Zielgruppenorientierte Lernangebote für mehr Praxisrelevanz

Unsere neue Kolumne mit Beiträgen des Roundtable Corporate Learning lässt L&D-Expertinnen und -Experten zu Wort kommen. Zum Start gibt unsere Kolumnistin Kathrin Sommer Tipps, wie Lern- und Weiterbildungsangebote von Unternehmen auf die Zielgruppe zugeschnitten werden können.

Mein Vater, ein promovierter Chemiker, versuchte, mir zu meinen Oberstufenzeiten Chemie beizubringen. Der Erfolg blieb leider aus. Ich war zwar interessiert und lernbegeistert, aber er versuchte sein Wissen in seiner Fachsprache zu vermitteln und traf leider nicht den Punkt, an dem ich mit meinen Chemie-Kenntnissen stand. 

Als "Personaler" wissen wir: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Damit gemeint ist in diesem Fall, dass die Lern- und Weiterbildungsangebote eines Unternehmens auf die Zielgruppe zugeschnitten sein müssen.

Die "HR Elfenbeinturm-Lösungen" werden in der Praxis häufig nicht akzeptiert. Hybrid Learning, VR-Angebote, Lern-Communities. Alles modern und für die L&D (Learning and Development)-Expertinnen und -Experten attraktiv. Nur eben nicht passend, wenn die Zielgruppe etwas ganz Anderes braucht.

Damit wir die Situation richtig verstehen und die Lernangebote wirklich zur Praxis der Mitarbeitenden passen, werden bei der Gi Group die L&D Projektteams mit unterschiedlichen Personen besetzt: HR Business Partnerinnen, beauftragende Führungskräfte, Mitarbeitende aus unterschiedlichen Fachbereichen, Experten und Spezialistinnen. Alle zusammen definieren den Ausgangspunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln und erarbeiten Lösungen, die alle unterstützen und – vor allen Dingen – in der Realität Anwendung finden.

Das berücksichtigend ist unser Onboarding-Programm in folgenden Phasen entstanden:

1. Kläre die Auftrag gebende Person und deren Ziel.

Nimm dir Zeit, das Ziel konkret und messbar zu formulieren. Meine Top-Frage: Was soll hinterher anders sein als vorher? Woran erkennst du den Erfolg der Maßnahme? Das hilft, den Blick auf die Praxis zu lenken und nicht in Lösungen zu denken.

Unser Beispiel: Die Bereichsleiterin beschrieb die IST-Situation: Wir können neue Kolleginnen und Kollegen nicht gut genug ans Unternehmen binden. Die bestehenden Teams sind zu stark in die Einarbeitung involviert.

Unser Ziel definierten wir wie folgt: Wir reduzieren die Frühfluktuation. Wir entlasten die bestehenden Teams. Wir sorgen für eine messbare Steigerung der Mitarbeitenden-Zufriedenheit im Rahmen des Onboardings. 

2. Wenn die Auftrag gebende Person nicht zur Zielgruppe gehört, verifiziere das Ziel mit dem Adressatenkreis.

Unterstützt die Person, die für die Umsetzung verantwortlich ist, das Ziel? Findet sie das Ziel attraktiv? Wird sie supporten, motivieren und kontrollieren?

Unser Beispiel: Wir führten Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitenden: Wie läuft die Einarbeitung? Was sind die größten Probleme? Was ist richtig gut? Was würdest du dir wünschen? Was würde es besser machen?

3. Erstelle einen groben Projektablaufplan.

Welche Schritte sind notwendig? Wen brauchst du dafür? Ich arbeite dafür gerne mit Excel. Natürlich ist auch ein Trello-Board gut einsetzbar. Miro bietet ebenfalls hilfreiche Vorlagen zur Projektdefinition.

4. Starte das Projekt.

Meine Projekt Must-have-Phasen sind:

Kickoff: Ein Kickoff kann auch virtuell durchgeführt werden und sollte neben einer klaren Einführung des Projektes immer interaktive Elemente beinhalten. Ein Brainstorming geht hervorragend mit einem Miro-Board. Auch eine Powerpoint-Folie kann geteilt und live befüllt werden, zum Beispiel zu der Frage "Welche Superpower bringst du ins Projekt ein?"

Konzeption: Die Methodenverantwortung liegt beim L&D-Bereich. Das sollte klar kommuniziert werden, um Missverständnissen vorzubeugen.

Fragen an die Fachbereiche waren: Welches Wissen muss ein neues Teammitglied zuerst erlernen? Welche Dinge bauen aufeinander auf? Welche Überschriften / Kapitel können wir definieren? Wie sieht der Rote Faden im Tagesgeschäft aus? Die Expertenrunde gibt dabei den fachlichen Input.

Test: Wir haben nur 2 Monate vom Start bis zum Launch investiert. Dann waren die OnboardingApp, der Einarbeitungsplan, die Lernpläne im LMS (Learning Management System) inklusive der e-Learnings und Webinare bereit für den Roll-Out. Die Trainerinnen und Trainer waren gebrieft und die Einarbeitungsexperten trainiert. Die Starter eines Monats waren unsere Testgruppe.

Anpassung, Roll-Out mit Kommunikation, Review: Nach dem ersten Monat holten wir uns Feedback von Onboardees und Führungskräften. Wir ergänzten Inhalte und erinnerten mehrfach für eine nachhaltige Umsetzung.

Mein Tipp: Sammle Erfolgsstories und kommuniziere sie im Unternehmen. Erzähle Geschichten von Kolleginnen und Kollegen für Kolleginnen und Kollegen.

Übergabe in die Linie: Der Bereich, der für die Nutzung des Produktes verantwortlich ist, übernimmt auch die Verantwortung für die Review-Phasen.

Unser erstes Review machten wir nach 6 Monaten. Beteiligt waren wieder Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen: Führungskräfte, Onboardees, Expertenfunktionen und Trainerinnen und Trainer.  

Tipp: Nicht sofort in Lösungen denken

Größere Beachtung hat die Zielgruppenorientierung auch durch Methoden wie Design Thinking bekommen. In der Entwicklungsphase wird der Fokus auf die "persona" gelegt, die die lernende Person beschreibt und deren Herausforderung ausführlich analysiert, um daraufhin die passende Lösung zu gestalten. Oberste Prämisse: Nehmt euch Zeit, das Problem genau zu verstehen. Denkt nicht sofort in Lösungen.

Diese Herangehensweise ist auch deshalb gut geeignet, weil durch die Beteiligung der Zielgruppe die Praxistauglichkeit und damit die Akzeptanz der späteren Lösung erhöht wird.

Hätte mein Vater also zuerst mein Problem im Chemie-Unterricht analysiert anstatt mir direkt eine für ihn passende Lösung zu präsentieren, wüsste ich jetzt vielleicht mehr als nur das Periodensystem.


Zur Kolumne: Die Beiträge dieser Kolumne stammen von Mitgliedern des Roundtables Corporate Learning. Hier treten leitende Köpfe aus Personalwesen und Personalentwicklung vieler deutscher Unternehmen (zum Beispiel Adidas, Axa, Bayer, BASF, Festo, Funkemediengruppe, HP, Ikea, Lanxess, Lufthansa, Otto Group, SAP, Swiss-Post, Telekom, VW, Wilo u.v.m.) regelmäßig in Austausch. Offen werden aktuelle Erfolge und Schwierigkeiten vorgestellt und diskutiert. Geleitet und moderiert wird der Austauschkreis von Dr. Sina Faeckeler (Axa) und Dominique René Fara.

Schlagworte zum Thema:  E-Learning, Lernmethoden, Personalentwicklung