Trends in der Bürogestaltung: "Mehr Raum für das Individuum"

Trotz des "Triumphs" des Homeoffices in den vergangenen Monaten bleibt das Büro wichtig. Aber es wird sich verändern. Davon sind die Designexperten Dick Spierenburg und Robert Thiemann überzeugt. Im Interview sprechen sie über Trends, die die Bürogestaltung prägen werden und entwickeln Pläne für ganz neue Orte, an denen zukünftig gearbeitet wird.

Personalmagazin: Corona hat dem Arbeiten zu Hause zum Siegeszug verholfen. Werden die Unternehmenssitze nun auf Dauer verwaisen?

Robert Thiemann: Ich hoffe nicht, denn mein Zuhause ist für mich keine echte Arbeitsumgebung. In den Zeiten des Lockdowns war meine ganze Familie zu Hause, da war es mir einfach nicht möglich, mich zu fokussieren. Ich glaube aber, dass die meisten Unternehmen und auch Organisationen gemerkt haben, dass Homeoffice einfach gut funktioniert. Die Leute sind im Homeoffice oft genauso produktiv, teilweise vielleicht noch viel mehr, als wenn sie im Büro arbeiteten. Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet also tatsächlich: Sollen sich die Mitarbeiter überhaupt noch ins Büro bewegen?

Dick Spierenburg: Es besteht natürlich ein Unterschied zwischen individueller und gemeinschaftlicher Arbeit oder Teamarbeit. Ich selbst arbeite seit 2010 im Homeoffice. Heute habe ich sechs Kollegen in Köln getroffen und mich sehr gefreut, dass wir zusammensitzen und sprechen konnten. Das ginge zwar auch mit der entsprechenden Software, trotzdem ist ein echtes Treffen doch noch mal anders. Und da sind wir beim Thema: Ich denke, Büros sind die großen Treffpunkte im Unternehmen. Man muss nicht jeden Tag da sein oder viele Arbeitsstunden dort verbringen. Aber ich glaube, mindestens einmal in der Woche wäre es gut, das Unternehmen aufzusuchen.

Corona-Krise setzt für die Bürogestaltung neue Akzente

Personalmagazin: Sind Unternehmen denn schon als Treffpunkte ausgestattet? Meist wird doch noch allein gearbeitet.

Spierenburg: Die Entwicklung der Bürolandschaften hatte schon vor Corona begonnen: Nicht jeder hatte noch ein eigenes Büro, Sitzgruppen sind immer häufiger verfügbar und auch der breitere Einsatz von Betriebsrestaurants als professionelle Treffpunkte hat sich immer mehr durchgesetzt.

Thiemann: Doch jetzt werden die Akzente nochmals anders gesetzt. Vor Corona war die Einrichtung trotz allem noch auf viele individuelle Arbeitsplätze, zumindest Möglichkeiten, um irgendwo ungestört zu arbeiten, fokussiert. In Zukunft wird das Büro mehr und mehr ein Ort für Begegnung, Zusammenarbeit und Teamarbeit wird und weniger für Individualarbeit.

Eine gewisse Diversität der Arbeitsplätze wird man immer brauchen. Nicht jeder kann gut im Homeoffice arbeiten." - Dick Spierenburg, Creative Director der internationalen Einrichtungsmesse Imm Cologne


Personalmagazin: Das heißt Rückzugsbüros und Einzelarbeitsplätze werden verschwinden, weil die Mitarbeitenden sich zur konzentrierter Arbeit ins Homeoffice zurückziehen?

Spierenburg: Eine gewisse Diversität der Arbeitsplätze wird man immer brauchen. Nicht jeder kann gut im Homeoffice arbeiten. Dazu müsste sich auch an der Situation der Homeoffice-Arbeitsplätze etwas ändern.

Arbeit im Hotelzimmer als Alternative zu Coworking Spaces

Personalmagazin: Wie nehmen Sie das wahr? Unterstützen Unternehmen ihre Mitarbeitenden dabei, zu Hause einen eigenen Arbeitsplatz einzurichten?

Spierenburg: Für die Unternehmen ist das eine Chance zu sparen. Denn wenn die Mitarbeiter nicht täglich einen Arbeitsplatz im Unternehmensgebäude besetzen, benötigt der Betrieb weniger Bürofläche – und in erster Linie geht es immer darum, Quadratmeter einzusparen.

Thiemann: Nicht nur aus diesem Grund wird der Fokus der Arbeit nicht mehr am Hauptsitz des Unternehmens liegen, sondern sich nach den Bedürfnissen der Mitarbeiter und den lokalen Gegebenheiten richten. Ich kann mir gut vorstellen, dass Unternehmen für Mitarbeiter, die nicht in der Nähe des Firmensitzes wohnen, nicht nur Homeoffice ermöglichen, sondern auch das Arbeiten in Coworking Spaces nahe am Wohnort. Und eine ganz neue Entwicklung ist, sich zum Arbeiten in Hotels einzumieten.

Personalmagazin: Die Idee, Hotelzimmer zur Arbeit anzumieten, ist während des Corona-Lockdowns entstanden. Wird das eine dauerhafte Alternative zu Coworking Spaces werden?

Thiemann: Ja, ich glaube schon. Coworking Spaces, wie wir sie bisher kennen, funktionieren seit der Pandemie nicht mehr, weil sie zu klein und nicht individuell genug sind. Hotelzimmer sind größer und man kann sie und weitere Angebote des Hotels wie Konferenzräume und Ähnliches wesentlich individueller nutzen. Aber natürlich ist die gegenwärtige Gestaltung der Räume nicht ideal, sie sind nicht auf Arbeit über mehrere Stunden hinweg ausgerichtet. Ich denke, dass Hotels ihr Serviceangebot viel stärker auch auf Arbeit und sogar Retail ausweiten werden.

Spierenburg: Der Trend, Hotelzimmer als Offices anzumieten, wird sicherlich noch durch die sonstigen Gegebenheiten eines Hotels unterstützt: Hotels haben Büros, Meeting Rooms und natürlich Restaurants. Die meisten Hotels sind hier schon gut aufgestellt, es sind nur noch kleine Anpassungen notwendig.

Thiemann: Was ich mir übrigens gut vorstellen kann, ist, dass die großen Gebäude der Unternehmen zu Coworking Spaces auch anderer Unternehmen werden.

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Personalmagazin: Sie meinen, dass sich die Unternehmen zusammenschließen, um Gebäude gemeinsam zu nutzen?

Thiemann: Oder dass Unternehmen Flächen, die sie wegen der verstärkten mobilen Arbeit oder der Arbeit im Homeoffice nicht mehr oder nicht dauerhaft benötigen, an andere Unternehmen vermieten. Der generelle Trend geht zu mehr Flexibilität bei den Büroräumen, man löst sich von den festen Räumlichkeiten. Daraufhin muss die Gestaltung optimiert werden.

Entwicklung hin zu mehr Flexibilität schon vor der Pandemie

Personalmagazin: Ist diese neue Flexibilität dem Pandemieschutz, auch dem langfristigen, geschuldet?

Thiemann: Alles, was wir bisher gesagt haben, ist eigentlich gar nicht neu. Aber in den letzten Jahren sind diese Trends stärker geworden und durch die Pandemie hat sich das alles noch mal beschleunigt.

Spierenburg: Das einzige, was wirklich allein mit der Pandemie zu tun hat, ist, dass Mitarbeiter mehr Platz benötigen. Um die Social Distance einhalten zu können, brauchen wir größere Konferenzräume, mehr Fläche pro Person.

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Personalmagazin: Einerseits benötigen die individuellen Arbeitsplätze mehr Fläche, andererseits hoffen die Unternehmen, den Trend zu Mobile Working und Homeoffice zur Flächenverkleinerung nutzen zu können. Widerspricht sich das?

Thiemann: Momentan ist das Wichtigste, dass die Büros "safe" sind, also sicher vor weiteren Infektionen schützen. Aber das wird nur – ich sage mal – bis Ende des Jahres die Bürogestaltung bestimmen. Schon im Frühjahr werden die Designkonzepte für Arbeitswelten nicht mehr nur eine ausschließliche Reaktion auf die Pandemie sein, sondern langfristige Trends umsetzen.

Spierenburg: Der Platzbedarf war in den Unternehmen schon wesentlich länger Thema. Diese Großraumbüros, mit vielen Tischen und eng besetzt mit vielen Mitarbeitern, haben doch den meisten schon längst nicht mehr gefallen. Das war genauso wenig angenehm wie die kleinen dampfenden Konferenzräume. Die Suche nach mehr Raum für das Individuum wird weiterhin der beherrschende Gedanke sein. Den kann man auch umsetzen, weil durch die neuen Arbeitsformen wesentlich weniger Mitarbeiter gleichzeitig im Büro sein werden.

Thiemann: Genau, das ist der wichtigste Trend überhaupt: mehr Raum für das Individuum. Und dabei geht es nicht nur um die Lage oder die Nutzung von Quadratmetern, sondern auch um das Empowerment der Mitarbeiter.

"Raum" fördert die Entscheidungsfindung und Kreativität

Personalmagazin: Können Sie das etwas konkretisieren?

Spierenburg: Es hat mit der Art und Weise zu tun, wie sich die Arbeit entwickelt hat. Vor dem Hintergrund der Automatisierung und Digitalisierung ist die Arbeit des einzelnen am Schreibtisch nicht mehr so wichtig. Schon heute werden Ihnen am Telefon die ersten zehn Fragen vom Computer gestellt, erst danach bekommen Sie jemanden an die Leitung, der sich mit dem wirklichen Problem beschäftigt. Was ich damit sagen will: Die Arbeit des einzelnen Mitarbeiters wird immer hochkarätiger, er muss wichtige Entscheidungen treffen, Strategien und Konzepte entwickeln, all das, was ein Computer nicht kann. Dafür braucht man Raum, der erlaubt, nachzudenken und kreativ zu sein.

Personalmagazin: Spiegelt sich denn die Mensch-Maschinen-Interaktion selbst auch in der Bürogestaltung wider? Hat der Kollege Roboter auch einen Arbeitsplatz?

Thiemann: Wir interagieren immer mehr mit Technologie, ohne dass diese Raum braucht. Voice Control, Sensoren für Klima oder Beleuchtung – die Konditionen werden zunehmend von Technologie bestimmt, die man nicht sieht.

Spierenburg: In Büros sehe ich Roboter gar nicht. Die Arbeiten, die Roboter übernehmen, sind verbunden mit Handarbeit oder Produktion, das passiert nicht in den Büros.

Nachhaltiggkeit und Abwechslung bei den Arbeitsabläufen

Personalmagazin: Sehen Sie noch weitere Entwicklungen in der Arbeitsweltgestaltung?

Thiemann: Das Interesse richtet sich immer mehr auf Nachhaltigkeit und auf mehr Zugang zur Natur. Weil man inzwischen weiß, dass es gesünder ist und auch die Produktivität erhöht. Und natürlich sieht man auch heute schon wesentlich mehr Pflanzen in den Büros. Man wird mehr Landschaften auch innerhalb der Gebäude kreieren.

Spierenburg: Das Outdoor-Thema ist ja schon beim Wohnen sehr wichtig geworden, nun auch in der Bürolandschaft. Man kann sich genauso gut draußen treffen oder in offeneren Räumen arbeiten. Zusätzlich spielt die Abwechslung bei den Arbeitsabläufen in Zukunft eine sehr große Rolle. Zu lange an einem festen Ort zu sein, funktioniert nicht mehr. Wir werden den Mitarbeitern eine wesentlich größere Auswahl an Möglichkeiten, wie sie arbeiten können, bieten müssen.

Personalmagazin: Bisher scheint das wenig umgesetzt. Auch Dachterrassen werden meist nur für Pausen genutzt.

Spierenburg: Es wird aber kommen. Im Moment erweisen sich Besprechungen draußen wegen der Pandemie als Notwendigkeit. Aber man wird sich danach daran erinnern, dass man gerne rausgegangen ist, und so wird es sich durchsetzen.

Das Büro der Zukunft wird davon geprägt sein, mit wenig Aufwand die Räume situations- und mitarbeitergerecht umzugestalten." - Dick Spierenburg


Personalmagazin: Auf was muss ein Unternehmen achten, wenn es die Bürokonzepte individuell auf die Mitarbeiter abstimmen will?

Thiemann: Da ist die große Suche. Was für Sie gut ist, passt vielleicht für mich nicht. Mich stimuliert beispielsweise Musik bei der Arbeit. Andere Leute arbeiten viel besser in völliger Stille. Manche arbeiten besser in Räumlichkeiten, in denen sie viele Sachen stimulieren: Farben, Beleuchtung, viele Objekte. Andere brauchen leere Räume. Es gibt so viele unterschiedliche Bedürfnisse wie Mitarbeiter. Deshalb suchen Großunternehmen jetzt nach Raumlösungen, die als agile Möglichkeiten für möglichst viele Personen optimierte Arbeitskonditionen bieten.

Spierenburg: Genau. Konkret heißt das, dass man die Räume auch einfach anpassen kann. Es muss nicht wieder alles umgebaut werden, aber das vorhandene muss individualisierbar sein. Das ist das Thema Agilität, dass Robert eben angesprochen hat. Eigentlich ist ein Büro nur ein Tisch, Wände müssen nicht immer vom Boden bis zur Decke gehen. Das Büro der Zukunft wird davon geprägt sein, mit wenig Aufwand die Räume situations- und mitarbeitergerecht umzugestalten, von Arbeitsmöglichkeiten für mehrere auf wenige Personen, von großen Meeting auf Individualarbeit und wieder zurück.

Gestaltung der Homeoffice-Arbeitsplätze

Personalmagazin: Wir hatten den Trend zum Homeoffice ja schon angesprochen. Wie entwickelt sich hier die Gestaltung?

Spierenburg: Von vielen wird erwartet, dass sie jetzt zwei, drei oder mehr Tage in der Woche von zu Hause aus arbeiten, obwohl die häusliche Wohnsituation oft dafür nicht optimal ist. Das kann man nicht bei jedem ändern, aber bei vielen wird es durchaus möglich sein, einen guten Arbeitsplatz zu kreieren. Ein Schreibtisch muss nicht groß sein, höhenverstellbar wäre gut. Wichtig ist gutes und schnelles Internet, ein guter Schreibtischstuhl oder wenigstens die Möglichkeit, ergonomisch optimal zu sitzen. Gut wäre auch die Möglichkeit, kleine Räume abzutrennen, zumindest akustisch, wenn beispielsweise beide Partner von zu Hause aus arbeiten. Da wird sich vieles ändern und viele Mitarbeiter werden darüber nachdenken, wie sie ihre Wohnung für die Arbeit von zu Hause optimieren können.

Thiemann: Und dabei ist wichtig, dass die Mitarbeiter überhaupt wissen, was sie brauchen. Damit die vielen Möglichkeiten, die Unternehmen anbieten werden, auch tatsächlich optimal funktionieren können, müssen sich die Mitarbeiter auch darüber bewusst sein, welche Angebote für sie die richtigen sind.

Das Büro der Zukunft wird nicht nur von Architekten oder Innenarchitekten gestaltet, sondern es wird eine Co-Creation von HR, Geschäftsführung, Architekten, Innenarchitekten und Mitarbeiter sein." - Robert Thiemann, Geschäftsführer von Frame Publishers


Personalmagazin: Wie können Mitarbeiter das für sich klären?

Spierenburg: Sie können mit Analysen unterstützt werden. Da genügt meist schon eine Stunde Beratung, in der angeschaut wird, wie der Mitarbeiter zu Hause arbeitet, was er zur Arbeit braucht und wie optimiert werden kann.

Thiemann: Das gilt aber nicht nur für die Arbeit im Homeoffice, auch um im Büro optimal arbeiten zu können, muss man sich bewusst sein, welche Umgebung man eigentlich braucht, um gut zu funktionieren. Das ist die zukünftige Herausforderung für die Büroeinrichtung: Das Büro der Zukunft wird nicht nur von Architekten oder Innenarchitekten gestaltet und auch nicht alleine von HR, sondern es wird eine Co-Creation sein all dieser Stakeholder: HR, Geschäftsführung, Architekten, Innenarchitekten und Mitarbeiter.


Dieses Interview ist im aktuellen Sonderheft "Neue Arbeitswelten - Konzepte, Modelle, Räume" erschienen. Das Sonderheft können Sie hier kostenlos als PDF herunterladen.


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