Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung wegen Verschweigens einer Körperbehinderung

 

Leitsatz (amtlich)

Die unrichtige Beantwortung der Frage des Arbeitgebers nach einer Körperbehinderung durch einen Stellenbewerber kann nur dann eine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB rechtfertigen, wenn die verschwiegene Körperbehinderung erfahrungsgemäß die Eignung des Arbeitnehmers für die vorgesehene Tätigkeit beeinträchtigt.

 

Orientierungssatz

Der Umfang des Fragerechts des Arbeitgebers hinsichtlich bestehender Krankheiten richtet sich danach, ob diese im Zusammenhang mit dem einzugehenden Arbeitsverhältnis stehen. Daher beschränkt sich das Fragerecht des Arbeitgebers im wesentlichen auf folgende Punkte:

Liegt eine Krankheit bzw eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes vor, durch die die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wiederkehrenden Abständen eingeschränkt ist? Liegen ansteckende Krankheiten vor, die zwar nicht die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, jedoch die zukünftigen Kollegen oder Kunden gefährden? Ist zum Zeitpunkt des Dienstantritts bzw in absehbarer Zeit mit einer Arbeitsunfähigkeit zu rechnen, zB durch eine geplante Operation, eine bewilligte Kur oder auch durch eine zur Zeit bestehende akute Erkrankung?

 

Normenkette

BGB §§ 123-124; SchwbG § 1 Fassung: 1979-10-08

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 23.03.1983; Aktenzeichen 2 Sa 37/83)

ArbG Siegen (Entscheidung vom 16.11.1982; Aktenzeichen 3 Ca 1258/82)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz um die Wirksamkeit einer von der Beklagten am 30. August 1982 erklärten Anfechtung des Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin besitzt eine abgeschlossene Ausbildung als Einzelhandelskaufmann. Durch Bescheid des Versorgungsamtes Dortmund vom 15. Februar 1978 wurde sie als Schwerbehinderte anerkannt. Der Grad der Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit beträgt 50 %. Der Anerkennungsbescheid stützt sich auf die von der Klägerin dem Versorgungsamt eingereichten Unterlagen, wonach die Klägerin 1962 an Pyelitis (Entzündung des Nierenbeckens) erkrankt war, bei ihr 1972 eine Cholezystektomie (Entfernung der Gallenblase) vorgenommen wurde, sie 1975/1978 an funktionellen Störungen infolge Polytoxikomanie (gleichzeitige Benutzung mehrerer Rauschmittel) litt, 1973 und 1977 wiederholt migräneartige Kopfschmerzen hatte und bei ihr 1973 ein HWS-Syndrom und 1977 eine Meniscopathie (Schädigung der Menisken) rechts und Chondropathia patellae (Knorpelerkrankung der Kniescheibe) beiderseits festgestellt worden waren. Aufgrund dieser Unterlagen erkannte das Versorgungsamt folgende Behinderungen an: Meniskusleiden (10 %), Pyelitis (10 %), Migräne (20 %) und Polytoxikomanie-psychosomatisches Leiden (30 %), die zu einer Gesamt-MdE von 50 % zusammengezogen wurden.

Am 17. Januar 1979 trat die Klägerin in den Dienst der Beklagten. Diese befaßt sich mit der Be- und Verarbeitung von Blechen und stellt Tiefzieh-, Press- und Stanzteile her. Ein Betriebsrat besteht bei der Beklagten nicht.

Im Verlaufe des Vorstellungsgespräches am 15. Januar 1979 legte die Beklagte der Klägerin einen Einstellungsbogen vor, der folgende Fragen enthielt:

Können Sie dauernd stehend arbeiten:

ja/nein

Können Sie Schichtarbeit leisten:

ja/nein

Sind Sie körperbehindert oder kriegsversehrt:

ja/nein

Sind Sie an beiden Händen unversehrt:

ja/nein

Die Klägerin beantwortete die Frage nach einer Körperbehinderung mit „nein”, während sie die anderen Fragen bejahte.

Die Klägerin wurde bei der Beklagten in der Fertigung eingesetzt. Sie bediente Exzenter-Pressen, hydraulische Pressen, Schweiß- und sonstige Maschinen. Sie arbeitete überwiegend im Stehen und wurde zur Wechselschicht herangezogen. Sie stand im Akkord und verdiente zuletzt monatlich 2.200,– DM. Vom 13. Juli 1982 bis 20. August 1982 hatte die Klägerin Erholungsurlaub. Am Tage ihrer Arbeitsaufnahme, am Montag, dem 23. August 1982, kam es nach zweistündiger Arbeitsleistung an der von der Klägerin bedienten Maschine zu einer Beschädigung des Werkzeugs. Daraufhin kündigte die Beklagte der Klägerin fristlos. Am 30. August 1982 suchte die Klägerin die Beklagte auf und teilte ihr mit, daß sie schon seit 1978 als Schwerbehinderte anerkannt sei. Noch am gleichen Tage ließ die Beklagte der Klägerin folgendes Schreiben überbringen:

„Sehr geehrte Frau F ]

Wir beziehen uns auf Ihren heutigen Besuch und Ihre dabei gemachte Mitteilung, wonach Sie uns bei der Einstellung im Jahre 1979 verschwiegen haben, daß Sie schwerbehindert sind. Sie erklärten uns, daß Sie dies in der eindeutigen Absicht getan haben, ein von Ihnen vermutetes Hindernis für die Einstellung zu beseitigen, indem Sie unsere Frage nach Vorliegen von Behinderungen wahrheitswidrig verneinten.

Wir fechten daher neben der Ihnen am 23.08.1982 ausgesprochenen fristlosen Kündigung nunmehr vorsorglich den mit Ihnen eingegangenen Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB an und verweisen Sie insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 25.03.1976, DB 1976, 1240), worin bei vorsätzlich falscher Beantwortung der gestellten Fragen dem Arbeitgeber ein Anfechtungsrecht zugebilligt wird.”

Mit ihrer am 2. September 1982 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin sowohl die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 23. August 1982 als auch der Anfechtung vom 30. August 1982 geltend gemacht.

Sie hat die Ansicht vertreten, die fristlose Kündigung sei schon deshalb rechtsunwirksam, weil die Beklagte es unterlassen habe, die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu beantragen. Zudem fehle es an einem wichtigen Grund.

Richtig sei, daß sie in dem Einstellungsgespräch vom 15. Januar 1979 ihre Schwerbehinderteneigenschaft verschwiegen habe, da sie befürchtet habe, bei Angabe ihrer Schwerbehinderung den Arbeitsplatz nicht zu erhalten. Dieses Verhalten rechtfertige aber vorliegend keine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Die Beklagte habe in ihrem Einstellungsbogen nämlich lediglich nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung gefragt. Eine solche Frage sei nicht identisch mit der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft. Sie habe keine körperliche Behinderung gehabt, die ihr die für sie vorgesehene vertragliche Tätigkeit unmöglich gemacht oder die Ausübung dieser Tätigkeit eingeschränkt hätte. Vielmehr sei sie den Anforderungen ihres Arbeitsplatzes gewachsen, was auch ihr verhältnismäßig hoher Akkordlohn ausweise.

Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 23. August noch durch deren Anfechtung vom 30. August 1982 aufgehoben worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Klägerin habe am 23. August 1982 vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig das von ihr zu bedienende Kalibrierwerkzeug für Saugringe zerstört, indem sie entgegen wiederholter ausdrücklicher Anweisungen mehr als einen Blechring, nämlich drei Ringe, in das Werkzeug eingelegt habe. Dadurch sei das Werkzeug völlig zerstört worden. Etwa zwei Monate vor diesem Vorfall sei es schon einmal fast zu einer Beschädigung des Werkzeuges gekommen, als die Klägerin bei der Fertigung von Brennerschalen ein Teil zuviel eingelegt habe. Die Klägerin sei wegen des damaligen Vorfalls mündlich gerügt worden. Im übrigen rechtfertige die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft bei der Einstellung durch die Klägerin die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Die Klägerin habe die Frage nach ihrer Körperbehinderung im Sinne einer Schwerbehinderteneigenschaft verstanden, wie sie selbst zugegeben habe. Im übrigen übersehe die Klägerin, daß die Frage nach einer Körperbehinderung weitergehend sei als die nach der Schwerbehinderteneigenschaft. Bei einem Schwerbehinderten liege stets eine Körperbehinderung vor, es sei denn, die Behinderung sei geistiger oder seelischer Art. Die Klägerin sei auch aufgrund der vom Versorgungsamt anerkannten Behinderungen als Maschinenarbeiterin nicht voll einsatzfähig gewesen. So habe die Klägerin 1981 an 35 Arbeitstagen und im Jahre 1982 bis zum Ausscheiden an 24 Arbeitstagen krankheitshalber gefehlt. Bei dem Gespräch am 30. August 1982 habe sie ihre häufigen Fehlzeiten mit wiederholten Migräneanfällen begründet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, soweit sie sich gegen die Anfechtung gerichtet hat. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin den Feststellungsantrag weiter, daß das Arbeitsverhältnis durch die Anfechtung vom 30. August 1982 nicht aufgehoben worden ist, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung der Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

Die Annahme des Berufungsgerichts, das Arbeitsverhältnis sei durch die von der Beklagten ausgesprochene Anfechtung vom 30. August 1982 aufgelöst worden, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

I.

Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon ausgegangen, auch ein Arbeitsverhältnis könne wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB angefochten werden (vgl. statt vieler BAG 11, 270 = AP Nr. 15 zu § 123 BGB; BAG Urteile vom 25. März 1976 - 2 AZR 136/75 - AP Nr. 19 zu § 123 BGB und vom 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - EzA zu § 123 BGB Nr. 22). Weiterhin hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, die Anfechtung müsse gemäß § 124 Abs. 1 BGB binnen Jahresfrist erfolgen, diese Frist beginne gemäß § 124 Abs. 2 Satz 1 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdecke, und die Anfechtung müsse durch Erklärung gegenüber dem Vertragspartner erfolgen. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die der Klägerin am 30. August 1982 zugegangene Anfechtungserklärung als fristgerecht angesehen, nachdem die Beklagte von der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach einer Körperbehinderung durch die Klägerin beim Einstellungsgespräch am 15. Januar 1979 erst am 30. August 1982 erfahren hatte.

II.

Das Berufungsgericht hat aber die Anfechtung zu Unrecht bereits aufgrund des von ihm gewürdigten Sachverhalts als begründet angesehen und damit die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers auf die Frage nach einer Körperbehinderung überspannt.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Ansicht im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei wegen eines Meniskusleidens, Pyelitis und Migräne körperbehindert gewesen. Somit habe sie die Frage nach einer etwaigen Körperbehinderung wahrheitswidrig beantwortet. Zwar stelle nicht jede unwahre Beantwortung einer in einem Einstellungsfragebogen gestellten Frage eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 BGB dar, sondern nur eine falsche Antwort auf eine zulässigerweise gestellte Frage. Die Frage nach einer Körperbehinderung sei jedoch ebenso wie die Frage des Arbeitgebers nach dem Gesundheitszustand statthaft. Das von der Klägerin angeführte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. März 1976 (AP Nr. 19 zu § 123 BGB) vermöge nicht zu einer anderen Beurteilung zu führen, da die Beklagte vorliegend nicht nach der Schwerbehinderteneigenschaft, sondern nach einer Körperbehinderung gefragt habe. Abgesehen davon habe das Bundesarbeitsgericht ein Anfechtungsrecht nach § 123 BGB für die vorsätzlich falsche Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft ausdrücklich bestätigt. Soweit das Bundesarbeitsgericht ein Anfechtungsrecht davon abhängig gemacht habe, ob der Arbeitnehmer habe erkennen können, daß er wegen der Behinderung die vorgesehene Arbeit nicht werde leisten können, habe sich das nur auf eine etwaige Pflicht des Arbeitnehmers zur (ungefragten) Offenbarung seiner Schwerbehinderteneigenschaft bezogen. Die Klägerin habe auch in der Klageschrift eingeräumt, die Frage falsch beantwortet zu haben, weil sie befürchtet habe, sie werde bei Angabe ihrer Schwerbehinderung den Arbeitsplatz nicht erhalten. Zwischen den Parteien sei auch ausweislich des Tatbestandes des erstinstanzlichen Urteils, dem gemäß § 314 ZPO Beweiskraft zukomme und dessen Berichtigung nach § 320 Abs. 2 ZPO von der Klägerin nicht beantragt worden sei, unstreitig, daß die Beklagte die Klägerin bei Kenntnis der Schwerbehinderung nicht eingestellt haben würde. Die Klägerin habe die Beklagte daher durch arglistige Täuschung zur Abgabe der Erklärung bestimmt, einen Arbeitsvertrag mit ihr abzuschließen.

2. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht zunächst von der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach einer Körperbehinderung durch die Klägerin ausgegangen.

a) Die von der Beklagten im Einstellungsfragebogen gestellte Frage lautete: „Sind Sie körperbehindert oder kriegsversehrt?”.

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter einer Körperbehinderung einen „dauernden körperlichen Schaden” (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. IV, Stichwort: Körperbehinderung, Seite 1559; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1982, Bd. IV, Stichwort: Körperbehinderung, Seite 276). Als körperbehindert wird derjenige angesehen, der „einen angeborenen oder durch Krankheit, Unfall etc. erworbenen körperlichen Schaden hat und dadurch in seinen Bewegungsmöglichkeiten, allgemein in den Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten und in der Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist” (Brockhaus/Wahrig, aaO).

Beschränkt auf die für eine Erwerbsunfähigkeit maßgeblichen Folgen wird dagegen die in § 1 SchwbG erwähnte und unter den weiteren Voraussetzungen des § 1 SchwbG zu einer Schwerbehinderung führende körperliche Behinderung definiert. Körperliche Behinderung im Sinne des § 1 SchwbG liegt vor, wenn infolge einer körperlichen Regelwidrigkeit die Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend gemindert ist (Wilrodt/Neumann, SchwbG, 6. Aufl. 1984, § 1 Rz 18; Gröninger, SchwbG, Stand Mai 1984, § 1 Ziff. 3).

Ob die Frage der Beklagten nach einer Körperbehinderung ganz allgemein auf das Vorliegen eines dauernden körperlichen Schadens oder auf das Vorliegen einer körperlichen Regelwidrigkeit, die zu einer dauernden Minderung der Erwerbsunfähigkeit geführt hat, gerichtet war, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da bei der Klägerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts vom Versorgungsamt als Körperbehinderungen ein Meniskusleiden, eine Pyelitis und Migräne festgestellt worden sind, die jeweils zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 10 % bzw. 20 % (Migräne) geführt haben. Diese Körperbehinderungen sind daher sowohl von dem allgemeinen Begriff der körperlichen Behinderung als auch von dem im Sinne des § 1 SchwbG umfaßt. Die Klägerin hat daher die an sie gerichtete Frage nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung wahrheitswidrig beantwortet.

b) Insoweit ist das Landesarbeitsgericht auch zutreffend davon ausgegangen, die Beklagte habe die Klägerin nicht nach dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft gefragt. Der Begriff des Schwerbehinderten hat im Erwerbsleben eine ganz bestimmte Bedeutung. Schwerbehinderte im Sinne des Schwerbehindertengesetzes sind gemäß § 1 SchwbG Personen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert und infolge ihrer Behinderung in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um wenigstens 50 % gemindert sind, sofern sie rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes wohnen, sich gewöhnlich aufhalten oder eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ausüben.

Entgegen der Ansicht der Revision stellt die Körperbehinderung keinen Unterfall der Schwerbehinderung dar, sondern eine der möglichen Voraussetzungen der Schwerbehinderteneigenschaft. Dem Wortlaut nach hat die Beklagte eindeutig nicht nach einer Schwerbehinderung, sondern nach einer Körperbehinderung gefragt. Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin darin eine Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft gesehen hat, da ihr jedenfalls bewußt war, daß von dieser Frage die bei ihr vorliegenden Körperbehinderungen mit umfaßt waren.

3. Zutreffend weist das Berufungsgericht auch darauf hin, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht jede unwahre Beantwortung einer in einem Einstellungsfragebogen gestellten Frage eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 BGB darstellt, sondern nur eine falsche Antwort auf eine zulässigerweise gestellte Frage (BAG 5, 159 = AP Nr. 2 zu § 123 BGB; BAG 11, 270; BAG Urteil vom 19. Mai 1983 - 2 AZR 171/81 - DB 1984, 298).

4. Rechtsfehlerhaft sieht das Berufungsgericht jedoch die Frage nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung als ohne weiteres zulässig an.

Zwar ist – soweit ersichtlich – das Problem, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung fragen darf, weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur bisher eingehend behandelt worden. Da durch die Körperbehinderung jedoch grundsätzlich der Gesundheitszustand beeinträchtigt ist, ist es gerechtfertigt, in diesen Fällen die Grundsätze anzuwenden, die zur Zulässigkeit der Frage nach Krankheiten bzw. dem Gesundheitszustand entwickelt worden sind.

a) Nach allgemeiner Meinung wird dem Arbeitgeber ein Fragerecht nur insoweit zugestanden, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat (BAG 11, 270 = AP Nr. 15 zu § 123 BGB und BAG 22, 278 = AP Nr. 17 zu § 123 BGB; Neumann, DB 1961, 1291 f.; Hofmann, ZfA 1975, 1 f., 27; Schaub, Arbeitsrechts- Handbuch, 5. Aufl., § 26 III 2, S. 96). Dieses Interesse des Arbeitgebers muß objektiv so stark sein, daß dahinter das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktreten muß (vgl. Kemter, RdA 1962, 307 f., 309; Hofmann, aaO, 5 f.; Falkenberg, BB 1970, 1013 f.). Dementsprechend richtet sich der Umfang des Fragerechts des Arbeitgebers hinsichtlich bestehender Krankheiten danach, ob diese im Zusammenhang mit dem einzugehenden Arbeitsverhältnis stehen (vgl. Haberkorn, RdA 1962, 416 f.; Schmid, BB 1969, 631; Hümmerich, BB 1979, 428 f.). Im wesentlichen beschränkt sich daher das Fragerecht des Arbeitgebers auf folgende Punkte (vgl. LAG Berlin, DB 1974, 99; LAG Frankfurt, DB 1972, 2359; ArbG Stade, BB 1971, 1235): Liegt eine Krankheit bzw. eine Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes vor, durch die die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wiederkehrenden Abständen eingeschränkt ist? Liegen ansteckende Krankheiten vor, die zwar nicht die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, jedoch die zukünftigen Kollegen oder Kunden gefährden? Ist zum Zeitpunkt des Dienstantritts bzw. in absehbarer Zeit mit einer Arbeitsunfähigkeit zu rechnen, z. B. durch eine geplante Operation, eine bewilligte Kur oder auch durch eine zur Zeit bestehende akute Erkrankung?

b) Diesen Grundsätzen steht auch nicht die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Februar 1964 (BAG 15, 261 = AP Nr. 6 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß) entgegen. In dieser Entscheidung hat sich der Erste Senat mit der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach dem momentanen Gesundheitszustand im Verlaufe der Einstellungsverhandlungen beschäftigt. Dabei hat er den Grundsatz aufgestellt, daß der Arbeitnehmer bei den Einstellungsverhandlungen die Frage des Arbeitgebers nach dem Gesundheitszustand wahrheitsgemäß beantworten sowie seinen Gesundheitszustand bei den Einstellungsverhandlungen dem Arbeitgeber unbefragt offenbaren müsse, wenn er damit rechnen mußte, infolge einer bereits vorliegenden Krankheit seine Arbeitspflicht im Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses nicht nachkommen zu können. Unter Berufung darauf hat das Landesarbeitsgericht vorliegend die Frage nach einer Körperbehinderung ohne weiteres für zulässig erachtet.

Der Entscheidung kann jedoch nicht entnommen werden, daß dem Arbeitgeber ein unbeschränktes Fragerecht nach dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers bei der Einstellungsverhandlung zusteht und die wahrheitswidrige Beantwortung einer solchen Frage ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung bedingt.

Zu beachten ist zunächst, daß es im damaligen Fall nicht um eine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung ging, sondern um einen infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage entstandenen Schaden des Arbeitgebers (Inseratskosten), für dessen Ersatz ein fahrlässiges Verhalten bei den Vertragsverhandlungen ausreicht. Dabei hat es der Senat als für die Haftung bei Vertragsschluß ausreichende Fahrlässigkeit angesehen, daß die damalige Beklagte eine zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen bestehende akute Erkrankung auf ausdrückliches Befragen der Klägerin verschwiegen hatte. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß ein derartiges Verhalten ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung bedingt. Vielmehr hat der Erste Senat in seinen damaligen Entscheidungsgründen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dann, wenn die Beklagte angenommen habe, zum Zeitpunkt des Dienstantritts wieder arbeitsfähig zu sein, die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer Erkrankung nicht die Annahme einer arglistigen Täuschung rechtfertige (vgl. BAG 15, 261, 264). Der Entscheidung läßt sich somit nicht der Grundsatz entnehmen, der Arbeitnehmer müsse die Frage nach dem Gesundheitszustand unabhängig davon wahrheitsgemäß beantworten, ob dieser für die vorgesehene Tätigkeit erheblich ist.

Hinzukommt, daß das Bundesarbeitsgericht in seiner damaligen Entscheidung den Begriff des Gesundheitszustandes offensichtlich nur unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit verwendet hat. In der Entscheidung des Ersten Senates ist dagegen nicht die Frage angesprochen, ob dem Arbeitgeber ein Fragerecht in Bezug auf Krankheit und körperliche Beeinträchtigung zusteht, die in keinem Zusammenhang mit der zu verrichtenden Tätigkeit stehen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich daher aus dieser Entscheidung nicht herleiten, die Frage nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung sei o h n e w e i t e r e s zulässig.

c) Vielmehr ist nach den zur Begrenzung des Fragerechts des Arbeitgebers nach Krankheiten aufgestellten Grundsätzen die Frage nach einer Körperbehinderung nur insoweit zulässig, als sie auf eine durch die Körperbehinderung mögliche Beeinträchtigung der zu verrichtenden Arbeit gerichtet ist.

Die Klägerin durfte daher vorliegend die Frage nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung nur dann nicht wahrheitswidrig beantworten, wenn die bei ihr vorliegenden Behinderungen – Meniskusleiden, Pyelitis, Migräne und die aus der Polytoxikomanie sich ergebenden Körperbehinderungen – ihre Eignung als Maschinenarbeiterin erfahrungsgemäß beeinträchtigt hätten. Diese Einschränkung des Fragerechts der Beklagten hat das Berufungsgericht nicht beachtet, so daß das angefochtene Urteil aufzuheben war.

5. Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend – nicht festgestellt hat, ob die Körperbehinderungen der Klägerin erfahrungsgemäß ihre Eignung als Maschinenarbeiterin beeinträchtigten. Dies hat es nachzuholen. Der Sachvortrag beider Parteien und der Inhalt der beigezogenen Akten des Versorgungsamts ergeben einige Anhaltspunkte für diese Frage: So hat die Klägerin ihren Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte damit begründet, ihre Ärzte hätten ihr bestätigt, sie könne nur noch leichtere Arbeiten ausführen. Schon dies spricht dafür, daß die Behinderungen geeignet gewesen sind, die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für die für sie vorgesehenen Aufgaben bei der Beklagten einzuschränken. Die Klägerin wies zudem 1981 35 und 1982 24 Fehltage infolge Krankheit auf, die sie selbst auf Migräneanfälle zurückführte. Daraus läßt sich zwar nicht entnehmen, ob die Klägerin auch zum Zeitpunkt des Einstellungsgespräches an einem ähnlich schweren Migräneleiden litt. Sollte die Klägerin in den Jahren 1979 und 1980 überhaupt nicht infolge Migräne arbeitsunfähig krank gewesen sein, spricht dies eher dagegen. Wie allerdings auch zu beachten ist, wurden die Migränebeschwerden bereits bei der Anerkennung der Klägerin als Schwerbehinderte mit 20 % der Erwerbsminderung berücksichtigt. Dieser Wertung der Migräne durch das Versorgungsamt würde widersprechen, wenn es sich um ganz leichte Migränebeschwerden handelte, die sich nicht auf die Eignung der Klägerin für die Arbeit als Maschinenarbeiterin auswirkten. Es gibt auch Anhaltspunkte dafür, daß das Meniskusleiden der Klägerin, auch wenn es sich nur um leichte Kniebeschwerden handelte, sich erfahrungsgemäß auf die Eignung der Klägerin für ihre Arbeit auswirken mußte, weil die Klägerin bei der Arbeit dauernd stehen mußte. Allerdings ist immerhin vorstellbar, daß die Kniebeschwerden nur leichter Natur und nicht geeignet waren, die Klägerin bei der Arbeit zu beeinträchtigen.

Auch die Polytoxikomanie, die Vergiftungserscheinungen durch vielfachen Medikamenten- und Rauschmittelgebrauch, muß Berücksichtigung finden. Bei ihr handelt es sich zwar nicht um eine Körperbehinderung, wohl aber um eine Krankheit, die zu Körperbehinderungen führen kann, insbesondere zu Beeinträchtigungen der Konzentration, Reaktion und der Bewegungskoordination. Bei der Klägerin ist immerhin ein leichter Fingertremor festgestellt worden.

Je nachdem, ob die Körperbehinderungen der Klägerin erfahrungsgemäß geeignet gewesen sind, die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für die ihr zugedachte Arbeit zu beeinträchtigen, hatte die Klägerin die Frage nach der Körperbehinderung wahrheitsgemäß zu beantworten oder nicht. Im ersteren Falle hat die Klägerin die Beklagte i. S. des § 123 BGB arglistig getäuscht, wenn sie sich möglicher nachteiliger Auswirkungen ihrer Körperbehinderung auf die zu erbringende Arbeitsleistung bewußt war. Dafür können zwar ihre Angaben in dem Antrag an das Versorgungsamt sprechen, aber auch insoweit bedarf es der Aufklärung.

6. Dagegen kann eine arglistige Täuschung nicht darin gesehen werden, daß die Klägerin bei der Einstellung ihre Schwerbehinderteneigenschaft verschwiegen hat.

Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft wird von Rechtsprechung und Lehre uneingeschränkt als zulässig erachtet (Urteil des Senates vom 25. März 1976 - 2 AZR 136/75 - AP Nr. 19 zu § 123 BGB; Wilrodt/Neumann, aaO, § 12 Rz 45; Schaub, aaO, S. 98). Dieses uneingeschränkte Fragerecht wird begründet mit den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für den Arbeitgeber durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstehen. Angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und der betrieblichen Auswirkungen der Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer darf der Arbeitgeber daher uneingeschränkt nach der Schwerbehinderteneigenschaft fragen (Hümmerich, aaO, 430 m.w.N.).

Die Klägerin ist von der Beklagten vorliegend nicht nach dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft, sondern nach dem Vorliegen einer Körperbehinderung gefragt worden. Da das Vorliegen einer bloßen Körperbehinderung noch nicht die an die Schwerbehinderteneigenschaft geknüpften gesetzlichen Verpflichtungen auslöst, können die für die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft aufgestellten Grundsätze nicht auf die Frage nach einer Körperbehinderung übertragen werden.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Weller, Sickert, Ramdohr

 

Fundstellen

Haufe-Index 60138

DB 1984, 2706-2707 (LT1)

NJW 1985, 645

NJW 1985, 645-646 (LT1)

ARST 1985, 17-18 (LT1)

BehindR 1985, 14-17 (LT1)

BlStSozArbR 1985, 120-120 (T)

NZA 1985, 57-58 (LT1)

SAE 1985, 165-169 (LT1)

ZIP 1985, 431

ZIP 1985, 431-434 (LT1)

AP, (LT1)

AR-Blattei, Anfechtung Entsch 20 (LT1)

AR-Blattei, ES 60 Nr 20

EzA, (LT1)

EzBAT, Anfechtung Nr 8 (LT1)

KrV 1985, 152-152 (T)

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