Personalauswahl: Reality-Soap offenbart Fehler im Interview

Personalarbeit ist offenbar spannender als sich das so mancher vorstellt: Gerade ist die nächste Reality-Soap gestartet, die sich mit einer grundlegenden HR-Aufgabe beschäftigt. "Das Vorstellungsgespräch" heißt die neue Vox-Serie, in der Kandidaten geprüft werden. Wie viel HR-Können ist zu sehen?

Vor Kurzem erst war die Reality-Show "Unser neuer Chef" auf Kabel1 angelaufen, in der ein Team seine potenziell neue Führungskraft vor laufender Kamera testet. Schon länger läuft die Serie "Undercover Boss" auf RTL, in der ein Geschäftsführer verkleidet im Unternehmen nach dem Rechten schaut. 

Nun zieht der Sender Vox mit der Reality-Serie "Das Vorstellungsgespräch" nach: In jeder Folge werden zwei Unternehmen bei ihren Vorstellungsgesprächen begleitet. 

Vom Anforderungsprofil zur Personalauswahl

Ein paar Auszüge aus der ersten Folge von "Das Vorstellungsgespräch": Der Paketdienst UPS sucht einen Paketzusteller. Das Anforderungsprofil ist schnell erklärt. Körperliche Fitness und Spaß am Umgang mit den Kunden sind gefragt. "Wir sind ein sehr familiäres Unternehmen, weshalb wir viel Wert darauf legen, dass jemand tatsächlich ins Team passt", so die Personaldirektorin von UPS, Britta Weber. Das sollen die Bewerber durch eine offene, kommunikative Art im Gespräch und einige Aufgaben zu ihrem fahrerischen und logischen Können beweisen.

So sollen die Kandidaten erklären, welche Strecke zum Paketausliefern sie wählen würden, wenn auf Strecke A eine Grundschule liegt, auf Strecke B der Müllwagen fährt und auf Strecke C eine Tagesbaustelle mit Ampelanlage eingerichtet ist. Die Personalerin hilft einem Kandidaten bei der Antwort: Was denn am Ende des Tages wichtiger sei - dass das Paket pünktlich ankomme oder alle heil und gesund nach Hause kommen?

Einmal wird ein Kandidat damit konfrontiert, dass sein Führerscheinzeugnis einen Fehler aufweist: Er hätte danach die Ausbildung 2016 begonnen und 2015 abgeschlossen – ein Zeichen für Manipulation oder Schlampigkeit? Die Personalerin hakt ein: „Da hat man ein komisches Bauchgefühl oder Sie wirken nachlässig – das ist ja wohl beides nicht, wie Sie wirken wollen, oder?“

Die Auswahlmethodik mit Bauch und Kopf

Der UPS-Gebietsleiter für NRW, Robert Härtling, erklärt derweil seine Auswahlmethode: "Ich entscheide mit Bauch, Kopf und Herz. Das fließt alles mit rein. Man muss sich am Schluss auch wirklich ein Bild vom Gegenüber gemacht haben und da spielt wirklich alles eine Rolle."

Dazwischen werden Notizen der UPS-Mitarbeiter eingeblendet, die sie während des Gesprächs aufschreiben: "sehr sympathisch", "taut auf/ist interessiert".

Fehler im Interview

Allein diese Szenen zeigen - zumindest in der Art, wie sie zusammengeschnitten sind - schon einige typische Fehler im Interview: Den Interviews liegt keine klare Struktur mit einem Interviewleitfaden zugrunde, sodass auch nicht alle Bewerber die gleichen Fragen gestellt bekommen. Der Redeanteil der Interviewer scheint sehr hoch zu sein. Auch das Anforderungsprofil ist sehr knapp definiert. Für die Bewertung liegen keine fixen Kriterien, die zum Beispiel mit Punkten bewertet werden, zugrunde. 

Auch die Aussage, das Bauchgefühl in die Diagnostik einzubeziehen, ruft bei Psychologen Bauchschmerzen hervor - zu schnell verzerrt sich so eine Bewertung: "Seit Jahrzehnten beschäftigt man sich in der Psychologie mit der Frage, was in unserem Kopf abläuft, wenn wir andere Menschen beurteilen und hat dabei zahlreiche Phänomene einer systematisch verzerrten Urteilsbildung zu Tage gefördert", erklärt Professor Uwe-P. Kanning in seiner Kolumne über die Entzauberung der Menschenkenntnis. Er listet allein sieben Urteilsfehler auf: So lassen wir uns von Attraktivität, Ähnlichkeit, Maskulinität, Übergewicht, Namen, Akzent und sozialer Herkunft bei der Personalauswahl beeinflussen.

Doch es steckt tatsächlich viel Realität in der Reality-Soap. Denn ein strukturiertes Interview, bei dem zum Beispiel auch Punktwerte für wichtige Kriterien vergeben werden, ist selten, wie Kanning in einer Studie bestätigte. "Die Auswahlentscheidung fällt in vielen Unternehmen eher spontan, so sein Resümee."
 

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