Kolumne Psychologie: Körpersprache und Persönlichkeit

So manchen Mythos in der HR-Welt konnte Professor Uwe P. Kanning schon in seiner Kolumne aufklären. Mit psychologischen Fakten und einer großen Portion bissigem Humor begegnet er den Anhängern des Bauchgefühls – heute denen, die die Persönlichkeitsanalyse auf Körpersprache aufbauen.

Der Körpersprache haftet etwas Geheimnisvolles an. Viele Menschen glauben, dass sie einen direkten Weg zur wahren Natur eines Menschen eröffnet, weil die Körpersprache angeblich nicht kontrollierbar sei und unbewusst die Persönlichkeit spiegele.

Körpersprache – ein beliebter Inhalt der Ratgeberliteratur

Selbsternannte Menschenkenner werden sofort zustimmen, deuten sie doch von jeher das äußere Erscheinungsbild von Bewerbern, Mitarbeitern, Kollegen sowie Geschäftspartnern und haben mit ihren Diagnosen noch niemals daneben gelegen. Unterstützt wird diese Sichtweise durch lustige Ratgeberbüchlein, die uns lehren, dass Menschen, die die Arme vor dem Bauch verschränken, nicht offen seien oder ein Blick zur Seite den Lügner im Einstellungsinterview entlarvt. Aufgeklärte Zeitgenossen interessiert vielleicht, was die Forschung zu diesem Thema zu sagen hat. Für genau diese Zielgruppe sind die folgenden Zeilen gedacht.

Metastudie: Zusammenhang von Körpersprache und Persönlichkeit

Eine aktuelle Metastudie geht der Frage nach, inwieweit sich in der Körpersprache eines Menschen grundlegende Persönlichkeitsmerkmale, wie etwa Gewissenhaftigkeit oder soziale Verträglichkeit, spiegeln. Dabei werden zwei Perspektiven unterschieden: Zum einen geht es um die Frage, wie stark bestimmte Formen der Körpersprache – Mimik, Gestik, Bewegung von Kopf und Oberkörper – in einem Zusammenhang zu den Ergebnissen von Persönlichkeitstests stehen. Zum anderen wird untersucht, inwieweit Menschen diese Formen der Körpersprache heranziehen, um bei anderen Personen bestimmte Persönlichkeitsdeutungen vorzunehmen.

Beispiel: fester Blickkontakt als Zeichen von Gewissenhaftigkeit?

Verdeutlichen wir uns das Vorgehen an einem fiktiven Beispiel: Ein Bewerber hält im Einstellungsinterview mehr oder weniger intensiven Blickkontakt zum Interviewer. In der ersten Perspektive wird untersucht, inwieweit sich hierin beispielsweise die Gewissenhaftigkeit des Bewerbers spiegelt. Man könnte vermuten, dass Bewerber, die intensiven Blickkontakt halten, gewissenhafter sind und daher in einem Persönlichkeitstest auch höhere Werte erzielen als Bewerber, die wenig Blickkontakt halten. Je stärker der Zusammenhang zwischen Blickkontakt und Testergebnis ist, desto sinnvoller wäre es, den Blickkontakt als Ausdruck der Gewissenhaftigkeit des Bewerbers zu interpretieren.

In der zweiten Perspektive würde geschaut, inwieweit Interviewer die Intensität des Blickkontaktes als Ausdruck der Gewissenhaftigkeit interpretieren. Beide Perspektiven lassen sich anschließend vergleichen: Zu wie viel Prozent ermöglicht der Blickkontakt tatsächlich eine Aussage über die Gewissenhaftigkeit? Und zu wie viel Prozent interpretieren außenstehende Betrachter den Blickkontakt als Ausdruck der Gewissenhaftigkeit des Bewerbers?

Studienergebnisse: Körpersprache wird überinterpretiert

Die Studie kommt zu interessanten Ergebnissen:

  • In nur zehn Prozent der Fälle konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen konkreten Formen der Körpersprache und grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen nachgewiesen werden.
  • Die Größe des Zusammenhangs war dabei jeweils sehr gering. Sie lag zwischen einem und vier Prozent.
  • Beobachter assoziieren hingegen in 33 Prozent der Fälle Persönlichkeitsmerkmale mit konkreten Formen der Körpersprache.
  • Hier liegen die Zusammenhänge auch mit bis zu 34 Prozent deutlich höher.
  • In fast jedem dieser Fälle überschätzt der Menschenkenner die real vorhandene Aussagekraft der Körpersprache.

Körpersprache ist kein verlässliches Indiz für Persönlichkeitsmerkmale

Was bedeuten die Ergebnisse? Die Körpersprache ermöglicht nur in einem extrem geringen Maße Aussagen über die Persönlichkeit eines Menschen. Das Fünkchen Wahrheit glimmt also ein klein wenig. Aus Sicht vieler Menschen handelt es sich allerdings um ein loderndes Feuer. Sie nutzen in sehr viel stärkerem Maße die Körpersprache, um Persönlichkeitsmerkmale bei ihren Gesprächspartnern zu deuten, als dies sinnvoll ist. Im Ergebnis überinterpretieren sie massiv die Körpersprache und lesen hier etwas hinein, das eigentlich gar nicht drinsteckt.

Den Menschenkenner wird dies so wenig interessieren wie Donald Trump die Realität. Für all diejenigen, die fundiert Aussagen über die Persönlichkeit anderer Menschen treffen wollen, könnten die Ergebnisse eine Mahnung sein, sich eben nicht einfach auf das eigene Bauchurteil zu verlassen.

KI in der Diagnostik: Analyse der Körpersprache hilft nicht weiter

Mehr noch, im beginnenden Zeitalter der künstlichen Intelligenz glauben manche, dass der Computer alle diagnostischen Probleme beseitigen wird. Vereinzelte Unternehmen setzen bereits Softwarelösungen im Einstellungsinterview ein, bei denen unter anderem die Körpersprache der Bewerber gedeutet wird. Wenn aber von vornherein nicht viel drin steckt in der Körpersprache, kann auch die Software hier nicht sehr viel weiterhelfen.

Die Personaldiagnostik bleibt also bis auf Weiteres eine anspruchsvolle Aufgabe für Profis und zwar jenseits von Bauchgefühl und Algorithmus.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern, wie ein Akzent die Bewertung von Bewerbern beeinflusst oder wie "smart" gesetzte Ziele für eine Leistungssteigerung sein müssen.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Weiterbildung, Personalarbeit