Agile Organisation braucht agile Organisationsstruktur

Eine agile Organisation gilt als überlebenswichtig für Unternehmen in der digitalen Transformation. Welche Rahmenbedingungen und Faktoren Agilität in einem Unternehmen fördern und welche sie eher behindern können, zeigt eine Studie der Hochschule Pforzheim.

Das Institut für Personalforschung an der Hochschule Pforzheim ist in einer explorativen Interviewstudie der Frage nachgegangen, was Praktikerinnen und Praktiker konkret unter Agilität fassen und wie sie diese gestalten (wollen). Im Artikel "Was ist Agilität und welche Vorteile bringt eine agile Organisation?" haben wir die vier zentralen Aspekte dargestellt, die in der Praxis unter dem Begriff Agilität verstanden werden:

  • Geschwindigkeit
  • Anpassungsfähigkeit
  • Kundenzentriertheit und
  • (agile) Haltung/Mindset.

Im Artikel haben wir auch herausgearbeitet, welche konkreten Beweggründe zur Beschäftigung mit Agilität genannt werden und welche Vorteile Agilität nach Ansicht der Praktikerinnen und Praktiker bietet.

Agilität braucht die richtigen Rahmenbedingungen

Für viele Unternehmen bleibt jedoch die zentrale Frage, welche Faktoren Agilität im Unternehmen fördern können und welche womöglich eher hinderlich sind, um Agilität im Unternehmen zu erzeugen und zu verankern. Im Folgenden zeigen wir auf, welche Erfolgsfaktoren und Hindernisse sich in der Praxis ergeben.

Agile Organisation: Was Agilität hemmt

Deutlich wird in unserer explorativen Studie, dass bestimmte Rahmenbedingungen als hinderlich für Agilität wahrgenommen werden beziehungsweise erkannt worden sind. Hierunter fallen insbesondere

  1. räumliche Gestaltung,
  2. Strukturen und Prozesse im Unternehmen sowie 
  3. bestimmte Verhaltensweisen von Organisationsmitgliedern.

Räumliche Rahmenbedingungen, die Agilität behindern

Bei den Interviewpersonen besteht Einigkeit darin, dass räumliche Rahmenbedingungen nicht zu unterschätzen sind. Einzelbüros, geschlossene Türen und wenig offene Arbeits- und Kommunikationsflächen sind dabei nur ein paar Beispiele, die demnach agiles Arbeiten behindern. So stellt eine Interviewperson fest: „Also wenn ich bei der physischen Arbeitsplatzumgebung Einzelbüros habe, und jeder hat eine geschlossene Tür, dann entwickelt sich natürlich auch so eine Kultur nicht [...] wenn sich alle nur irgendwie, sozusagen so ein bisschen verschanzen in ihren Büroburgen.“

Strukturelle Rahmenbedingungen, die Agilität behindern

Weiterhin lassen sich in der Interviewstudie strukturelle Rahmenbedingungen, wie starke und starre Reporting-Strukturen und damit verknüpfte klassische hierarchische Strukturen, als hemmende Faktoren identifizieren. Ergänzend hierzu werden organisatorische Routinen und Gremien sowie gesetzliche Regulierungen (insbesondere branchen- oder produktbezogene) als Hindernis für die Entwicklung hin zu einer agilen Organisation benannt. Zudem wird angemerkt, dass bestimmte klassische Führungs- und Personalinstrumente wie Zielvereinbarungen und Vergütungssys­teme neu gedacht werden müssen, da sie Agilität ansonsten zumindest behindern.

Verhaltensweisen von Führungskräften und Mitarbeitern, die Agilität hemmen

Schließlich stellen nach Einschätzung der Interviewten bestimmte Verhaltensweisen von Organisationsmitgliedern, seien es Führungskräfte oder Teammitglieder oder Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung, ein wesentliches Hemmnis für agiles Arbeiten dar. So entstehe beispielsweise durch fehlende Unterstützung, mangelndes Vertrauen und geringe Transparenz – sei es zwischen Führungskräften und Geführten, aber auch zwischen Teammitgliedern – eine Art Angstkultur, die agiles Denken und Handeln erschwere oder unmöglich mache. 

Deutlich wurde in unserer explorativen Studie, dass entsprechende Verhaltensweisen häufig verbunden sind mit bestehenden Strukturen, die solches Verhalten fördern oder zumindest nicht sanktionieren. Daher empfiehlt sich ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem strukturelle und auch räumliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.

Agile Organisationstruktur: Was Agilität fördert

Eine Abwesenheit der oben skizzierten Hemmnisse stellt sich in unserer Interviewstudie zwar als gute Ausgangslage, jedoch nicht als ausreichend dar, um agiles Arbeiten gewissermaßen automatisch zu fördern. Vielmehr lassen sich aus den Interviews drei Elemente herausarbeiten, die für Agilität in Unternehmen explizit förderlich scheinen: 

  1. Nähe,
  2. Transparenz und
  3. Offenheit. 

Werden diese drei Elemente im Detail betrachtet, so wird erneut deutlich, wie stark sie ineinandergreifen.

Nähe als förderndes Element für die agile Organisation

Das Element Nähe umfasst einen freundlichen, offenen, respektvollen und wertschätzenden Umgang der Organisationsmitglieder miteinander, sowohl zwischen Führungskräften und Geführten als auch zwischen den Beschäftigten. Ziel sollte es nach Ansicht der Interviewpersonen unbedingt sein, zur Förderung der Agilität im Unternehmen eine Kultur der Kommunikation auf Augenhöhe zu etablieren. Förderlich können demnach an dieser Stelle flache Hierarchien wirken. Unter Nähe wird weiterhin auch die bereits oben angesprochene räumliche Gestaltung genannt. Hier seien offene Flächen, die eine reibungslose Zusammenarbeit und eine direkte Kommunikation der Teammitglieder unterstützen und ermöglichen, von besonderer Bedeutung. „Direkte Kommunikation, das geht natürlich in so einem Umfeld, wo man keine Wände hat und fast auch keine Türen, wesentlich einfacher.“

Transparenz als förderndes Element für die agile Organisation

Hinsichtlich Transparenz als förderliches Element benennen die Interviewten vor allem transparente Strukturen und Prozesse. „Ein hohes Maß an Transparenz und Mitbestimmung – nicht Überhöhung von Hierarchie“ müssten im Mittelpunkt stehen. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten müssten klar und offen im Unternehmen kommuniziert werden. Zudem müsse die häufig auftretende Problematik von (fehlenden) „Schnittstellen“ angesprochen und verbessert werden: „Also dieses Silodenken abschaffen und dafür zu sorgen, dass Menschen miteinander das Richtige tun, anstatt irgendwie nur für sich“, wie die Interviewpartnerin formuliert. Eine klare Vision, wohin sich das Unternehmen entwickeln möchte – entsprechend ins Unternehmen kommuniziert – trägt nach Ansicht der Interviewten ebenfalls wesentlich zur Förderung von Agilität bei. Relevante Informationen müssten den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden, dies könne Unsicherheiten reduzieren und beuge Widerständen gegen Agilität vor. Gleichzeitig müsse hier jedoch auch fallweise konkret abgewogen werden, da ein Zuviel an Information wiederum Unsicherheit hervorrufen könne.

Offenheit als förderliches Element für die agile Organisation

Offenheit sehen die Interviewten bei allen Organisationsmitgliedern, insbesondere aber bei Führungskräften gefordert, um Agilität im Unternehmen zu ermöglichen und voranzutreiben. So müssten Führungskräfte bereit sein, Verantwortung abzugeben. Die Zusammenarbeit zwischen ihnen und den Mitarbeitenden sollte demnach durch Verlässlichkeit, gegenseitiges Vertrauen und Ehrlichkeit gekennzeichnet sein. Agilität bedeute schließlich, die Neugierde und den Mut der Mitarbeitenden zu wecken, neue Dinge auszuprobieren und andere Wege zu gehen – „indem wir als Führungskräfte unseren Mitarbeitern die Möglichkeit geben, Entscheidungen zu treffen, Fehler zu machen.“

Führungskräfte mit Vorbildfunktion

Im Vorangegangenen wurde deutlich: Egal ob hinsichtlich der in der Interviewstudie als hinderlich identifizierten Rahmenbedingungen (Räumlichkeiten, Strukturen, Verhaltensweisen) oder bezüglich der für Agilität im Unternehmen dienlichen Elemente (Nähe, Transparenz, Offenheit) – den Führungskräften wird eine entscheidende gestaltende Rolle zugesprochen.

Führungskräften kommt im Hinblick auf agilitätsförderliche Verhaltensweisen eine Vorbildfunktion zu. Verbunden ist dies mit einer veränderten Rolle der Führungskraft: Sie muss stärker als Coach fungieren, Mitarbeitende begleiten und befähigen. Transparenz und Verlässlichkeit können hierfür eine gute Ausgangslage und Schlüsselrolle für (mehr) Agilität darstellen. Fehlendes Vertrauen und fehlende Handlungsspielräume laufen agilem Arbeiten und Handeln hingegen zuwider. Agilität im Unternehmen wird insbesondere dann erschwert oder verhindert, wenn bei Führungskräften (und in der Folge in der Regel dann auch bei Mitarbeitenden) starkes Hierarchiedenken und/oder starkes Bereichsdenken (Silodenken) und entsprechende Handlungsweisen vorherrschen.

Der Weg zur agilen Organisation: Ganzheitlich ansetzen

Schlussendlich gilt für (mehr) Agilität im Unternehmen oder in bestimmten Unternehmensbereichen, dass verhältnismäßig schnell zu bewerkstelligende Maßnahmen zur Verbesserung von Rahmenbedingungen – wie zum Beispiel Räumlichkeiten – zwar zweifelsohne hilfreich, aber nicht ausreichend sind. Insbesondere für eine (ganzheitliche) Verstetigung agiler Arbeits- und Denkweisen sind ein entsprechend verändertes Verständnis und Verhalten hinsichtlich Zusammenarbeit und Führung vonnöten. Mit Edgar H. Schein gesprochen reicht es nicht, auf dem Weg zur agilen Organisation an der Oberfläche Veränderungen vorzunehmen; vielmehr ist Arbeit an den grundlegende Annahmen und Werten gefragt. „Es setzt eine Kultur voraus, die Menschen zeigt, wie es gehen kann.“

Fazit: Agilität aktiv fördern und begleiten

In der Praxis lassen sich einerseits konkrete Aspekte identifizieren, die Agilität im Unternehmen hemmen und andererseits Aspekte benennen, die Agilität im Unternehmen zu fördern scheinen. Als hemmende Rahmenbedingungen können bestimmte Räumlichkeiten, Strukturen und Verhaltensweisen (wie mangelndes Vertrauen) angesehen werden. Insbesondere klassische Hirarchiestrukturen und entsprechendes Verhalten spielen hier eine Rolle. Es sollten daher entsprechend aktiv (langfristige) Maßnahmen ergriffen werden, um Agilität im Unternehmen zu fördern. Langfristiges Ziel müsste die Entwicklung einer (veränderten) Unternehmenskultur für (mehr) Agilität im Unternehmen sein.

Zentral erscheint an dieser Stelle die Rolle der Führungskräfte, die durch ihr Handeln und Verhalten sowohl hemmend als auch fördernd auf Agilität im Unternehmen wirken können. Führungskräfte könnten, beispielsweise im Rahmen einer Führungskräfteentwicklung, darin unterstützt werden, sich vom häufig nach wie vor klassisch-hierarchisch geprägten Rollenverständnis zu lösen und stärker eine Rolle der Begleitung und Befähigung von Menschen zu erarbeiten. In diesem Zusammenhang gilt es nicht zuletzt, klassische Führungs- und Personalinstrumente wie Zielvereinbarungen und Vergütungssysteme neu zu denken. Nicht nur bei Führungskräften, auch bei Mitarbeitenden ohne Führungsverantwortung bestehen Vorurteile und (Verlust-)Ängste im Hinblick auf entsprechende Veränderungen. Die Organisation und ihre Mitglieder auf diesem Weg unterstützend zu begleiten, kann eine wesentliche Rolle für HR sein.



Über die Autoren:

Prof. Dr. Stephan Fischer ist Direktor des Instituts für Personalforschung an der Hochschule Pforzheim. Dr. Sabrina Weber und Annegret Zimmermann sind akademische Mitarbeiterinnen am Institut für Personalforschung an der Hochschule Pforzheim.


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