Digitalisierung: Industrie 4.0 braucht Ausbildung 4.0

In Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben ist die Digitalisierung unterentwickelt - und das, obwohl sich Jugendliche mit digitalem Lernen wohl gut motivieren ließen. Das zeigt der "Monitor Digitale Bildung" der Bertelsmann Stiftung. Doch es gibt auch positive Beispiele aus der Praxis.

Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe in Deutschland drohen beim Umgang mit digitalen Medien den Anschluss zu verpassen - dabei ist das Interesse der Lehrlinge groß. Angesichts eines Rekordtiefs von nur noch rund 520.000 neuen Auszubildenden im Vorjahr und 41.000 nicht besetzten Lehrstellen stehen alle Beteiligten unter Druck, auf diesem Gebiet ihre Attraktivität zu erhöhen, heißt es im ersten " Monitor Digitale Bildung" der Bertelsmann-Stiftung.

Azubis nutzen gern digitale Medien zum Lernen

Demnach werde in den Berufsschulen zwar viel mit digitalen Präsentationstools gearbeitet, andere digitale Lernformate würden jedoch eher selten genutzt. Ganz anders sieht es aus, wenn die Auszubildenden zuhause lernen: Dann kommen vor allem Wikis, Videos, Chat-Dienste, elektronische Tests und soziale Netzwerke zum Einsatz. Von allen Schulabgängern gestalten vor allem Auszubildende mit Hauptschulabschluss Inhalte selbst (29 Prozent) und fühlen sich durch digitales Lernen besonders motiviert.

"Berufsschüler setzen digitale Medien beim Lernen zu Hause wesentlich häufiger ein als im Unterricht oder im Betrieb", kommentieren die Studienautoren dieses Ergebnis. Und sie wünschten sich auch von ihrer Berufsschule einen stärkeren Einsatz digitaler Medien.

Digitales Lernen ist mehr als ein Imagefaktor

Stiftungsvorstand Jörg Dräger mahnte daher Kurskorrekturen an: "Digitales Lernen ist weit mehr als ein Imagefaktor. Berufsschulen und Betriebe brauchen Strategien fürs digitale Zeitalter. Nur so können sie das Potenzial neuer Technologien für chancengerechte Bildung nutzen."

Derzeit hapere es jedoch oft schon an einer ausreichenden Infrastruktur an Berufsschulen: Nur in 38 Prozent der Berufsschulen sei die W-Lan-Qualität ausreichend, 40 Prozent dagegen hätten gar kein W-Lan. Daneben mangele es auch an didaktischen Konzepten, ergab die repräsentative Studie.

Lehrer sind nicht von digitalen Formaten überzeugt

Innovationen gingen vor allem durch erfahrene Lehrkräfte mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung aus, stellten die Autoren der Bertelmann-Studie fest. Zwar setzten 97 Prozent der Berufsschullehrer das Internet zur Recherche im Unterricht, aber nur maximal jeder dritte Lehrer und Ausbilder arbeite mit Lernmanagementsystemen, Selbstlernprogrammen oder entwickle selbst Inhalte.

Insgesamt sei nur jeder dritte Berufsschullehrer davon überzeugt, mit digitalen Lerntechnologien zu besseren Lernergebnissen bei seinen Schülern zu kommen.

Digitales Lernen: kaum Bedeutung in der betrieblichen Ausbildung

Ist die Berufsschule dem digitalen Lernen noch eher zugewandt, gilt das nicht für die Betriebe, lautet ein weiteres Ergebnis der Erhebung. Demnach messen 62 Prozent der Berufsschulrektoren digitalem Lernen eine Bedeutung zu, aber nicht einmal 30 Prozent der betrieblichen Ausbildungsleiter. Beide sind sich einig, dass es zur Attraktivität und zum positiven Image des Betriebs wie der Berufsschule beträgt, digitale Medien einzusetzen.

"Zwar hat das Youtube-Video die DVD abgelöst, zwar werden Unterrichtsmaterialien auch im PDF-Format statt als Fotokopie zur Verfügung gestellt", fasste die Stiftung die Ergebnisse ihrer neuen Studie zusammen. "Doch viele Rektoren der Berufsschulen und Ausbildungsleiter in den Betrieben erkennen im Einsatz digitaler Lernhilfen weniger eine strategische Herausforderung als vielmehr einen Imagefaktor."

Sonderprogramm für Digitalisierung der beruflichen Bildung

Das Bundesbildungsministerium hat Anfang dieses Jahres ein Sonderprogramm im Umfang von maximal 74 Millionen Euro bis 2019 vorgelegt, das die Digitalisierung in der beruflichen Bildung vorantreiben soll.

"Auszubildende müssen beispielsweise mit 3-D-Druckern oder Drohnen umgehen können", heißt es dort. Das Ziel: "modernste Rahmenbedingungen zu schaffen und dadurch eine zukunftsfähige Qualifizierung der Ausbildenden zu ermöglichen".

Digitales Lernen fördert Chancengerechtigkeit

Die Bertelsmann-Studie weist auf eine weiteren, sozialen Aspekt hin, auf den sich die geringe Bereitschaft zum digitalen Lernen auswirke: Damit bliebe nämlich die Chance ungenutzt, benachteiligte Gruppen von Jugendlichen besser zu integrieren. Denn: 34 Prozent der Azubis mit Hauptschulabschluss geben an, dass digitales Lernen sie motiviert.

Unter den Lehrlingen mit Abitur ist dieser Wert nur halb so hoch. "Bislang verpassen Berufsschulen und Betriebe diese Gelegenheit für mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit", schreiben die Autoren.

Über die Studie

Für den "Monitor Digitale Bildung" befragte das MMB-Institut in Essen für die Bertelsmann Stiftung rund 1.700 Auszubildende, 300 Berufsschullehrer, 120 Schulleiter, 200 betriebliche Ausbilder, 50 Ausbildungsleiter und 30 Experten aus Kammern, Berufsverbänden und Behörden.



Ausbildung 4.0 bei Bosch – Ein Beispiel aus der Praxis

Anders sieht es beim Automobilzulieferer Bosch aus. Mit der vernetzten Fertigung verändern sich die Anforderungen an die Mitarbeiter. Sie benötigen beispielsweise ein umfassenderes Wissen um die Abläufe in der Fertigung, da die Prozesse miteinander vernetzt sind. Das berücksichtigt Bosch bereits heute in der Ausbildung. „Wir brauchen neben Akademikern vor allem gut ausgebildete Facharbeiter in der vernetzten Fertigung. Industrie 4.0 braucht eine Ausbildung 4.0 – und genau die bieten wir unseren Auszubildenden“, sagt Christoph Kübel, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor der Robert Bosch GmbH.

Eigenständiges und interdisziplinäres Arbeiten fördern

In der Industrie 4.0 sind Maschinen und Produkte miteinander vernetzt und tauschen laufend Daten miteinander aus. IT-Kenntnisse werden daher zunehmend wichtig. Facharbeiter arbeiten auch häufiger in interdisziplinären, berufsfeldübergreifenden Projekten. „Wir übertragen unseren Azubis bereits in der Ausbildung mehr Eigen- und Projektverantwortung. In mehreren Praxiseinsätzen lernen sie die Arbeitsabläufe in der Fertigung und die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen kennen“, erläutert Siegfried Czock, Leiter Aus- und Weiterbildung in Deutschland. „Die Auszubildenden sind anschließend in der Lage, Veränderungen durch die digitale Vernetzung zu gestalten. Zugleich bauen sie ihre Kommunikationsfähigkeiten aus. Beides sind wichtige Fähigkeiten in der vernetzten Welt.“ Rund jeder fünfte Auszubildende im technisch-gewerblichen Bereich arbeitet zudem während der Ausbildung für mehrere Wochen an einem Standort im Ausland. Im Ausbildungsmodul „Junior Company“ sind die Auszubildenden Chef und erledigen eigenverantwortlich Aufträge fürs Werk.

Industrie 4.0 braucht Ausbildung 4.0

Auszubildende bei Bosch in Homburg erfahren beispielsweise bereits im ersten Ausbildungsjahr, wie die Produktion der Zukunft aussieht. So lernen sie intelligente Arbeitsplätze kennen, die sich dem Kenntnisstand des Mitarbeiters anpassen und ihn bei seiner Arbeit unterstützen. Im zweiten und dritten Lehrjahr wenden die Azubis ihr Wissen in realen Aufträgen an und sammeln so weitere Erfahrung in der vernetzten Fertigung. Zum Beispiel bauen sie einen Roboterstand um und ergänzen eine Funkstrecke, um Informationen mit einem Tablet austauschen zu können. Gleichzeitig geben sie ihr Wissen an Mitarbeiter im Werk weiter.

Ausbildungsinhalte, Lehrmethoden und Lernmedien wurden angepasst

„Durch den hohen Praxisanteil und die verschiedenen Projekte, an denen wir arbeiten können, ist Industrie 4.0 mehr als nur ein Schlagwort für uns“, erklärt Laura Kästner, Elektronikerin für Automatisierungstechnik im zweiten Ausbildungsjahr in Homburg. „Wir werden gut auf die vernetzte Zukunft vorbereitet.“ Czock ergänzt: „Unsere Ausbilder vor Ort überprüfen gemeinsam mit den Fachabteilungen laufend die benötigten Kompetenzen und passen Ausbildungsinhalte und Lehrmethoden an.“ Die vernetzte Industrie stellt auch Ausbilder und Schulen vor neue Herausforderungen bei der Vermittlung der benötigten Kompetenzen. Die Drive & Control Academy von Bosch Rexroth unterstützt betriebliche und schulische Ausbilder sowie Hochschulen mit Schulungen, Trainingssystemen und modernen Medien rund um das Zukunftsthema Industrie 4.0.


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