Employee Experience Management: Möglichkeiten und Nutzen

Die jährliche Mitarbeiterbefragung zählt nach wie vor zum festen Inventar an HR-Tools, ist jedoch wegen des Aufwands und ungeklärter ökonomischer Effekte umstritten. Ergänzt durch neue Befragungsformate und -technologien wird sie jedoch zu einer zentralen Säule eines ganzheitlichen Employee Experience Managements, dessen Nutzen sich auch messen lässt.

Die klassische Mitarbeiterbefragung ist umstritten: Der Aufwand ist hoch und der ökonomische Effekt im Unternehmen ungeklärt, auch wenn sich viele Belege für die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Produktivitäts-, Innovations- und Finanzkennzahlen finden lassen. Dennoch sind die Konsequenzen eines Wegfalls dieses Instruments schwer vorhersagbar: Wie viel verliert ein Unternehmen an Transparenz, neuen Impulsen, verbessertem Kundenfokus und vielen kleinen Verbesserungen, wenn diese Befragung ad acta gelegt wird – vom Signal an die Mitarbeiter ganz zu schweigen?

Neue Befragungsoptionen

Es lässt sich zwar von einer Wechselwirkung ausgehen, allerdings zeigt sich in Längsschnittanalysen ein stärkerer Effekt der Mitarbeitermotivation auf entsprechende Kennzahlen als umgekehrt. Einigkeit besteht darin, dass eine jährliche oder gar seltenere Befragung nicht die entscheidenden Momente der Mitarbeiter erfassen kann und deshalb viel Potenzial ungenutzt bleibt. Seit Technologie existiert, die das "Zuhören" in den entscheidenden Momenten erlaubt, verringert sich der Aufwand und es lassen sich vielerlei neue Potenziale aktivieren. Die folgenden Module können die jährliche Engagement-Befragung ergänzen.

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Lifecycle-Experience erheben und managen

Hiermit können Unternehmen frühzeitig erkennen, ob und in welchen Beschäftigungsphasen ihre Mitarbeiter unzufrieden sind und kritischen Situationen entgegenwirken. So verringern sie vorbeugend das Risiko, Talente zu verlieren, etwa schon in der Bewerbungs- oder Einarbeitungsphase, aber auch nach der Rückkehr aus der Elternzeit, bei der eigenen Performance-Beurteilung oder rund um die Weiterbildung. Durch die neuen Möglichkeiten der Automatisierung und technologischen Einbettung sinken sowohl der Aufwand zur Erfassung solcher Momente als auch die Kosten deutlich.

Ein einfaches Beispiel: Durch proaktives Employee-Experience-Management verlassen ein Prozent weniger wechselwillige Mitarbeiter das Unternehmen. Klingt das illusorisch? Wohl kaum. Die dadurch eingesparten Rekrutierungskosten übersteigen den Zusatzaufwand eines Experience-Management-Programms meistens um ein Vielfaches. Zwar müssten in solche Berechnungen auch viele „Nebenwirkungen“ einbezogen werden; doch auch der versteckte Zusatznutzen (etwa keine ausfallbedingten Produktivitätsverluste) ist nicht einkalkuliert. Das Resultat spricht für sich selbst.

Mit Pulse Checks Fortschritte überprüfen

Kurze, teils stichprobenartige Befragungen helfen nicht nur für die Fortschrittsüberprüfung zur Engagement-Befragung, sondern auch bei vielerlei ergänzenden Themen – beispielsweise die interne Kundenzufriedenheit mit der Rechts- oder Personalabteilung. Darüber hinaus erleichtern sie das Management bestimmter Zielgruppen (wie Expatriates oder Contingency Workers), liefern wichtigen Input für Vertiefungsthemen (Corporate Social Responsibility, Innovationskultur und Compliance) und fungieren als Führungsinstrument in Veränderungssituationen (etwa Mergers & Acquisitions oder Reorganisation).

Auch psychische Gefährdungsbeurteilungen lassen sich hiermit durchführen. Die individuellen Folgen und unternehmerischen Kosten von psychisch überbelasteten Mitarbeitern sind sicherlich hinreichend bekannt. Dies alles lässt sich mit der klassischen Engagement-Befragung nur ansatzweise adressieren. Punktuelle sowie regelmäßige Pulse Checks bieten jedoch die Möglichkeit, die jährliche Befragung inhaltlich zu verschlanken und attraktiver zu machen.

"Die 360-Grad-Evaluation ist einer der typischen Engagement-Treiber und dadurch ein maßgeblicher Performance-Hebel." Dr. Roland Abel 

360-Grad-Evaluation zur Verbesserung der Führungskultur

Insbesondere als Mittel zur Verbesserung von Führungsstil und -kultur adressiert die 360-Grad-Evaluation einen der typischen Engagement-Treiber und dadurch einen maßgeblichen Performance-Hebel. Der Nutzen kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn eine Verknüpfung mit dem Personalsystem gelingt und die Technologie flexibel genug ist, um die unternehmensspezifischen Führungsleitlinien und -modelle zu spiegeln.

Tech Experience: Überforderung aufdecken

Mitarbeiter sind im Umgang mit neuen IT-Systemen oft überfordert oder frustriert. Viele melden sich nicht mal beim IT-Support, da dieser oft weitere Fragen aufwirft. Diese Empfindungen werden von Unternehmen jedoch kaum aktiv erfasst. Dabei ist das Nutzenpotenzial enorm: Wenn es einem Unternehmen beispielsweise gelingt, durch besseres Tech-Experience-Management pro Mitarbeiter nur eine Stunde im Jahr für produktives Arbeiten freizuschaufeln, ist das sicherlich ein mehr als realistisches und erfreuliches Szenario; der enorme monetäre Effekt ebenso.

Die vielen kleineren Nutzenpotenziale aus spontanen Abstimmungen, Ideensammlungen und Feedbackmessungen (wie Veranstaltungen oder Kantine) und Rückmeldungen aus „Always-on“-Formaten ergänzen dieses Spektrum. Ebenso lassen sich Conjoint-Techniken nutzen, um die optimale Balance aus Wünschen und Kosten bei verschiedenen Mitarbeitergruppen zu bestimmen, beispielsweise beim Thema Sozialleistungen. Doch womit lassen sich die Skeptiker noch besser überzeugen?

Die ökonomischen Effekte von Mitarbeiterbefragung und Employee Experience Management

Um Vorbehalte zu Befragungsmüdigkeit oder Zusatzarbeit in HR zu entkräften, lassen sich gute Argumente rund um die Notwendigkeit von EX-Management in einer veränderten Arbeitswelt anführen. Hierzu gehören die zunehmende Nachfrage nach Arbeitskräften, der Umgang mit völlig neuen Arbeitsfeldern- und methoden oder der Abbau hierarchischer Ebenen. Die neuen technologischen Möglichkeiten sind hier für „Gamechanger“ da. Entscheidend ist es aber, wenn Zählbares dabei herausspringt. Der Return on Investment ist insbesondere in Kombination mit dem Management von Customer Experience enorm – laut Forresters Berechnung (2019) beträgt der „Total Economic Impact“ einer solchen Kombination nach drei Jahren bis zu 633 Prozent.

"Positive Ansteckungsgefahr" im Unternehmen

Motivierte Mitarbeiter und stabile Belegschaften führen nicht nur zu höherer Kundenzufriedenheit und -treue, sondern auch umgekehrt: Mitarbeiter empfinden mehr Anerkennung und Sinnstiftung – man könnte fast von einer positiven „Ansteckungsgefahr“ im Unternehmen sprechen. Allerdings ist es auf Unternehmensebene meistens kompliziert, den genauen Effekt von EX-Management nachzuweisen. Im Rahmen von Linkage-Analysen werden beispielsweise genügend Experience-Daten sowie standardisierte Kennzahlen benötigt – bestenfalls zeitversetzt. Die Erfahrung zeigt jedoch: Immer dann, wenn es methodisch machbar ist, lassen sich deutliche Effekte identifizieren.

Die Integrationsmöglichkeiten mit HRIS-Daten (Experience- kombiniert mit operativen Daten) eröffnen hierfür zunehmend bessere Perspektiven. Operative Daten lassen sich als demografische Filter verwenden und sich zudem durch Experience-Daten prognostizieren. Spannend wird es, wenn hierfür nicht mehr nur eine Experience-Quelle genutzt wird, sondern mehrere kombiniert werden. Dadurch können die entscheidenden Stellschrauben zur Steigerung der operativen Kennzahlen identifiziert werden.

Employee Experience Management erfordert ganzheitliche Herangehensweise

Im Vorfeld solcher Analysen empfiehlt es sich, den potenziellen ökonomischen Nutzen eines besseren Managements von Employee Experience zu simulieren, insbesondere mit Blick auf die Produktivitätsentwicklung, Kostenersparnis und Erschließung von Effizienzpotenzialen. Eine solche Simulation einer ganzheitlichen Herangehensweise ist allerdings nicht mit einer simplen Formel umsetzbar. Vielmehr sollte sie folgende Kriterien erfüllen:

  • Erfassung der Ausgangslage: Mitarbeiteranzahl, -produktivität, Personalkosten, durchschnittliche Bleibedauer der Mitarbeiter, Rekrutierungskosten, HR-Investition je Mitarbeiter, aber auch die bisherigen Kosten für Befragungen (Anbieter und eigener Aufwand). Zudem gilt es, die bisherige Komplexität und den Reifegrad der eigenen Aktivitäten zu klassifizieren.
  • Realistische Entwicklungsambitionen: Angepeilte Ausbaustufe im Employee-Experience-Management – etwa differenziert nach Elementen der Feedbacksammlung, Datenverarbeitung, Datenanalyse und Maßnahmenplanung
  • Geschätzte Kostenveränderung (Anbieter und Aufwand) im Zeitverlauf
  • Realistische Modell-Annahmen, wie der durchschnittliche Produktivitätsbeitrag von Mitarbeitern im Zeitverlauf (anfänglich stark steigend und später langsam fallend), schrittweise Entwicklung des Employee-Experience-Managements über die ersten ein bis drei Jahre hinweg.

Zumeist führen diese Simulationen zu echten Aha-Effekten, wenngleich sie – wie jedes Modell – nicht präzise vorhersagen, sondern nur das ungefähre Potenzial aufzeigen können. Viele Unternehmen sind sich des ungenutzten Potenzials jedoch gar nicht bewusst.

"Solange Mitarbeiter nicht das Gefühl haben, ihre Meinung sei dem Unternehmen wichtig oder sie können etwas bewirken, lässt sich das Potenzial von EX kaum nutzen." Dr. Roland Abel

Viel ungenutztes Potenzial

Das Potenzial von EX-Management wird mehrheitlich nicht ausgeschöpft. Einer neuen weltweiten Qualtrics-Studie zufolge berichteten im Oktober 2019 lediglich 32 Prozent der deutschen Beschäftigten (500 Befragte), dass ihr Arbeitgeber ihr Feedback quartalsweise oder öfters erfasst, obwohl viermal pro Jahr gemäß Vorjahresstudie der am häufigsten bevorzugte Rhythmus ist. Immerhin 24 Prozent berichten, dass sie Feedback zu Training und eigener Entwicklung geben können. Alle anderen ergänzenden Feedbackgelegenheiten werden deutlich seltener genannt (jeweils unter zehn Prozent). Diese Zurückhaltung zeigt, dass regelmäßiges Feedbackgeben in den meisten Unternehmen noch nicht zur Normalität gehört. Solange Mitarbeiter nicht das Gefühl haben, ihre Meinung sei dem Unternehmen wichtig oder sie können etwas bewirken, sondern sich stattdessen eher vor negativen Konsequenzen fürchten, lässt sich das Potenzial von EX kaum nutzen.

Rahmenbedingungen für Feedbackkultur schaffen

EX-Management bedeutet nicht nur effizienter zuzuhören, sondern auch die Rahmenbedingungen für eine wertvolle Feedbackkultur zu schaffen. Hierzu gehört zuallererst das Arbeiten mit den Ergebnissen. Im Idealfall werden Mitarbeiter über diese informiert und direkt mit einbezogen. Ziel ist es, durch das Adressieren der richtigen Themen für die richtigen Zielgruppen zu den entscheidenden Zeitpunkten eine höhere Relevanz der Ergebnisse zu erzielen. Wer mehr bewegen will, sollte nicht nur effizienter zuhören, sondern besser. Das erfordert zumeist ein Umdenken und eine ganzheitliche Herangehensweise, die die verschiedenen Aktivitäten, Daten und Schlussfolgerungen bündelt. Dazu zählen sowohl ein klug gesteuertes EX-Programm als auch eine Software mit flexiblen Integrationsoptionen, wie die Chance zum Ausprobieren, beispielsweise durch eine einfache Konzeptanpassung in Fragebögen oder Dashboards.

Fazit

Die meisten Unternehmen schöpfen das ökonomische Potenzial von EX-Management bei weitem nicht aus. Sie nutzen weder die vielfältigen Möglichkeiten, noch schaffen sie die dafür notwendige Feedbackkultur. Die Vielfalt an guten Argumenten und neuer Technologie allein bewirken vermutlich noch kein Umdenken. Geeignete Simulationen können hierbei helfen. Wer dann vom Nutzen überzeugt ist, muss es „nur noch“ richtig machen. Die gute Nachricht ist: Es war noch nie einfacher, Employee Experience gut zu managen.


Zum Autor:  Dr. Roland Abel ist Head of Growth & Strategy - Employee Experience (EX) DACH bei Qualtrics. Qualtrics bietet unter anderem verschiedene Befragungstools sowie eine Employee-Experience-Plattform an. Abel unterstützt Qualtrics-Kunden bei der Erhebung von Experience-Daten. Dabei kümmerte er sich um die Konzeption und Auswertung der Umfragen, die Besprechung der Ergebnisse mit der Führungsebene und um die Planung von Folgeaktivitäten. Zuvor promovierte er in Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum.


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