Wie HR vom Business Partner zur People Company wird

Im Jahr 1997 hat Dave Ulrich das Modell "HR als Business Partner" vorgestellt, das bis heute in HR-Organisationen dominiert. Doch unter den Personalverantwortlichen ist die Unzufriedenheit mit dem Modell groß. Walter Jochmann, Managing Partner von Kienbaum, arbeitet derzeit an einem Nachfolgemodell: HR soll wie ein Geschäft organisiert und verstanden werden, kurzum "HR als People Company".

Haufe Online Redaktion: Auf der Kienbaum People Convention analysieren Sie Jahr für Jahr den Zustand von HR in den größeren Unternehmen. HR habe nicht die Bedeutung erreicht, die der Funktion zustehe. Sie bringen als neues Modell die Idee ins Spiel, HR als People Company zu verstehen. Knüpfen Sie damit an die alte Idee an, HR als Profitcenters zu betrachten?

Walter Jochmann: Nein. Es geht mir nicht darum, wie HR-Leistungen in den Unternehmen hin und her verrechnet werden. Ob eine Recruiting-Leistung 15.000 oder 12.000 Euro kostet, sagt wenig über die Leistungsfähigkeit von HR aus. Mir geht es um das Selbstverständnis und die Steuerung der HR-Bereiche. Habe ich als HR-Verantwortlicher einen unternehmerischen Anspruch oder verstehe ich mich als Experte? Gegenwärtig ist HR eher wie eine Expertenorganisation aufgestellt, nicht wie eine Business-Einheit.

Das Unternehmerische muss zum Selbstverständnis von HR werden

Haufe Online Redaktion: Da wird sich mancher Personalvorstand und manche Personalvorständin auf den Schlips getreten fühlen. Die meisten sind doch davon überzeugt, dass sie eine unternehmerische Aufgabe wahrnehmen.

Jochmann: Das mag für den Einzelnen gelten, doch die meisten HR-Bereiche sind nicht nach unternehmerischen Prinzipien aufgestellt. Ein Geschäft zu betreiben, heißt doch, sich am Output messen zu lassen. Es geht darum, in einer definierten Zeit Produkte zu erstellen, die sich verkaufen lassen. Das Produkt darf nicht allein nach der Qualität optimiert werden. Dazu neigen HR-Bereiche jedoch. Dabei geht um den richtigen Kosten-Qualitäts-Mix und um Time-to-Market. Dieses Denken fehlt den HR-Bereichen vielfach bei der Erstellung ihrer Produkte.

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Haufe Online Redaktion: HR als People Company zu denken, ist ein radikaler Gedanke, der über das HR-Business-Modell von Ulrich weit hinausgeht. Was ist in Ihren Augen der Kern einer People Company?

Jochmann: Aus einem akademischen Kontext heraus hat Dave Ulrich vier Rollen für ein modernes HR definiert: Strategy Partner, Change Agent, Employee Champion und Administration Expert. Dieses HR-Business-Partner-Modell wurde sehr schnell von den Unternehmen aufgegriffen. In der Praxis hat sich daraus ein Drei-Säulen-Modell für die HR-Organisation entwickelt. Das Modell hat einen guten Entwicklungsschub ausgelöst, ist aber bereits seit einigen Jahren an seine Grenzen geraten und kann nicht mehr helfen, die Bedeutung von HR auf das Level zu heben, das ihm im Unternehmen zustünde.

Mein Vorschlag lautet deshalb, dass HR sich nicht mehr als Business Partner, sondern als Enabler des Business versteht. Dazu muss sich HR selbst wie eine People Company aufstellen, nur so kann das Unternehmerische zum Selbstverständnis von HR werden.

Evolutionsstufen der HR-Funktion

HR sollte ein Stakeholder Board erhalten

Haufe Online Redaktion: Was stellen Sie sich konkret darunter vor?

Jochmann: Zu einer People Company gehören entsprechende Gremien und Steuerungselemente. HR könnte über ein Stakeholder Board verfügen, das als Aufsichtsrat für die HR-Funktion fungiert. Im Board sollten zwei oder drei Kunden und gegebenenfalls auch der Betriebsratschef vertreten sein. Das Board tagt alle zwei oder drei Monate, es werden die wichtigsten Kennzahlen des Geschäftsverlaufs, Strategie- und Personalthemen besprochen. Das kostet kein Geld, bringt aber eine neue Mentalität ins Selbstverständnis. Ich kenne nur sehr wenige Konzerne und Mittelständler, die mit einem solchen Board arbeiten.

Haufe Online Redaktion: Treffen sich im Board nicht wieder die Etablierten, denen es vor allem um Machtsicherung geht und die nicht so sehr für Innovation, Digitalisierung oder Nachhaltigkeit stehen?

Jochmann: Die Zusammensetzung des Boards ist völlig offen. Da kann auch ein Young Professional oder, in Abstimmung mit dem Vorstand, ein Vertreter des Aufsichtsrats teilnehmen. Entscheidend ist für mich, dass das Board wie ein Gesellschafter agiert und über eine Agenda verfügt, bei der es um Planung, Steuerung und Kontrolle des Geschäfts – und damit den validen Wertbeitrag – geht. Auch Dashboards mit Kennzahlen sind in den HR-Bereichen häufig nicht im Einsatz, um das normale Geschäft zu monitoren. Wenn allerdings große Transformationsprojekte anstehen, wird häufig mit einem solchen System gearbeitet.

Haufe Online Redaktion: In den HR-Bereichen werden viele Kennzahlen erhoben. Es wird über Krankenstände, Mitarbeiterzahlen, Weiterbildungsaktivitäten oder auch die Frauenquote berichtet. Welche Kennzahlen gehören für Sie in das Dashboard einer People Company?

Jochmann: Das stimmt. Tatsächlich stehen manche Kennzahlen schon zur Verfügung, andere müssen noch entwickelt werden. Nur sehr wenige Unternehmen steuern jedoch mit diesen Kennzahlen das HR-Geschäft systematisch. Der Zusammenhang mit Umsatz und Ergebnis des Gesamtunternehmens wird viel zu selten hergestellt.

IT, Unternehmensentwicklung, Digitalbereich oder auch neue Transformationseinheiten konkurrieren mit HR darum, die Führung in Transformationsprojekten zu übernehmen."


Haufe Online Redaktion: HR wird also zum Unternehmen im Unternehmen. Unternehmertum zeichnet sich durch Wettbewerb aus. Eine interne People Company ist aber keinem Wettbewerbsdruck ausgesetzt, oder doch?

Jochmann: Ja und nein. Wenn es um Transformationsprojekte geht, gibt es auch Wettbewerb. IT, Unternehmensentwicklung, Digitalbereich oder auch neue Transformationseinheiten (interne Consultants) konkurrieren mit HR darum, die Führung solcher Projekte zu übernehmen. In administrativen Bereichen kommen Plattformlösungen oder Dienstleister zum Einsatz, die Aufgaben von HR übernehmen wollen. Die HR-Bereiche sind in unterschiedlichen Feldern Wettbewerb ausgesetzt.

Haufe Online Redaktion: Ein anderes Kennzeichen von Unternehmertum ist die Kundenorientierung. Wenn der Kunde unzufrieden ist, springt er ab. Wie kann eine interne People Company kundenorientiert agieren?

Jochmann: Die HR-Bereiche sollten an den wesentlichen Touchpoints zum internen Kunden den Net Promotor Score einsetzen, der halbjährlich oder jährlich erhoben wird. Der NPS ist ein etabliertes Marketinginstrument, das frühzeitig darüber Auskunft gibt, wie sich die Kundenzufriedenheit entwickelt. Die unternehmerische Ausrichtung muss sich aber auch in der Zusammensetzung der Teams und den Kompetenzprofilen widerspiegeln. Die HR-Bereiche brauchen 20 Prozent Profile mit digitalen IT-Kompetenzen, sie brauchen Startup-Vertreterinnen und -Vertreter, die den unternehmerischen Geist in die Organisation bringen. Und eigentlich ist es auch notwendig, dass HR-Verantwortliche Verantwortung für ein Business getragen oder berufliche Erfahrungen außerhalb von HR gesammelt haben.

Wie sich HR durch eine People Company verändern wird

Haufe Online Redaktion: Die Forderung, dass die Kaminkarriere eher die Ausnahme sein sollte, ist altbekannt. Warum es sie dennoch gibt, liegt wohl daran, dass zu wenige Leute aus anderen Bereichen HR so attraktiv finden, um dorthin zu wechseln.

Jochmann: Auf der People Convention hat Sylvie Nicol, CHRO von Henkel, formuliert, dass sie HR zu einem "exciting place to be" im Unternehmen machen will. Das ist der richtige Ansatz. In den HR-Bereichen können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an gesellschaftlichen Trendthemen arbeiten und in der Verbindung mit moderner Technologie wird das zu einem Arbeitsfeld, das attraktiv für Talente aus Marketing, IT oder Produktion ist. Das zeigt auch der Blick auf die blühende Landschaft der HR-Startups.

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Haufe Online Redaktion: Wenn HR zur People Company wird, wie verändern sich dann die Rollen? Werden die HR Business Partner, die Führungskräfte betreuen, zum Außendienst der People Company?

Jochmann: Dave Ulrich wollte in seinem Modell, dass die Business Partner Führungskräfte nicht betreuen, sondern beraten. In der Praxis ist es aber so, wie Sie das formulieren, dass Business Partner zu 50 Prozent auch Betreuungsaufgaben übernehmen. In einer People Company wäre der Business Partner der Key Account Manager, der seine Kunden allumfassend berät und gemeinsam mit anderen HR-Rollen kompetente Lösungen organisiert.

Haufe Online Redaktion: Was wird aus den Shared Service Centern, in denen die administrativen Aufgaben organisiert sind?

Jochmann: Ich finde diesen Begriff problematisch und würde ihn nicht mehr verwenden. Es geht um Excellence Center, die mit Stolz digitale Produkte rund um das Thema Administration gestalten. Deren Aufgabe ist es, Prozesse kundenorientiert zu gestalten und neue attraktive Produkte zu entwickeln. Das muss in viel engerer Zusammenarbeit mit dem Kunden und dem Key Account Manager geschehen.

Haufe Online Redaktion: Und wie verändert sich die dritte Rolle nach Dave Ulrich, die Rolle des Change Agent?

Jochmann: Diese Rolle wurde nie richtig mit Leben gefüllt. In einigen Dax-Unternehmen gibt es kleine Change Units in HR, aber oft ist das Thema auch woanders angesiedelt. In einem neuen HR-Geschäftsverständnis und -Geschäftsmodell muss diese Rolle fest verankert und auch mit ihrem Mehrwert gemessen werden.

Kennzahlen für den (Miss-)Erfolg der Transformation

Haufe Online Redaktion: Werden Kennzahlen dabei wirklich weiterhelfen? Ist es nicht so, dass gerade Transformationsthemen wie zum Beispiel Kulturwandel sich nicht in Kennzahlen fassen lassen?

Jochmann: Es lässt sich mehr in Kennzahlen abbilden, als vielfach gedacht wird. Wir können das Engagement der Beschäftigten in Kennzahlen darstellen, ungewollte Wechsel, Absentismus. Auch die Führungsqualität kann man mit Umfragen messen. Eine Transformationseinheit gehört auch deshalb ins Dashboard, weil sie Wert für das Gesamtunternehmen schafft. Wenn eine Firma gekauft wird, schaut sich der Investor an, welches Veränderungspotenzial die Firma hat. Ein HR-Bereich, der Transformationen steuern kann, steigert den Unternehmenswert. Das ist ein großes Asset.

Haufe Online Redaktion: Was muss das Dashboard abbilden?

Jochmann: Es müssen drei Geschäftsmodelle abgebildet werden. Erstens geht es um Kennzahlen für People Operations, also die administrativen Prozesse. Zweitens um People Supply Chain, also um das Finden, Entwickeln und Binden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen. In den meisten Unternehmen gibt es dafür bislang keine Gesamtverantwortung, aber dahin müssen wir kommen. Wir brauchen einen Product Owner People Supply Chain. Drittens geht es um Enabling Transformation, also das Consulting Business von HR. Das ist wahrscheinlich am schwierigsten zu berechnen.

Haufe Online Redaktion: Wurde das von Ihnen skizzierte Modell "HR als People Company" schon irgendwo realisiert oder ist es ein ganz neuer Gedanke?

Jochmann: Impulse der Veränderung von HR gibt es kontinuierlich – etwa die Gestaltung als Consulting Unternehmen. In den sozialen Medien gibt es zudem zunehmend mehr Beiträge zur Agilität, zur Kundenzentrierung und zum unternehmerischen Mehrwert der HR-Funktion. Was bislang aus meiner Sicht fehlt, ist ein integrierendes Modell, das klar über ein neues Organisationsdesign hinausgeht.

Haufe Online Redaktion: Wie geht es weiter? Wollen Sie das Modell der People Company weiter ausarbeiten, sodass es dann möglicherweise als Jochmann- oder Kienbaum-Modell rezipiert wird? 

Jochmann: Wir arbeiten mit Investoren und Startups zusammen, um unsere Ideen zu diskutieren und auszuarbeiten. Wichtig ist uns, dass wir mit den CEOs und anderen Funktionen, die mit HR zusammenarbeiten, über ihre Erwartungen sprechen. Wichtig ist uns aber auch, dass wir über diese Ideen mit CHROs ins Gespräch kommen.


Zum Interviewpartner:

Walter Jochmann ist Managing Director und Partner bei der Kienbaum Consultants International GmbH. Er betreut Großunternehmen bei der strategischen Neuausrichtung von Personalbereichen, im Change Management und in der Beurteilung von Top-Führungskräften. 2021 gehörte Jochmann erneut zu den "40 führenden HR-Köpfen" des Personalmagazins.


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