Studie zu Chatbots im Recruiting

Bis vor Kurzem wurden Chatbots im Recruiting noch als KI-Tools der Stunde gefeiert. Heute sind viele der einstigen Vorzeige-Chatbots von den Karrierewebseiten verschwunden. Eine Studie der Hochschule München und Hochschule Rhein-Main zeigt: Die User akzeptieren sie nicht – oder zumindest noch nicht.

Chatbots sind automatisierte Dialogsysteme, das heißt, sie können grundsätzlich Text oder gesprochene Sprache verarbeiten. Läuft alles glatt, erkennen sie zunächst anhand der Äußerungen der User, welche Absichten diese verfolgen. Sie erkennen zum Beispiel, dass die Frage "Wie ist es mit Homeoffice?" darauf abzielt zu erfahren, wie oft und an welchen Tagen zu Hause gearbeitet werden kann. Im besten Fall geben die Chatbots passende Antworten und stoßen weitere Aktionen an. Im Homeoffice-Beispiel könnte zusätzlich gefragt werden, ob Informationen über die Gleitzeitregelung, den Urlaubsanspruch und dergleichen gegeben werden sollen.

Über solche Erstinformationen hinaus können Chatbots auch in späteren Schritten des Bewerbungsprozesses zum Einsatz kommen, zum Beispiel indem sie Vorkenntnisse, Qualifikationen und Interessen abfragen, um besser passende Stellenanzeigen auszuspielen oder eine Vorselektion zu treffen. Auch die Vereinbarung von (Interview-)Terminen ist ein oft beschriebener Anwendungsfall. 

Gründe für den Hype – und die Enttäuschung

Seit einigen Jahren gelten Chatbots als eine der heißesten Technologien innerhalb von Bewerbungsprozessen (Gärtner, C. (2020): Smart HRM: Digitale Tools in der Personalarbeit, Springer Gabler; Petry, T. und Jäger, W. (2021): Digital HR, Haufe). Ihre Vorteile sind unter anderem die permanente Erreichbarkeit und das schnelle Beantworten immer wiederkehrender Fragen. Damit ließe sich die Candidate Experience verbessern sowie der Aufwand im HR-Marketing und Recruiting reduzieren. 

Sicher auch deshalb implementierten Firmen wie Bayer, Evonik, Materna, VBZ oder Zalando Chatbots auf ihren Karrierewebseiten. Mittlerweile sind die Chatbots jedoch dort nicht mehr auffindbar. Offensichtlich sind die Unternehmen vom Nutzen der maschinellen Helferlein nicht mehr so überzeugt. Typischerweise sind die Gründe dafür vielfältig. Folgende Bereiche haben sich immer wieder als problematisch herausgestellt: 

  • Qualität (insbesondere, wenn zu viele Anfragen nicht oder falsch beantwortet werden), 
  • Aufwand und Kosten (insbesondere, wenn für die Antworten des Chatbots technische Schnittstellen geschaffen werden müssen und/oder der manuelle Pflegeaufwand zu groß ist),
  • Akzeptanz (Bewerbende wollen eher mit Menschen als Maschinen interagieren und/oder Chatbots erscheinen nicht vertrauenswürdig, weshalb persönliche Daten ungern preisgegeben werden).

In einer aktuellen Studie haben wir die Nutzerakzeptanz näher untersucht, weil in diesen Faktor auch andere Aspekte einfließen, etwa die Qualität, und weil es für Unternehmen immer wichtiger wird, bei potenziellen Mitarbeitenden einen positiven ersten Eindruck zu hinterlassen. Das der Studie zugrunde liegende Technologieakzeptanzmodell sagt im Kern Folgendes: Je höher die wahrgenommene Nützlichkeit und die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit sind, desto höher ist die Nutzungsabsicht und desto höher ist schließlich die tatsächliche Nutzung einer Technologie.

Schnell und einfach, aber inhaltlich enttäuschend 

Bei der Studienerhebung erweisen sich die Schnelligkeit der Auskunft und die Einfachheit der Bedienung als die größten Vorteile von Chatbots. Über 80 Prozent der Studierenden, die Erfahrungen mit Recruiting-Chatbots gesammelt haben, empfinden deren Bedienung als einfach. 71 Prozent stimmen zu, dass die Verwendung eines Chatbots bei Standardfragen schneller ist als der Kontakt zur Personalabteilung.

Die inhaltliche Qualität und Funktionsfähigkeit von Recruiting-Chatbots wird deutlich schlechter beurteilt. Nur 21 Prozent der Studierenden, die einen Chatbot nutzen, stimmen zu, dass der Chatbot bei bewerbungsbezogenen Fragen erfolgreich geholfen hat, immerhin antworten weitere 39 Prozent der Studierenden mit "teils/teils". 

In vielen Fällen wurden die Erwartungen aber enttäuscht. Während 61 Prozent der Studierenden ohne Recruiting-Chatbot-Erfahrung erwarten, dass ein solcher Chatbot die nachgefragten Informationen zum Bewerbungsablauf zusenden kann, stimmen von denjenigen mit entsprechender Erfahrung lediglich 14 Prozent zu, dass der benutzte Recruiting-Chatbot die Infos tatsächlich liefern konnte. Besonders bei komplexeren Anfragen werden Recruiting-Chatbots als wenig hilfreich empfunden. Hier berichten nur elf Prozent von zufriedenstellenden Ergebnissen.

Die Kommunikation mit Menschen wird bevorzugt

Vermutlich aufgrund dieser inhaltlichen Probleme ist, trotz der einfachen Bedienung, über die Hälfte der Befragten bei der Nutzung von Recruiting-Chatbots frustriert. Das ist eine höhere Frustrationsrate als bei anderen Chatbots. Spaß bei der Benutzung empfanden nur 22 Prozent. Über zwei Drittel der Befragten empfindet die Kommunikation mit dem Chatbot als unpersönlich. Dementsprechend stimmen 77 Prozent der Teilnehmenden mit beziehungsweise 80 Prozent ohne Chatbot-Erfahrung der Aussage zu, dass sie während eines Bewerbungsprozesses eher mit einem Menschen als mit einem Chatbot kommunizieren möchten. Nur 25 Prozent gaben an, dass sie einen Chatbot bei Fragen rund um die Bewerbung auf jeden Fall wieder nutzen werden.

Wir begegnen häufig der These, dass die "Digital Natives" aufgeschlossener gegenüber Chatbots seien, da sie ohnehin digitale Kommunikationskanäle bevorzugten. Die Ergebnisse unserer Studie unterstützen diese Einschätzung nicht. Obwohl es sich bei den befragten Studierenden (weitgehend) um "Digital Natives" handelt, passt die Interaktion mit einem Chatbot nach eigener Aussage mehrheitlich nicht zu den persönlichen Kommunikationsgewohnheiten. Die Studienbefunde und die Gespräche, die wir mit unseren Studierenden auf Basis der Ergebnisse geführt haben, zeigen eine breite Aversion gegenüber maschinellen Dialogsystemen, während der persönliche Kontakt als wertschätzend erlebt wird. 

Chatbots – quo vadis?

Im Gartner-Hype-Cycle kommt nach dem Tal der Enttäuschung der Pfad der Erleuchtung. Dahinter steckt ein tiefer liegender Sinn: Zuerst muss man wortwörtlich "ent-täuscht" werden, um klar zu erkennen, was eine Technologie kann und was nur Täuschung beziehungsweise Marketing-Prosa ist. Die Zeit der Technikenthusiasten ist dann vorbei, und es schlägt die Stunde der techbewussten Rationalisten. 

Diese kalkulieren nüchtern, welche technische Funktionen die Zielgruppe schätzt und wo man besser auf menschliche Kontaktpersonen setzt. Um das einschätzen zu können, müssen unternehmensspezifische Antworten auf folgende Fragen gefunden werden: 

  • Welche Kommunikationsmedien präferiert die Zielgruppe? 
  • Wie hoch ist das Risiko (im Vergleich zum Nutzen), wenn zwar menschliche Kontakte bevorzugt werden, für die Erstinformation aber nur ein Chatbot zur Verfügung steht?
  • Wie gut ist die angebotene Technologie bei der Erkennung der Nutzerabsichten (Intent-Erkennung)?
  • Wie viel Entlastung schafft ein Chatbot für die Mitarbeitenden im Recruiting – und wie viel Aufwand erzeugt die regelmäßige Pflege? Die Antwort darauf hängt unter anderem vom digitalen Reifegrad der Personalabteilung ab: Je mehr Daten in digitalen Formaten vorliegen und je weniger Schnittstellen zu weiteren Systemen gebaut werden müssen, desto automatisierter kann die Aktualisierung der Informationen erfolgen.

Zusätzlich sind folgende Analysen vonnöten:

  • Wie viele Anfragen werden außerhalb der Bürozeiten gestellt (und können deshalb nicht schnell beantwortet werden)?
  • Wie hoch ist die Absprungrate beziehungsweise der Anteil derer, die nicht wieder auf die Karriereseite gehen, wenn sie nur einen Chatbot als Kontaktoption vorfinden?

Dass einige Firmen auf diese Fragen gute Antworten gefunden haben, zeigt ein Besuch der Karrierewebseiten von Delivery Hero, Deutsche Bahn, Hugo Boss, Otto oder T-Systems: Dort findet man nämlich weiterhin Recruiting-Chatbots.


Über die Studie

Von Ende April bis Ende Mai 2022 wurden rund 7.000 Studierende in Bachelor- und Masterstudiengängen an der Hochschule München sowie der Hochschule RheinMain zur Teilnahme an der Online-Befragung aufgefordert. Letztlich wurden 349 Fragebögen vollständig und 21 teilweise ausgefüllt. Von diesen 370 Teilnehmenden hatten 20 Prozent Erfahrungen mit einem Recruiting-Chatbot. Die Fragebogen-Items basieren auf einem für Chatbots angepassten Modell zur Technologieakzeptanz. Folgende Faktoren wurden operationalisiert: bisherige Nutzungserfahrung mit Chatbots, Image des Informationssystems, Systemrelevanz im Kontext der Auf­gabe, Qualität der Ergebnisse, Funktionalität, Vertrauen in Bezug auf Datenschutz, Beziehungstreiber, ­Benutzerfreundlichkeit, spielerischer Umgang, Leichtigkeit der Adaption, Nutzungsabsicht.

Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 10/2022. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.


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