Ausbildung aufpolieren mit Trialem Studium
In den deutschen Ausbildungsbetrieben ist gerade das neue Ausbildungsjahr gestartet. Zu dessen Beginn sind noch tausende Lehrstellen unbesetzt: Allein in den Jobbörsen der Handwerkskammern seien derzeit noch 27.000 Ausbildungsplätze zu vergeben, sagte ein Sprecher des Zentralverbands des Deutschen Handwerks vergangene Woche gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Handwerk buhlt intensiv um Abiturienten
Dies liege zum einen daran, dass die Zahl der Schulabgänger stetig sinke. Zum anderen entschieden sich immer mehr junge Menschen für die Hochschulreife. "Wir buhlen seit einigen Jahren auch intensiv um Abiturienten, weil es einfach nicht mehr anders geht", so der Handwerksvertreter. Bedarf gebe es etwa an Elektronikern, Anlagenbauern oder Feinwerkmechanikern.
Dass Unternehmen immer größere Schwierigkeiten haben, passende Bewerber zu finden, belegte auch der kürzlich veröffentlichte Berufsbildungsbericht 2015: Er ergab für das vergangene Ausbildungsjahr einen neuen Höchststand an unbesetzten Ausbildungsstellen – während gleichzeitig die Zahl der unversorgten Bewerber zurückgegangen ist.
Alternative zu Imagepolitur und Goodies
Wie Unternehmen im Einzelnen um gute Azubis buhlen können, dazu mangelt es nicht an Vorschlägen – wie etwa die Reaktionen auf den Berufsbildungsbericht aus Politik und Wirtschaft zeigen. Mal soll das Image des Ausbildungsberufs aufpoliert, mal mit Goodies wie Smartphones oder Geldprämien gelockt werden.
Um mit der attraktiven Alternative Studium konkurrieren zu können, sind Ausbildungsbetriebe und Schulen aber auch gefordert, die Ausbildungsinhalte attraktiver zu gestalten – etwa mittels entstaubter Curricula und der Anreicherung von Lerninhalten.
Einen vielversprechenden Ansatz verfolgt das "Triale Studium": Hier wird die klassische Ausbildung nicht nur – wie beim Dualen Studium – mit einem (Bachelor-)Studiengang verbunden, sondern darüber hinaus noch mit einer Meisterqualifizierung angereichert. Die Zielgruppe dieses Studiums sind Abiturienten, die beispielsweise für spätere Führungsaufgaben qualifiziert werden sollen.
Curricula verlangt Trialen Studenten einiges ab
Seit fünf Jahren gibt es das Konzept, in zwei Trialen Studienprogrammen können sich Abiturienten auf Führungsaufgaben vorbereiten lassen: im Studiengang "Handwerksmanagement" an der staatlichen Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, der im kommenden Wintersemester zum ersten Mal startet, und im gleichnamigen Studiengang der privaten Fachhochschule des Mittelstands in Köln.
Ein Blick auf die Curricula zeigt, dass das Triale Studium den Studenten einiges abverlangt: So müssen sie bei beiden Studiengängen auch am Freitagabend und am Wochenende die Schulbank drücken. Nebenher arbeiten sie weitestgehend normal im Betrieb mit – im Kölner Studiengang sogar die meiste Zeit über in Vollzeit.
Trotz des hohen Pensums hätten alle Teilnehmer des ersten Studiendurchlaufs in Köln durchgehalten, berichtet Journalist Winfried Gertz, der sich im Auftrag des "Personalmagazins" in den Hochschulen und Betrieben umgehört hat, unter Berufung auf Studiengangleiter Professor Sascha Lord.
Triale Studenten gelten als sehr praxisorientiert
Auf dem Arbeitsmarkt scheinen die so trainierten Trialen Studenten anzukommen: Lord zufolge seien Triale Studenten wesentlich praxisorientierter als ihre Kommilitonen in anderen Studiengängen und zeigten höhere Leistungsbereitschaft, berichtet Gertz.
Der überwiegende Teil der ersten Studentengruppe habe sich aus Familienbetrieben rekrutiert, die ihre Kinder als Nachfolger aufbauen wollten, so Gertz weiter. Offenbar mit Erfolg: Seit 2010 hätten sich rund 100 Teilnehmer für das Programm immatrikuliert, die Fachhochschule des Mittelstands plane, das Programm künftig auch an anderen Standorten anzubieten.
"Heute will niemand mehr auf den Bau"
Weitere Zielgruppe der Schulen neben dem Familienbetrieb-Nachwuchs: die umworbenen Studienabbrecher. Das Triale Studium kann beiden Seiten neue Perspektiven bieten – gerade in Ausbildungsberufen, die als unattraktiv gelten. "Heute will doch niemand mehr auf den Bau", zitiert Gertz den Dachdeckermeister Jost Presuhn, in dessen Betrieb ein Studienabbrecher seine Lehre absolviert.
Presuhn verknüpft die Einstellung des Studenten als Azubi mit hohen Erwartungen, so Gertz. Nicht nur dessen betriebswirtschaftliches Wissen könne dem Betrieb helfen. "Ich verspreche mir während der Ausbildung, dass wir von ihm auch als Mensch profitieren", sagt Dachdeckermeister Presuhn gegenüber Gertz.
Den Beitrag "Drei Abschlüsse in fünf Jahren", in dem Winfried Gertz über Erfahrungen mit dem Trialen Studium berichtet, lesen Sie in Ausgabe 08/2015 des Personalmagazins.
In unserem Titel zum Thema "Ausbildung" in Heft 08/2015 lesen Sie außerdem,
- wie das Handwerk versucht, sein Image mit einer großangelegten Employer-Branding-Kampagne zu verbessern
- wie der Bildungsdienstleister Provadis gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-Universität München ein eignungsdiagnostisches Modell entwickelt hat, das helfen soll, Azubis zu identifizieren, die unterdurchschnittliche Werte in kognitiven Tests mit der passenden Persönlichkeit wettmachen
- wie zeitgemäße Entwicklungsformate wie Augmented-Reality-Learning das eigenständige Lernen von Azubis fördern können.
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