Berufliche Weiterbildung: OECD bescheinigt Handlungsbedarf

Die OECD hat am 23. April 2021 im Beisein von Bundespolitikern und weitern Akteuren für die berufliche Weiterbildung ihre neue Studie "Getting Skills Right – Weiterbildung in Deutschland" vorgestellt und Handlungsempfehlungen gegeben. Insbesondere das komplexe System der Weiterbildungsförderung sei nicht flexibel und passgenau genug.

Stolz zeigte Angel Gurría, Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den neuen Bericht "Weiterbildung in Deutschland" bei der virtuellen Vorstellung in die Kamera: Die OECD, in der sich 37 Mitgliedstaaten organisieren, hat darin die Effektivität des deutschen Weiterbildungssystems untersucht – im Hinblick darauf, wie es im Ländervergleich Individuen und Unternehmen auf die fortschreitenden Veränderungen in der Arbeitswelt vorbereitet. Auf dieser Basis gab die OECD Handlungsempfehlungen.

OECD-Studie: Deutschland bei Weiterbildungsbeteiligung im Mittelfeld

Die OECD bescheinigt Deutschland große Stärken in der Erstausbildung – danach falle das Weiterbildungssystem deutlich zurück: Nur 54 Prozent der Deutschen haben sich an Weiterbildungsmaßnahmen beteiligt. Damit liegt Deutschland zwar leicht über dem OECD-Durchschnitt, aber deutlich hinter Ländern, die ein ähnliches Bildungssystem haben – wie etwa Österreich (60 Prozent Lernbeteiligung), den Niederlanden (64 Prozent) und der Schweiz (69 Prozent). Dies liege daran, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nicht über Weiterbildungsgesetze verfüge, die Rechte und Verantwortlichkeiten verschiedener Akteure in der Weiterbildungslandschaft definieren und sicherstellen.

Abgehängt: Erwachsene mit geringen Grundkompetenzen

Zudem hänge in Deutschland die Teilhabe an Weiterbildung stark von der Zugehörigkeit zu bestimmten sozioökonomischen Gruppen ab: Menschen mit geringer Bildung, wenig Einkommen oder Beschäftigte in kleineren Unternehmen weisen mit 23 Prozent eine deutlich niedrigere Teilnahmequote auf. Die Differenz der Weiterbildungsbeteiligung dieser Gruppen ist eine der Größten unter den OECD-Ländern, übertroffen nur von Chile, Dänemark, Finnland und den Niederlanden. "Die Ungleichheiten der Beteiligung am Weiterbildungsmarkt sind sehr groß", so Gurría.

OECD-Bericht: Vier Stellschrauben für die berufliche Weiterbildung

Konkret nennt die OECD-Studie vier Stellschrauben, an denen in Deutschland in Sachen Weiterbildung nachzubessern sei:

1. Verbesserung der Steuerung: Deutschland habe eines der komplexesten Systeme der Weiterbildungsförderung. Angesichts der Vielzahl an Weiterbildungsanbietern sei es aus Nutzersicht eine Herausforderung, die richtige Weiterbildung und die richtigen Förderungsmöglichkeiten zu erkennen. Es brauche eine Vertiefung der Zusammenarbeit der Akteure im Kontext der "Nationalen Weiterbildungsstrategie", die Entwicklung eines deutschen Weiterbildungsgesetzes, das einen gemeinsamen Rechtsrahmen im gesamten Bundesgebiet sicherstellt, sowie die Ausgestaltung und Einführung von Mindestqualitätsstandards für Weiterbildungsanbieter.

2. Beschleunigung der Weiterbildungsberatung und Teilqualifizierung: Bisher fehle es dabei an einem nationalen Ansatz und einheitlichen Standards. Die OECD fordert deshalb die Einrichtung einer nationalen Initiative zur Weiterbildungsberatung, die Entwicklung eines bundesweiten Rechtsrahmens für die Validierung von Kompetenzen, die Etablierung von Teilqualifikationen als fester Strukturbestandteil der deutschen Weiterbildungslandschaft sowie die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die die Zusammenhänge zwischen Beratung, Validierung und Teilqualifikationen systematisiert.

3. Erhöhung der finanziellen Mittel: Es gebe zwar viele Fördermöglichkeiten, aber oft für sehr spezifische Zielgruppen und zugeschnitten auf regionale Bedürfnisse. Es mangele jedoch an Kohärenz, Strategie und Transparenz. Darum brauche es ein einheitliches Anreizsystem für Individuen, eine bundesweite Regelung für Bildungszeiten, eine bessere Nutzung vorhandener Möglichkeiten, Bundesinvestitionen für die Weiterbildung in die Länder zu lenken, sowie mehr Gesamtinvestitionen in die Weiterbildung und eine mittelfristige Prüfung zusätzlicher Finanzierungsmöglichkeiten.

4. Teilhabe unter Erwachsenen mit geringeren Grundkompetenzen: Um die Löcher in der Lernbeteiligung von Erwachsenen mit geringen basalen Kompetenzen, die es bereits zum Ende der Erstausbildung gibt, zu stopfen, empfiehlt die OECD Folgendes: die Entwicklung einer Bund-Länder-Initiative für Erwachsene mit geringen Grundkompetenzen, eine Verbesserung der finanziellen Anreize für Erwachsene mit geringen Grundkompetenzen sowie die Finanzierung von Outreach-Aktivitäten zur Aktivierung der Zielgruppe.

Startschuss für bundesweite "Nationale Bildungsplattform"

Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, nannte den OECD-Bericht "Rückenwind und Motivation" für die "Nationale Weiterbildungsstrategie". Bei den Verbesserungsansätzen gelte es, die Besonderheiten des deutschen Weiterbildungssystems zu berücksichtigen. "Wir sind pluralistisch und föderal organisiert. Es gibt nicht das eine System, sondern es ist auf viele Schultern verteilt." Man müsse den Zugang zur Weiterbildung verbessern, Teilqualifikationen zum schrittweisen Erwerb des Berufsabschlusses ("ValiKom") ausbauen und ein Plattform-Ökosystem der Weiterbildung etablieren, um die spezifischen Bedarfe zusammenzuführen. Am 28. April 2021 gab Karliczek in Berlin den offiziellen Startschuss für das Projekt "Nationale Bildungsplattform", für die bis 2025 insgesamt rund 630 Millionen Euro vorgesehen sind. Die Ausschreibungsphase dafür läuft: Bis Jahresende sind vier Prototypen geplant, die dann 2023 mit der neuen Metaplattform an den Start gehen sollen.

"Wumms" für die Weiterbildung: Deutschland muss den Turbo einlegen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil nannte die OECD-Studie einen "Wake-up-Call": Es brauche eine "Weiterbildungsrevolution", einen "Wumms in der Weiterbildung". Ein Instrument dafür seien - neben der neuen Lernplattform - staatlich geförderte Bildungszeiten, die so selbstverständlich werden wie Elternzeiten. Weiterbildung dürfe keine "Elitenveranstaltung" bleiben, was der Bundesarbeitsminister unter anderem mit einem Rechtsanspruch auf Neuerwerb eines Berufsabschlusses adressieren möchte.

Konkrete Schritte: mehr Investitionshilfen für KMU?

Heil erklärte, dass große Unternehmen keine Schwierigkeiten hätten, gute Weiterbildungsstrategien zu entwickeln. Aber kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verfügten nicht immer über die nötigen Ressourcen. Es brauche Investitionshilfen für Unternehmen und eine verstärkte Weiterbildungsberatung der Beschäftigten.

Kornelia Haugg, Abteilungsleiterin für berufliche Bildung und lebenslanges Lernen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, warb hingegen für einen differenzierteren Blick: Internationale Champions aus dem Mittelstand seien sehr wohl in der Lage, die Qualifizierung ihrer Beschäftigten hinzukriegen. Viele Unternehmen machten niederschwellige Angebote, die bezüglich Zeit und Geld stimmten und nicht angenommen würden. Es brauche deshalb auch die Vertreter der Gewerkschaften. "Tarifverträge sind auch ein unglaublich wichtiges Instrument", so Haugg.


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