Rz. 4

Der 1. und 2. Abschnitt des BEEG gilt als (besonderer) Teil des Sozialgesetzbuches (§ 68 Nr. 15 SGB I). Aber lediglich das 1. Kapitel des 10. Buches des Sozialgesetzbuchs – und damit die §§ 1 bis 66 SGB X – werden gem. Abs. 1 für entsprechend anwendbar erklärt.

2.1 Die Anwendbarkeit des 1. Kapitels des SGB X

 

Rz. 5

Die ausdrückliche Erwähnung des 1. und 2. Abschnitts des BEEG (Abschnitt 3 des BEEG enthält Regelungen privatrechtlicher Natur und Abschnitt 4 Regelungen zur Statistik und Schlussvorschriften) in § 68 Nr. 15 SGB I und die hiermit verbundene Einordnung des BEEG als besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dennoch der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Regelungen des SGB X durch den Gesetzgeber bedurfte. Denn unmittelbar gilt das 1. Kapitel des SGB X nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB X als Teil des Bundesrechts nur für die Behörden des Bundes, nicht aber für die Behörden der Länder.

 

Rz. 6

Zuständig für die Ausführung des BEEG sind nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BEEG aber gerade die Landesbehörden. Für zum besonderen Teil des Sozialgesetzbuchs gehörende Gesetze bedarf es – wenn diese wie im Fall des BEEG erst nach dem Inkrafttreten des 1. Kapitels des SGB X erlassen wurden – nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB X erst einer entsprechenden gesetzlich verankerten Bezugnahme, aus der sich die Anwendbarkeit der §§ 1 bis 66 SGB X ergibt. Diese fehlende Verbindung hat der Gesetzgeber mit § 26 Abs. 1 hergestellt.[1]

 

Rz. 7

Zu den Vorschriften des 1. Kapitels des SGB X zählen etwa die allgemeinen sozialrechtlichen Verfahrensgrundsätze (§§ 8 bis 25 SGB X), die Vorschriften zum Rechtsbehelfsverfahren (§§ 62, 63 SGB X), aber auch der 2. Titel des SGB X und damit unter anderem § 42 Satz 1 SGB X[2] (Folgen von Verfahrens- und Formfehlern) und die Normen bzgl. Rücknahme, Widerruf und Aufhebung eines Verwaltungsakts (§§ 44 ff. SGB X). Gleichwohl sind die Vorschriften des 1. Kapitels des SGB X subsidiär, soweit das BEEG Sonderregelungen und Modifizierungen enthält.[3]

 

Rz. 8

Die ausdrückliche Bezugnahme auf das 1. Kapitel des SGB X in § 26 Abs. 1 bedeutet indes nicht, dass die das BEEG ausführenden Behörden nicht an die Bestimmungen zum Schutz der Sozialdaten (2. Kapitel des §§ 67 bis 85a SGB X) gebunden wären. Gleiches gilt im Übrigen für die Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander und die, deren Beziehungen zu Dritten regelnden, Normen des 3. Kapitels des SGB X (§§ 86 bis 119 SGB X). Diese gelten jedoch unmittelbar, ohne dass der Gesetzgeber sie für entsprechend anwendbar erklären musste.[4] Denn eine mit § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB X vergleichbare Regelung findet sich weder im 2. noch im 3. Abschnitt des SGB X.

[1] Vgl. HK-MuSchG/Conradis, § 26 BEEG, Rz. 3; von Roos/Blüggel in Schütze, § 1 SGB X, Rz. 6.
[3] Eine solche Sonderregelung war nicht in § 2 Abs. 7 Satz 4 BEEG a. F. bzw. § 2c Abs. 2 Satz 1 BEEG zu sehen, da mit dieser Vorschrift lediglich die Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen erleichtert, nicht jedoch die für die Gewährung des Elterngeldes zuständigen Stellen von ihrer Sachaufklärungspflicht nach § 26 Abs. 1 BEEG i. V. m. § 20 SGB X entbunden werden sollten (vgl. BSG, Urteil v. 3.12.2009, B 10 EG 3/09 R, BSGE 105, 84, juris, Rz. 27; BayLSG, Urteil v. 7.11.2012, L 12 EG 93/09, juris, Rz. 20). Inzwischen hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des BEEG zum 1.1.2015 und der Einfügung des § 2c Abs. 2 Satz 2 BEEG eine Vermutungsregelung bzgl. der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in den maßgeblichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen getroffen (vgl. BT-Drucks. 18/2583 S. 25 und § 2c Rz. 17).
[4] HK-MuSchG/Conradis, § 26 Rz. 3.

2.2 Exkurs: Aufhebung von Bewilligungsbescheiden

 

Rz. 9

Im Gegensatz zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und der Arbeitsförderung (SGB III) enthält das BEEG keine dem § 330 SGB III oder dem § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II vergleichbare Regelung. Vielmehr erklärt § 26 Abs. 1 ohne weitere Einschränkungen das 1. Kapitel des SGB X – und damit auch die §§ 45 ff. SGB X – für anwendbar. Dies hat u. a. zur Folge, dass es sich bei Rücknahme, Aufhebung und Widerruf von Bewilligungsbescheiden nicht ausschließlich um gebundene Entscheidungen handelt.

 

Rz. 10

Fällt der zuständigen Behörde demnach ein Ermessensspielraum zu, hat sie nach § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X alle für ihre Ermessensentscheidung relevanten und in diese einfließenden Gesichtspunkte in der Begründung zum Aufhebungsbescheid darzulegen.[1] Unterlässt die Behörde eine Ermessensausübung in Verkennung des ihr eingeräumten Ermessens (Ermessensnichtgebrauch) – etwa weil sie von einer gebundenen Entscheidung ausgeht –, ist der daraus resultierende Begründungsmangel nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens heilbar (§ 41 Abs. 1 SGB X). Eine Heilung im sozialgerichtlichen Verfahren scheidet hingegen aus.[2]

[1] Vgl. hierzu sowie den Ausnahmen von der Begründungspflicht: Schütze/Engelmann, § 35 SGB X, Rz. 6 ff.

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