist maßgebend ist. Im Schrifttum wird zwar, wenn auch ohne nähere Begründung, nahezu einhellig die Ansicht vertreten, daß auch der Zulassungsbeschluß einer Rechtsmittelbelehrung bedürfe (vgl. u. a. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 3. Aufl., Anm. 10 zu § 115 FGO, sowie Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Aufl., Anm. 27 zu § 132). Richtig ist, daß Rechtsmittelfristen nicht ohne eine entsprechende Belehrung beginnen (vgl. § 55 FGO). Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß der Zulassungsbeschluß nochmals eine das Urteil betreffende Rechtsmittelbelehrung enthalten müsse, wenn diese bereits dem Urteil selbst beigegeben worden ist.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Kläger nicht gewährt werden. Selbst wenn der Antrag auf Einsetzung in den vorigen Stand begründet wäre - was voraussetzt, daß der Kläger ohne Verschulden gehindert war, die gesetzliche Frist des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO) -, so hat der Kläger doch die versäumte Rechtshandlung nicht innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO nachgeholt. Die Revisionsbegründung ist nicht innerhalb zweier Wochen, nachdem der Kläger aufgrund des Schreibens des VI. Senats von seiner Fristversäumnis Kenntnis erhalten hat, beim BFH eingegangen. Spätestens am 1. September 1968 war das Schreiben des VI. Senats nämlich beim Kläger eingegangen, denn unter diesem Datum hat er seinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Die Revisionsbegründung ist dagegen, wie bereits erwähnt, erst am 16. September 1968 beim BFH eingegangen.
Selbst wenn die Revisionsbegründung rechtzeitig eingelegt wäre, wäre die Revision doch als unzulässig zu verwerfen gewesen, weil sie nicht die Mindestanforderungen an eine Revisionsbegründung erfüllt. Zum Beispiel enthält sie keine Angabe über die angeblich verletzte Rechtsnorm (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO).
II.
Die Revision des FA muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
Wie das FG nicht verkannt hat, ist, soweit der Kläger Aufwendungen für die Anschaffung, Reparatur und Reinigung von Kleidung geltend gemacht hat, die Abgrenzung zu den Lebenshaltungskosten zu beachten (§§ 9 und 12 Nr. 1 EStG, § 20 LStDV). Grundsätzlich werden nur Aufwendungen für die typische, wegen der Eigenart des Berufs nötige Kleidung als Werbungskosten anerkannt. Aufwendungen für die Anschaffung von bürgerlicher Kleidung sind Kosten der privaten Lebenshaltung, auch wenn diese Kleidung im Beruf getragen und verschlissen wird (vgl. Urteile des BFH IV 133/61 U vom 13. September 1962, BFH 76, 94, BStBl III 1963, 35; VI 190/60 vom 5. Oktober 1962, HFR 1963, 118; IV 26/61 vom 11. Oktober 1962, HFR 1964, 190). Da der Kläger einen Nachweis für die Anschaffung und Instandhaltung seiner Berufskleidung nicht erbracht hat, hat das FA die - insofern einwandfrei - berufsbedingten Aufwendungen mit 180 DM geschätzt (§ 217 Abs. 2 Satz 1 AO). Diese mangels eines Nachweises notwendige Schätzung des FA auf der Grundlage der bloßen Aufstellung des Klägers - die überdies nur 176,80 DM als Aufwendungen für typische Berufskleidung und Schreibmaterial auswies - ist nicht zu beanstanden. Das FG hat zu Unrecht eine neue Schätzung an deren Stelle gesetzt.
Die Schätzung des FG läßt sich auch nicht mit dem bloßen Hinweis auf einen höheren Kleidungsverschleiß hinreichend begründen. Einen höheren Verschleiß an privater Kleidung hat in der Regel jeder, der solche Kleidung auch im Beruf trägt. Gerade diese Fälle aber sind es, die durch die typisierende Regelung des § 12 EStG getroffen werden und also zu keinem Ansatz von Werbungskosten führen. Nur wenn im Einzelfall bei Anlegung eines strengen Maßstabes feststeht, daß die Ausübung des Berufs einen besonders hohen Verschleiß an bürgerlicher Kleidung erfordert, kann der ausschließlich beruflich bedingte erhöhte Anteil mit einem angemessenen Betrag angesetzt und als Werbungskosten anerkannt werden (Urteil des BFH I 228/55 U vom 24. April 1956, BFH 63, 3, BStBl III 1956, 195 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des RFH, Hartz-Over-Meeßen, ABC-Führer Lohnsteuer, S. 65, Stichwort Berufskleidung). Das FG hat nur ganz allgemein angenommen, daß Kellner grundsätzlich einen erhöhten Verschleiß an Kleidung hätten. Es hat jedoch nicht festgestellt, wodurch im vorliegenden Fall neben den ohnehin berücksichtigten Kleidungsstücken (Kellnerhosen und Leihjacken) der erhöhte Verschleiß an privater Kleidung entstanden sein soll. Der Kläger hat einen erhöhten Verschleiß nicht nachgewiesen. Mit dem nicht spezifizierten Hinweis auf teilweise merklich höhere Pauschsätze für andere Berufe hat das FG seinen Schätzbetrag von 240 DM jährlich - 20 DM monatlich - nicht ausreichend begründet.
Das FG hat ebenfalls zu Unrecht eine mehr als 12stündige berufsbedingte Abwesenheit des Klägers von der Wohnung an nur 54 Tagen im Jahr als ausreichend angesehen, um einen Verpflegungsmehraufwand als Werbungskosten (§ 9 EStG, § 20 LStDV) anzuerkennen. Wie das FA zu Recht darlegt, weicht diese Entscheidung des FG von den erst jüngst ergangenen Urteilen des BFH VI 231/64 vom 24. Juni 1966 (BFH 86, 574, BStBl III 1966, 608) und VI R 322/66 vom 4. August 1967 (BFH 90, 23, BStBl III 1967, 782) ab. Kosten für Verpflegung sind, wie das FA zutreffend ausführt, grundsätzlich steuerlich nicht absetzbare Kosten der allgemeinen Lebenshaltung (§ 12 Nr. 1 EStG). Die Rechtsprechung hat jedoch anerkannt, daß Mehraufwendungen für die Ernährung ausnahmsweise Werbungskosten sein können, wenn ein Arbeitnehmer regelmäßig ungewöhnlich lange von seiner Wohnung abwesend ist (vgl. die Urteile des BFH VI 231/64 und VI R 322/66, a. a. O., mit weiteren Hinweisen). Die Bundesregierung hat das Ergebnis dieser Rechtsprechung in dem Abschn. 24 Abs. 5 LStR 1963 übernommen und ihrerseits einen geschätzten Mehrverpflegungsaufwand von 1,50 DM pro Tag unter den genannten Umständen zum Abzug zugelassen. Es ist ohnehin fraglich, ob die Rechtsprechung und Verwaltungsbehörden überhaupt einen solchen Pauschbetrag bei mehr als 12stündiger Abwesenheit von der Wohnung ohne gesetzliche Grundlage zulassen durften. Jedenfalls kann der Senat nicht über das bisher Gewährte hinausgehen. Deshalb hat der Senat in der Entscheidung VI R 322/66 an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach eine "regelmäßige" Abwesenheit von mehr als 12 Stunden gefordert wird, um ausnahmsweise Aufwendungen für die Ernährung nicht als Lebenshaltungskosten, sondern als Werbungskosten anzusehen. Er hat entschieden, eine "regelmäßige" ungewöhnlich lange Abwesenheit sei nur anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer, falls die Verhältnisse das ganze Jahr über unverändert waren, auf das Jahr gesehen an der Mehrzahl der Arbeitstage mehr als 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend war. Im Streitfall hat der Kläger keinen Verpflegungsmehraufwand nachgewiesen. Pauschaliert können die Mehrkosten für Verpflegung des Klägers aber an nur 54 Tagen im Jahr 1965 nicht als Werbungskosten anerkannt werden.
Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Einspruchsentscheidung des FA ist nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu beanstanden. Die Klage war danach als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 68802 |
BStBl II 1970, 7 |
BFHE 1970, 103 |