Exitstrategie: Neustart nach Corona

Die Rückkehr in den Arbeitsalltag nach der Corona-Krise deutet sich an. Vieles wird anders sein, als es vorher war. Gleichzeitig bietet der Neustart eine Chance, wenn künftig eine Strategie der Resilienz das Arbeitsleben prägt.

In weiten Teilen der Welt nimmt die Ausbreitung des Coronavirus ab und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden gelockert. Für Unternehmen bedeutet das, sich auf eine Rückkehr vorzubereiten. Fest steht allerdings, dass es keine Rückkehr zum Normalzustand vor der Krise geben kann. Das liegt am Zusammenwirken mehrerer Faktoren. Die Gefahr neuerlicher Infektionswellen verlangt, dass viele der bisher ergriffenen Schutzmaßnahmen – soziale Distanzierung, häufiges Desinfizieren oder persönliche Schutzausrüstung zu tragen – auf absehbare Zeit fortgesetzt werden.

Nervosität aus der Corona-Erfahrung setzt sich fest

Nach Monaten des Abstandshaltens ist davon auszugehen, dass sich eine anhaltende Nervosität vor dem persönlichen Kontakt in unserer Psyche festgesetzt hat. Klar ist ebenfalls: Durch die weitgehende Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice während der Krise wird die Rolle des Arbeitsplatzes in den Unternehmen hinterfragt. Nicht zuletzt wird auch die kontinuierliche Zunahme der Automatisierung in Zeiten der Pandemie Arbeitsorganisationen verändern. Diese vier Faktoren sind lediglich ein Ausschnitt der Vielzahl an Veränderungsvariablen, durch die eine "Rückkehr" ganz anders aussehen wird.

Als eine der tiefgreifendsten Veränderungen der Geschäftsperspektive wird sich das Werteverhältnis infolge der Corona-Krise verschieben: Im Vergleich zur Effizienz, die bislang im Geschäftsleben als oberstes Gebot galt, wird die Resilienz deutlich an Bedeutung gewinnen. Um diese zu erreichen, muss eine Strategie zur (Neu-)Organisation von Arbeit die folgenden drei Aspekte berücksichtigen.

Nachhaltige Neuausrichtung des Geschäftsmodells

Um eine nachhaltige Neuausrichtung zu erreichen, muss die Kostenstruktur des Unternehmens gesenkt und die Flexibilität erhöht werden - durch eine Reduzierung von Fixkosten zugunsten von variablen Kosten (Reduzierung des "Operating Leverage"). Dabei muss die Optimierung des Arbeitserlebens der Mitarbeiter (die "Employee Experience") stets im Auge behalten werden.

Der Schlüssel um dieses Ziel zu erreichen, wird eine Strategie der Arbeitsorganisation sein, die neben festangestellten Mitarbeitern regelmäßig andere Arbeitsoptionen in den Blick nimmt, wie beispielsweise Automatisierung, Unternehmensallianzen, Freelancer und Outsourcing. Dadurch lassen sich Risiken streuen, Kosten optimieren und ein Zugang zu benötigten Fähigkeiten herstellen. Auch wenn in Deutschland einige dieser Optionen schwieriger umzusetzen sein mögen als andere, so ist doch die generelle Idee eines Portfolio-Ansatzes bei der Organisation von Arbeit für Unternehmen auf der ganzen Welt von entscheidender Bedeutung.

Aus früheren Rezessionen ist bekannt, dass Unternehmen in schwierigen Zeiten in der Regel aggressiver auf Automatisierung setzen, um Kosten zu reduzieren. Entscheidend wird diesmal jedoch sein, nicht nur die Kostenstruktur neu auszurichten – sonst droht die reelle Gefahr einer Erholung ohne Jobs. Vielmehr ist es grundlegend, dass sich die Kreativität und Innovation, die viele angesichts der beispiellosen wirtschaftlichen Herausforderung unter Beweis gestellt haben, auch auf die Nutzung von Automatisierungspotenzialen erstreckt. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie die drei Vorteile von Automatisierung nutzen: die Erledigung sich wiederholender, regelbasierter Aufgaben; die Anreicherung variabler Tätigkeiten mit neuen Optionen; und die Schaffung neuer Arbeit für den Menschen etwa als Datenwissenschaftler oder Robotertrainer. Um Resilienz zu erreichen, ist eine diversifizierte und integrative Personalstrategie erforderlich.

Flexible Rückkehr an den Arbeitsplatz ermöglichen

Zu den zentralen Fragen, die sich Unternehmen im Hinblick auf die Rückkehr nach der Corona-Krise stellen, gehören unter anderem:

  • Worin liegt künftig der Zweck des Arbeitsplatzes? Ist es die Arbeit an sich, die Zusammenarbeit mit den Kollegen, das Schaffen von Innovationen oder der Kundenkontakt?
  • Wie sind die Kosten für Bürogebäude und -einrichtung zu rechtfertigen?
  • Welche Arbeitstätigkeiten sollten nach der Rückkehr weiterhin von zuhause ausgeübt werden? Sollten Tätigkeiten, die unabhängig ausgeführt werden und wenig Interaktion mit Kollegen oder Kunden erfordern, weiterhin im Homeoffice stattfinden?
  • Wie muss sich Arbeit, die wieder am Arbeitsplatz ausgeübt wird, verändern (soziale Distanzierung, zusätzliche Anforderungen an den Arbeitsplatz und Schutzausrüstung zur Gewährleistung des Wohlbefindens, Neugestaltung der Arbeitsabläufe)?
  • Wie gehen wir bei Arbeiten, die weiterhin im Homeoffice stattfinden, von bestehenden Ad-hoc-Regelungen zu formelleren Prozessen über, um die Produktivität der Belegschaft zu gewährleisten?

Gewiss werden die Antworten auf diese Fragen je nach Branche unterschiedlich ausfallen. So werden produzierende Unternehmen wahrscheinlich den Großteil ihrer Belegschaft wieder an den Arbeitsplatz zurückholen müssen, während Dienstleistungsunternehmen mehr Möglichkeiten zur Telearbeit haben. Fest steht dagegen, dass die Erreichung eines resilienten Geschäftsmodells eine weitaus nuanciertere Sicht auf den Arbeitsplatz erfordern wird als vor der Krise.

Unternehmerisches Ökosystem zur Mittelbeschaffung nutzen

Ein ermutigendes Beispiel für Innovation während der Krise war die Idee einer "Talentbörse". Dabei teilten Unternehmen, deren Geschäft einen deutlichen Nachfragerückgang verzeichnete, ihre Mitarbeiter mit denen, die eine deutlich angestiegene Nachfrage bedienen mussten. So haben beispielsweise McDonald's und die Lebensmittelketten Aldi Süd und Aldi Nord ein solches Abkommen zum Austausch von Mitarbeitern geschlossen (hier geht es zum Interview mit McDonalds-Personalvorständin Sandra Mühlhause zur Personalpartnerschaft). Diese B2B-Austausche reduzieren die friktionalen Kosten und den Zeitaufwand, die typischerweise mit Personalübergängen einhergehen, und ermöglichen gleichzeitig bei den Mitarbeitern die Entwicklung neuer Fähigkeiten. Eine Perspektive auf Arbeitsorganisation einzunehmen, die über die Unternehmensgrenzen hinausblickt, wird entscheidend sein, um die allgemeine Resilienz der gesamten Wirtschaft gegenüber exogenen Schocks wie dem Coronavirus in Zukunft zu erhöhen.

Keiner kann vorhersagen, wie sich die Zukunft entwickeln wird. Es liegt aber in unserer kollektiven Verantwortung, dafür zu sorgen, dass unsere Organisationen und Volkswirtschaften gegenüber künftigen Schocks widerstandsfähig sind. Die drei hier beschriebenen Taktiken sind wesentliche Elemente einer Personalstrategie, die eine solche Resilienz fördert.


Zum Autor: Ravin Jesuthasan ist Managing Director bei Willis Towers Watson und Vordenker für die Zukunft der Arbeit. Er leitete Forschungsprojekte des World Economic Forums und publiziert regelmäßig Beiträge in Medien weltweit.


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