Personalentwicklung im Dschungelcamp

Haben auch Sie das Dschungelcamp verfolgt? Unser Kolumnist Oliver Maassen hat es sich angesehen – selbstverständlich aus rein beruflichen Gründen: Dahinter verberge sich ein Personalentwicklungsexperiment, schreibt er. Warum, lesen Sie unten – auch wenn Sie die Show dieses Jahr verpasst haben.

Ja, ich gebe es zu, auch ich gehörte dazu. Zu jenen Menschen, die in den vergangenen Wochen 16 Tage fast jeden Abend vor dem Fernseher saßen und elf Pseudo-Prominenten bei ihrem Dschungelurlaub zusahen.

Dschungelcamp: Darum geht‘s

Für alle, die das Format nicht kennen: RTL sperrt jedes Jahr eine Anzahl von halb bekannten TV-Gesichtern in den australischen Dschungel, wo sie mit sich selbst und miteinander klar kommen müssen. Nebenbei müssen die Teilnehmer Aufgaben erfüllen, von denen viele damit zu tun haben, eklige Dinge zu essen (von Maden bis Stierhoden), die in anderen Teilen der Welt als Delikatesse auf den Teller kommen.

Die Zuschauer bewerten mit ihren Anrufen die Leistungen und schmeißen jeden Tag einen Teilnehmer raus. Wer übrig bleibt, ist Dschungelkönig, in diesem Jahr ein junger Deutsch-Türke, der in der Vergangenheit allenfalls als Verlierer auf sich aufmerksam machte: Menderes Bagci.

Dschungelcamp als ideales Vorbild für Assessment Center

Wenn ich im Folgenden einige Erkenntnisse meines abendlichen Unterhaltungsprogramms auf die Personalentwicklung übertrage, dann versuche ich auch, mich von meinem TV-Konsum reinzuwaschen, indem ich ihn als beruflich motiviert deklariere.

Fangen wir beim Setting an. Es handelt sich durchaus um ein Assessment Center (AC) für Fortgeschrittene. Elf Kandidaten werden für einen vorgegeben Zeitrahmen von Beobachtern (in diesem Fall nicht geschulte Fernsehzuschauer) bewertet. Es gibt neben Gruppendiskussionen auch situative Übungen, für deren Lösung es Sterne gibt, die wiederum in Essen und Trinken eingetauscht werden. Die Konsolidierung der Eindrücke aus dem AC läuft über ein denkbar einfaches Scoring-Verfahren: Der Kandidat mit den meisten Anrufen gewinnt.

Personalentwicklungsexperiment mit Zuschauermanipulation

Die Zielsetzung eines Assessment-Centers besteht in der Regel darin, einen oder mehrere Kandidaten in bestimmte Situationen zu bringen, um dann ihr Verhalten zu beobachten und Rückschlüsse auf Kompetenzen und/oder Persönlichkeitseigenschaften zu ziehen.

In dieser Hinsicht ist das Dschungelcamp ein ideales Vorbild für alle ACs. Tag und Nacht unter Dauerbeoachtung, wenig zu tun und damit viel Zeit für Gespräche und Gezicke sowie der permanente Nahrungsentzug brachten die Stärken und Potenziale in der Persönlichkeitsstruktur der Dschungelkämpfer schnell ans Tageslicht.

Das Wiederholen der Ausraster in einer TV-Endlosschleife zeigte den Beobachtern daheim die "wahre" Seite ihrer Stars. Dass der Veranstalter des Personalentwicklungs-Experiments manipulativ über die Auswahl der gezeigten Szenen Einfluss auf die Beobachter genommen hat, muss ausdrücklich Erwähnung finden.

Menderes hat sich am besten aufs AC eingelassen

Viele, die das Camp gesehen haben, fragen sich sicher, warum ausgerechnet der unscheinbare, ja eigentlich fehlbesetzte Menderes Bagci am Ende zum Dschungelkönig wurde. Aus Personalentwicklungssicht lässt sich die Frage "Warum ausgerechnet Menderes?" leicht beantworten: Er hat sich auf die AC-Situation am besten eingelassen und sich am meisten entwickelt.

Eine andere Facette, warum er gewonnen hat, lautet: Weil wir alle ein Stück Menderes in uns tragen, alte Verletzungen, große Hoffnungen und die Sehnsucht nach etwas Geborgenheit. Denn Menderes war vor allem dadurch bekannt, dass er jedes Jahr in einem anderen deutschen Volks-Assessment-Center auftritt, bei "Deutschland sucht den Superstar".

Hier geht es um Gesangstalente – und Menderes verfügt sicher über keinerlei Talent in diesem Bereich. Er kam aber jedes Jahr wieder, um sich erneut rauswerfen zu lassen, und erlangte so einen Hauch von tragischer Berühmtheit.

Gewinner hat die größte Entwicklung durchgemacht

Dieser stille, höfliche junge Mann bewarb sich also im australischen AC, mit Sicherheit selbst davon überzeugt, gleich in der ersten Runde das Camp wieder zu verlassen. Erstaunlicherweise passierte das Gegenteil, Menderes nahm alle ihm gestellten Aufgaben an, biss sich – im wahrsten Sinne des Wortes – durch und gewann von Tag zu Tag mehr Selbstvertrauen und Format.

Aus den Gesprächen mit den anderen Teilnehmern zog er Energie und zeigte sich selbst zunehmend offen und authentisch. Ein inneres Seelenporträt entstand so für die Beobachter an den heimischen Flimmerkisten.

Die Zuschauer haben am Ende richtig entschieden, für den Kandidaten, der die größte Entwicklung durchgemacht hat und der den Spruch, der bei jedem Assessment als Tipp gegeben wird, offensichtlich beherzigt hat: "Sei Du selbst!"

Und nun? Eine Coaching-Ausbildung könnte helfen

Das Dschungel-Entwicklungs-AC wird für Menderes Bagci große Folgen haben, denn man weiß aus vergangenen Camps, dass die Sieger stets einen Karriereschub erfahren durften. Wir werden ihn also in den einschlägigen Medien jetzt öfter zu sehen bekommen und können seine weitere Entwicklung verfolgen.

Hoffentlich findet der junge Mann einen Sektor – jenseits des Gesangs – auf dem er dann auch wirklich überzeugen kann. Ich empfehle ihm eine Coaching-Ausbildung!

Kolumnist Oliver Maassen

Oliver Maassen ist seit 2013 Geschäftsführer der  Pawlik Consultants GmbH. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand und Personalchef der Unicredit Bank. In seinen früheren Funktionen verantwortete er die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Führungstrainings, Personalmarketing und Talent Management. Er ist Gründungsvorstand der Zukunftsallianz Arbeit und Gesellschaft (ZAAG).