Rz. 97

Ein Arbeitgeber muss sich vor der Urlaubserteilung entscheiden, ob er dem Arbeitnehmer den beantragten Urlaub gewährt oder den Urlaubswunsch des Arbeitnehmers etwa wegen dringender betrieblicher Belange i. S. v. § 7 Abs. 1 BUrlG ablehnt. Hat der Arbeitgeber durch Abgabe der Freistellungserklärung den Urlaub genehmigt, ist er an diese Erklärung gebunden und kann die Erklärung weder zurücknehmen noch den Arbeitnehmer aus dem Urlaub zurückrufen.[1] Denkbar ist nach allgemeinen Grundsätzen die Anfechtung der Freistellungserklärung[2] oder die "Kondiktion" nach § 812 BGB.[3]

 

Rz. 98

Diese streng am Wortlaut und an der Gesetzesdogmatik orientierte Lösung kann zu Ergebnissen führen, die im Einzelfall nicht befriedigen. So hat auch das BAG in früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber den einmal genehmigten Urlaub in Notfällen widerrufen kann, soweit ein anderer Ausweg nicht möglich ist.[4] In einer weiteren Entscheidung hat das BAG angedeutet, dass im Arbeitskampf weder ein Arbeitnehmer den bewilligten Urlaub unterbrechen kann, um an einem Streik teilzunehmen, noch der Arbeitgeber den Urlaub widerrufen kann, um den Arbeitnehmer auszusperren.[5]

 

Rz. 99

Das grundsätzlich anerkannte Widerrufsrecht im Ausnahmefall wird unterschiedlich begründet:

  • Teilweise wird die Auffassung vertreten, es bestehe ein Anspruch auf Zustimmung zu einer einvernehmlichen Änderung des Urlaubszeitraums. Dies ergebe sich aus der jedem Arbeitsverhältnis immanenten Pflicht zur Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite nach § 241 Abs. 2 BGB.[6]
  • Enger ist die Auffassung, die Ausnahmen nur für den Fall der Störung der Geschäftsgrundlage zulassen will.[7] Geht man hiervon aus, ist ein Widerruf nur möglich, wenn das Festhalten an der Urlaubsgewährung für den Arbeitgeber schlechthin unzumutbar wäre und der Arbeitnehmer z. B. zur Verhinderung des Zusammenbruchs eines Unternehmens benötigt wird.[8]
 

Rz. 100

Bei beiden Lösungsansätzen ist auf jeden Fall eine an den konkreten Umständen des Einzelfalls orientierte umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei kann neben Stellung und Funktion des Arbeitnehmers insbesondere auch eine Rolle spielen, welche Auswirkungen die Urlaubsverlegung für den Arbeitnehmer hat.[9] Der Arbeitnehmer muss eine solche Veränderung im Übrigen nur akzeptieren, wenn der Arbeitgeber zugesagt hat, die Mehrkosten zu tragen, die durch die Verschiebung des Urlaubs entstehen.[10] Allerdings muss der Arbeitnehmer zumindest auf ungewöhnlich hohe Kosten hinweisen, die entstehen können.

 
Hinweis

Welcher Auffassung auch immer gefolgt wird, die Anforderungen an einen Ausnahmefall sind hoch. Die Versuchung, betriebliche Probleme zum Notfall zu machen, ist groß und häufig genauso untauglich wie Versuche, Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz mit einem Notfall nach § 14 Abs. 1 ArbZG zu rechtfertigen.[11]

Es muss sich nach allen Meinungen um einen nicht vorhersehbaren und nicht anders lösbaren Ausnahmefall handeln.

Vereinbarungen, nach denen der Arbeitnehmer auf Rückruf des Arbeitgebers verpflichtet ist, den Urlaub abzubrechen, sind nach § 13 BUrlG unwirksam.[12]

 

Rz. 101

Aus der Bindungswirkung der Urlaubsfestlegung wird weitergehend hergeleitet, dass der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, seine Urlaubsanschrift zu hinterlassen.[13] Das Ziel, einen ungestörten Erholungsurlaub zu gewähren, gebietet, dass der Arbeitnehmer regelmäßig nicht verpflichtet ist, ein Mobiltelefon mitzuführen oder E-Mail-Eingänge zu prüfen. Störungen im Urlaub können zumindest zu einem Ersatzurlaubsanspruch im Umfang der betroffenen Tage führen.[14]

 

Rz. 102

Ist die Veränderung der Urlaubszeit auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgt, sei es durch einseitigen "Widerruf", dem sich der Arbeitnehmer gefügt hat, sei es im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer, hat der Arbeitgeber auch ohne Zusage nach allgemeiner Meinung alle Mehrkosten zu ersetzen, die dem Arbeitnehmer durch die Änderung entstanden sind. Diese Pflicht wird aus einer entsprechenden Anwendung von § 670 BGB oder § 242 BGB hergeleitet.[15]

Anfallende Kosten sind dabei nicht nur die Kosten, die als Folge des Nichtantritts einer Reise entstehen. Als Mehrkosten kommen auch die Kosten in Betracht, die dadurch entstehen, dass die geplante Reise zu einem späteren Zeitpunkt teurer ist. Im Einzelfall ist auch denkbar, dass der Arbeitgeber die zusätzlichen Kosten der Familienangehörigen zu tragen hat, wenn diesen nicht zugemutet werden kann, den Urlaub allein anzutreten.[16]

[1] BAG, Urteil v. 20.6.2000, 9 AZR 405/99, AP BUrlG § 7 Nr. 28, NJW 2001, 460; ErfK/Gallner, 19. Aufl. 2019, § 7 BUrlG, Rz. 27.
[2] S. hierzu oben Rz. 29; Friese, Urlaubsrecht, 1. Aufl. 2003, Rz. 256.
[3] S. Arnold, § 5, Rz. 41.
[6] GK-BUrlG/Bachmann, 5. Aufl. 1992, § 7 BUrlG, Rz. 51; KassArbR/Schütz, 2. Aufl. 2000, 2.4, Rz. 294.
[7] ErfK/Gallner, 19. Aufl. 2019, § 7 BUrlG, Rz. 27; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2...

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