Gute Personalauswahl reduziert toxisches Verhalten

"Hüten Sie sich vor toxischen Kollegen und Kolleginnen!" Allzu oft liest man derart reißerische Zeilen, um dann ein Beratungs­konzept angeboten zu bekommen. Doch was ist wirklich dran, an diesem "toxischen" Verhalten von Mitarbeitenden? Wirtschaftspsychologe Uwe Peter Kanning wirft einen – wesentlich weniger aufgeregten – Blick auf das Konzept.

In der wissenschaftlichen Fachliteratur wird man den Begriff des toxischen Mitarbeitenden vergeblich suchen. Zwar gibt es Studien zu toxischen Führungskräften und zum Konzept der destruktiven Führung, auf Beschäftigte ohne Führungsverantwortung wurde es bislang jedoch noch nicht übertragen. Dies ist einstweilen noch eine Domäne der Praxis beziehungsweise mancher Beratungsfirmen, wahrscheinlich weil Erstere unter einzelnen Exemplaren dieser Gattung überproportional zu leiden haben und Letztere hier ein neues Geschäftsfeld wittern.

Sei es drum, sicherlich gibt es in vielen Unternehmen schwierige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die es wert sind, dass sich Forschung und Praxis gleichermaßen mit ihnen auseinandersetzen. 

Destruktive Führung ist wissenschaftlich gut untersucht

Orientieren wir uns am Konzept der destruktiven Führung, so sollten toxische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem durch ein schwieriges Sozialverhalten auffallen. Anderen Menschen im beruflichen Kontext begegnen sie mit Herablassung, führen schwächere Kolleginnen und Kollegen vor, lassen Führungskräfte auflaufen und sind für ihre Umwelt unberechenbar und nicht vertrauenswürdig. Sie lassen sich nicht auf ein übergeordnetes Ziel einschwören, vielmehr geht es ihnen allein um ihren eigenen Vorteil und der besteht mitunter darin, andere fertig zu machen.

Sie sind geradezu prädestiniert, die Quelle von Mobbing-Aktivitäten zu bilden: sei es als Täter, die eine willfährige Gefolgschaft um sich sammeln, sei es als "Opfer", dem ein starkes Team Paroli bietet. Aus Sicht des Unternehmens ist zudem mit kontraproduktivem Verhalten zu rechnen, also einem Verhalten, das sich explizit gegen die Interessen des Arbeitgebers richtet: Arbeitszeiten werden zu eigenen Gunsten ausgelegt; ein Krankenschein eingereicht, obwohl gar keine Krankheit vorliegt; wenn sich die Gelegenheit ergibt, bestehlen die Betroffenen das Unternehmen oder verraten sogar Betriebsgeheimnisse an die Konkurrenz.

Frühzeitiges Scheitern als mögliche Ursache für toxisches Verhalten

Eine Verbundenheit mit dem Arbeitgeber besteht nur in Form eines sogenannten kalkulatorischen Commitments: Die Betroffenen arbeiten für das Unternehmen, solange sie hiervon einen Vorteil haben. Sobald sich eine bessere Gelegenheit ergibt, sind sie weg. – All das, was hier hypothetisch beschrieben wurde, skizziert das Worst-Case-Szenario. Letztlich handelt es sich aber um ein Kontinuum. Die Symptomatik tritt im Einzelfall also mehr oder weniger stark ausgeprägt auf.

Wenn wir uns nun die Frage stellen, worin die Ursachen für die Misere zu suchen sind, so drängt sich zunächst natürlich ein Blick auf die Eigenschaften der betroffenen Personen auf. Verantwortlich sind die Persönlichkeitsstruktur beziehungsweise Defizite in vielen Kompetenzbereichen, insbesondere bei den sozialen Kompetenzen. Auch hier können Anleihen bei der Forschung zur destruktiven Führung oder bei der Forschung zum Derailment gemacht werden. Als Derailment wird in der Wirtschaftspsychologie das frühzeitige Scheitern von Managerinnen und Managern bezeichnet. Oft schon wenige Monate nach ihrer Einsetzung in eine neue Funktion müssen sie hier wieder entfernt werden oder suchen von allein das Weite.

Die Bandbreite möglicher Defizite, die hierfür verantwortlich sein können, ist sehr groß: intellektuelle und fachliche Überforderung mit den eigenen Arbeitsaufgaben, zu geringe Skills im Bereich der (Selbst-)Organisation, mangelnde Fähigkeiten zur Perspektivenübernahme sowie zur konstruktiven Lösung von Konflikten, chronisches Misstrauen gegenüber anderen Menschen, Unfähigkeit, soziale Beziehungen aufzubauen und vieles mehr. Insgesamt betrachtet, besteht das Problem weniger in einem einzelnen Bereich – dies ließe sich vielleicht noch überspielen –, sondern in einem breit angelegten multifunktionalen Versagen. 

Die dunkle Triade ist ein bestätigtes Konzept

Spiegeln sich in den zuvor genannten Punkten Defizite in positiven Kompetenzen, so ist in schlimmen Fällen auch mit starken Ausprägungen in negativen Eigenschaften zu rechnen. In der Führungsforschung hat dabei vor allem die sogenannte dunkle Triade viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die dunkle Triade umfasst drei destruktive Persönlichkeitseigenschaften, die umso mehr Schaden anrichten, je stärker sie ausgeprägt sind.

Ein stark ausgeprägter Narzissmus beschreibt einen Menschen mit weit überschießendem Selbstwert. Die Person hält sich für einzigartig wertvoll und überschätzt maßlos ihre tatsächlichen Fähigkeiten. Sie glaubt, ihr steht grundsätzlich mehr zu als anderen. Ein intensiver Machiavellismus geht damit einher, dass die Betroffenen glauben, der Zweck rechtfertige jedes Mittel. Um dem eigenen Vorteil zu dienen, erscheinen daher auch Kollateralschäden aufseiten des Arbeitgebers oder des Teams völlig legitim. Menschen mit hohen Werten im Bereich der Psychopathie fällt es schließlich schwer, Schuld zu empfinden oder Mitleid mit anderen Menschen zu haben. 

Menschliches Verhalten ist aber nicht ausschließlich durch die eigenen Eigenschaften geprägt, es entsteht vielmehr in der Interaktion mit anderen und vor dem Hintergrund struktureller und situativer Rahmenbedingungen. Haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über entsprechende Defizite und Anlagen verfügen, im eigenen Unternehmen beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass insbesondere rücksichtslose Typen aufsteigen, die an den richtigen Stellen nach oben buckeln und nach unten treten, so durchlaufen sie eine Sozialisation, die toxisches Verhalten geradezu fördert. Gibt es keine ernstzunehmende Leistungsbeurteilung, ja, lohnt sich echte Leistung nicht einmal und werden Fehlbesetzungen nicht wieder korrigiert, so sind dies ebenfalls begünstigende Rahmenbedingungen. Ein chronisch sehr hohes Stressniveau sollte ebenso toxisches Verhalten fördern, wie Führungskräfte, die die Dinge einfach laufen lassen oder selbst zu destruktivem Verhalten neigen.

Gute Personalauswahl hilft immer

Was lässt sich im Unternehmen tun, um die Wahrscheinlichkeit für toxisches Verhalten zu reduzieren? Hier sind zwei Strategien zu unterscheiden. 

Zum einen muss es darum gehen, Menschen, die ungünstige Eigenschaften aufweisen, aus dem eigenen Unternehmen fernzuhalten oder zumindest doch ihrem Aufstieg frühzeitig ein Ende zu bereiten. Dies ist eine eigentlich leicht zu lösende Aufgabe. Seit Jahrzehnten zeigt die psychologische Forschung, wie gute Personalauswahl aussehen sollte. Hier müsste man sich einfach nur professionell aufstellen. Eigene Tools zur Messung toxischen Verhaltens sind dabei gar nicht notwendig. Es genügt ein Auswahlverfahren, das tatsächlich in der Lage ist, die Eignung von Menschen für bestimmte Aufgaben valide zu erfassen. Hier ist in den meisten Unternehmen noch viel Luft nach oben. Die Hoffnung, dass man sich schlechte Bewerberinnen und Bewerber später durch Trainings, Mentoring und Coaching beliebig zurechtbiegen kann, ist mit Blick auf die einschlägige Forschung durch nichts gerechtfertigt.

Zum anderen gilt es ein freundliches, faires und leistungsorientiertes Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem toxisches Verhalten weder vorgelebt noch belohnt wird. Und manchmal muss man sich vielleicht auch in Zeiten des Fachkräftemangels trauen, den einen oder anderen wieder vor die Tür zu setzen.


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 5/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.

Quellen:

Kanning, U. P. (2019). Managementfehler und Managerscheitern. Berlin: Springer
Kanning, U. P. (2020). Warum scheitern Manager? Berlin: Springer


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