Praxisbericht: Mitarbeitergespräche neu denken

Die Unzufriedenheit mit dem Konzept der "Jahreszielgespräche" war lange Zeit groß. Manche Unternehmen haben sie in den letzten Jahren sogar abgeschafft. Axa hat sich stattdessen dazu entschieden, sie neu zu denken. Ein Praxisbericht.

Neues Jahr, neues Glück: Viele von uns starten hoch motiviert und mit guten Vorsätzen - sowohl beruflich als auch privat. Auf beruflicher Ebene werden dann viele von uns mit einem Thema konfrontiert, welches meist so beliebt ist wie die alljährliche Steuererklärung: das Jahreszielgespräch.

Wie kam es zu diesem Kolumnenbeitrag?

Viele kennen das Jahreszielgespräch unter der Bezeichnung "Mitarbeitergespräch". Vor kurzem habe ich hierzu einen Linkedin-Post gelesen, der mit den Sätzen begann: "Jetzt stehen sie in vielen Unternehmen wieder an – die Jahreszielgespräche. Was für ein Unfug! Bis auf wenige Ausnahmen wird hier wertvolle Arbeitszeit verschwendet. Business-Theater, Show, Maskentanz, reziproke Verarschung."

Der Artikel steht dem HR-Instrument eher kritisch gegenüber und hat knapp 5.000 Reaktionen und über 450 Kommentare, woraus ich eine gewisse Relevanz ableite und die Motivation für diesen Kolumnenbeitrag fand. Ich wage zu behaupten, dass wir bei Axa auf einem Weg sind, bei dem das Mitarbeitergespräch einen positiven Effekt auf Mitarbeitende und Unternehmen hat.

Mitarbeitergespräche neu denken: Start with "Why?"

Bis 2018 haben wir noch sehr klassische Mitarbeitergespräche geführt und auch einen entsprechenden Prozess mit Zielvereinbarung, Halbjahresgesprächen und Jahresendgesprächen in unserer Konzernbetriebsvereinbarung dokumentiert. Wenn wir in der Abteilung Learning & Development, als Verantwortliche für Mitarbeitergespräche, mit Führungskräften und Mitarbeitenden sprachen, wurde uns zurückgemeldet, wie aufwendig und nervig der ganze Prozess sei. Dazu wurde nur wenig Mehrwert für den zeitlichen Invest empfunden. Vonseiten des Betriebsrates kamen ähnliche Impulse.

Deshalb setzten wir uns die Mission, unseren Mitarbeitergesprächsprozess so weiterzuentwickeln, dass er sinnstiftender wahrgenommen wird. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit dem Betriebsrat haben wir anhand von Soundingboards, Personas und Einzelinterviews hierarchieübergreifend (bis Bereichsleiterebene) versucht zu verstehen, wo der Prozess hinkt und wo er positive Effekte hat.

Es kamen die unterschiedlichsten Rückmeldungen zum aktuellen Prozess, zum Beispiel:

  • komplizierter Prozess und kompliziertes Tool
  • Kampagnenzeiträume sind nicht passend zu den Geschäftsabläufen im Bereich
  • super zeitaufwendig und ohne großen Mehrwert
  • anstehende Termine verursachen Angst und Stress
  • wichtige Dokumentation zum Aufbau von Performancefällen
  • unpassend für agile Arbeitsabläufe, in denen sich die Priorisierung auch unterjährig ändern kann.

Doch gab es auch einen Konsens bei positiv wahrgenommenen Effekten: Die Mitarbeiterentwicklung profitiert von den regelmäßigen Gesprächen und kann besonders gefördert und unterstützt werden. Dies war die stärkste Antwort auf unsere Frage nach dem "Why?".

Download-Tipp: Vom Mitarbeitergespräch zum Entwicklungsdialog

Mitarbeitergespräche können das Performance Management von Unternehmen auf ein neues Level heben: Als Format bieten sie Personalentwicklern und -entwicklerinnen sowie Führungskräften die Möglichkeit, die Belegschaft gezielt in ihren Stärken weiterzuentwickeln. Wie Mitarbeitergespräche als strategische Performance Tools für HR funktionieren, erfahren Sie in diesem kostenlosen Whitepaper.


Und wie sehen unser "What?" und "How?" aus?

Auf Basis dieser Erkenntnisse entwickelten wir gemeinsam mit dem Betriebsrat einen Prototyp des neuen Mitarbeitergesprächs. Dieses war zeitlich flexibler und hatte die Entwicklung der Mitarbeitenden stärker im Fokus. Nach positivem Feedback aus dem Soundingboard wurde die Weiterentwicklung mit dem Betriebsrat final abgestimmt und in der entsprechenden Konzernbetriebsvereinbarung dokumentiert.

Seit 2019 haben wir bei Axa vier Ziel- und Feedbackgespräche, in jedem Quartal eines. Wir empfehlen in diesen verpflichtenden Gesprächen besonderen Fokus auf Entwicklungsziele zu legen, welche dazu führen, dass die Mitarbeitenden besser in ihren Teams und Aufgaben wirken können und so indirekt die Entwicklung und Performance der Organisation hebeln. Ziele, welche nur aus Verlegenheit dokumentiert und ein Abbild des ohnehin festgelegten Tagesgeschäfts sind, sollen möglichst nicht explizit vereinbart werden.

Einmal im Jahr wird dieses Ziel- und Feedbackgespräch zum Jahresgespräch, in dem Führungskräfte und Mitarbeitende gemeinsam reflektieren und dokumentieren, was im Laufe des Jahres gut und nicht so gut gelaufen ist. Es wird gemeinsam besprochen, wo die Führungskraft unterstützen kann, wie die Gesamtleistung einzuschätzen ist und welche Ziele als nächstes anstehen.

Je nach Bereich gibt es natürlich individuellen Bedarf, weshalb wir mit Empfehlungen bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung der Gespräche arbeiten und keine strikten Vorgaben geben. Wir haben von einigen Führungskräften das Feedback erhalten, dass diese Form des Mitarbeitergesprächsprozesses gut mit ihren ohnehin regelmäßig stattfindenden Feedbackgesprächen und Jours Fix vereinbar ist und so kaum Mehraufwand erfordert. Unsere Mitarbeitenden bekommen regelmäßig offizielles Feedback, reflektieren mehrfach im Jahr ihren Entwicklungsprozess und das Ergebnis des einmal stattfindenden Jahresgesprächs ist in der Regel keine Überraschung.

Fazit und Empfehlungen für Mitarbeitergespräche

Manche Organisationen haben sich ganz gegen einen Mitarbeitergesprächsprozess entschieden und machen damit womöglich gute Erfahrungen. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, einen offiziellen Prozess beizubehalten und zu optimieren, welcher vielen Mitarbeitenden und Führungskräften Struktur und Verbindlichkeit für Feedback zu Arbeitsleistung und Entwicklungsprozessen gibt. Zudem passt die quartalsweise Taktung gut zu unseren Bereichen, die ihre strategischen Businessziele bereits mit OKRs (Objectives & Key Results) umsetzen.

Sind wir fertig mit der Weiterentwicklung unseres Mitarbeitergesprächsprozesses und wird er organisationsweit gelebt? Nein, sind wir nicht. Wie bei jedem Change braucht es Zeit, bis der neue Prozess nachhaltig in der Organisation Wurzeln schlagen kann. Unsere fortschreitende agile Transformation wirft immer wieder neue Fragen auf, die wir nicht direkt beantworten können. Im Moment pilotieren wir einen Prozess für agile Teams mit geteilter Führung.

Ich empfehle Ihnen, sich selbst zu fragen, was Sie mit Ihren Mitarbeitergesprächsprozessen eigentlich erreichen wollen. Was ist Ihr "Why" und welches "What" und "How" können Sie daraus schlussfolgern? Für uns hat es sich bewährt, mit möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen in der Organisation zu sprechen und diese, genauso wie den Betriebsrat, mit in die Weiterentwicklung einzubinden.


Tipp: Mehr Beiträge und Praxisbeispiele finden Sie im Buch "Future ready - People & Culture: HR als Treiber der Digitalisierung", das im Haufe-Shop erhältlich ist.


Zur Kolumne: Die Beiträge dieser Kolumne stammen von Mitgliedern des Roundtables Corporate Learning. Hier treten leitende Köpfe aus Personalwesen und Personalentwicklung vieler deutscher Unternehmen (zum Beispiel Adidas, Axa, Bayer, BASF, Festo, Funkemediengruppe, HP, Ikea, Lanxess, Lufthansa, Otto Group, SAP, Swiss-Post, Telekom, VW, Wilo u.v.m.) regelmäßig in Austausch. Offen werden aktuelle Erfolge und Schwierigkeiten vorgestellt und diskutiert. Geleitet und moderiert wird der Austauschkreis von Dr. Sina Faeckeler (Axa) und Dominique René Fara.