Rz. 12

§ 3 Abs. 2 BetrVG eröffnet den Betriebsparteien die Möglichkeit, Abweichungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 und 5 BetrVG auch durch Betriebsvereinbarung zu schaffen, beschränkt diese Möglichkeit jedoch auf die Fälle, in denen keine tarifliche Regelung besteht und auch kein anderer Tarifvertrag gilt. Damit wird die Möglichkeit der Schaffung flexibler Vertretungsstrukturen erstmalig auch durch Betriebsvereinbarungen möglich.[1] Liegen die in § 3 Abs. 2 BetrVG genannten Voraussetzungen nicht vor, ist eine Betriebsvereinbarung über die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats unwirksam. Das Gesetz lässt Abweichungen von der gesetzlichen Betriebsverfassung nicht voraussetzungslos zu (BAG, Beschluss v. 13.3.2013, 7 ABR 70/11). Durch die Beschränkung auf die Fälle, in denen keine tarifliche Regelung besteht und auch kein anderer Tarifvertrag gilt, wird die Möglichkeit der Gestaltung durch Betriebsvereinbarung aber auf die wenigen Fälle beschränkt, in denen in einem Betrieb und/oder Unternehmen überhaupt keine Tarifverträge gelten.[2] Das Gesetz nennt keinerlei Einschränkung insoweit, was bedeutet, dass von der Geltung eines Tarifvertrags im Sinne dieser Vorschrift bereits dann auszugehen ist, wenn im Unternehmen irgendein Tarifvertrag (BAG, Beschluss v. 24.4.2013, 7 ABR 71/11), sei es aufgrund beidseitiger Tarifbindung, sei es aufgrund arbeitgeberseitiger Bindung, etwa bei Tarifnormen nach § 3 Abs. 2 TVG oder kraft hoheitlichen Akts nach § 5 TVG bei Allgemeinverbindlicherklärung[3]. Die somit festgelegte Regelungssperre in § 3 Abs. 2 BetrVG geht ihrem Wortlaut nach weit über die Tarifüblichkeitssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG hinaus, denn ausweislich der Gesetzesbegründung[4] soll die Regelungssperre bereits dann greifen, wenn überhaupt irgendein Tarifvertrag gilt[5]. Praktisch bedeutet dies, dass in einem Unternehmen, für das ein Haustarifvertrag zur Beschäftigungssicherung abgeschlossen ist, eine Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 2 BetrVG i. V. m. § 3 Abs. 1 BetrVG nicht mehr möglich ist, und zwar selbst, wenn dieser Haustarifvertrag keinerlei betriebsverfassungsrechtliche Regelungen enthält. Damit wird es den Tarifparteien an die Hand gegeben, Betriebsvereinbarungen nach § 3 Abs. 2 BetrVG letztlich unmöglich zu machen. Nicht ausreichend für eine Regelungssperre ist es, wenn in den Arbeitsverträgen der Arbeitnehmer eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers auf Tarifverträge Bezug genommen wird (BAG, Beschluss v. 24.4.2013, 7 ABR 71/11). Unklar ist auch, was mit einer Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 2 BetrVG geschieht, wenn nachträglich eine tarifliche Regelung im betroffenen Unternehmen zur Anwendung kommt, etwa weil der Arbeitgeber in einen tarifschließenden Arbeitgeberverband eintritt. Wird trotz des wie zuvor geschilderten, kaum vorhandenen Anwendungsbereichs zwischen den Betriebsparteien eine entsprechende Betriebsvereinbarung abgeschlossen, handelt es sich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung, die nicht über die Einigungsstelle herbeigeführt werden kann und nach ihrer Kündigung keine Nachwirkung zu entfalten vermag.[6] Bislang nicht geklärt ist die Frage, welche Konsequenzen ein Verstoß gegen die Regelungssperre des § 3 Abs. 2 BetrVG auf das gleichwohl errichtete Vertretung und die von dem Gremium getroffenen Regelungen hat (vgl. hierzu Spinner/Wiesenecker, Unwirksame Vereinbarungen über die Organisation der Betriebsverfassung).[7]

Für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über einen einheitlichen Betriebsrat im Unternehmen ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig. Es handelt sich um eine Angelegenheit, die das Gesamtunternehmen betrifft und die nicht durch die einzelnen Betriebsräte "innerhalb ihrer Betriebe" geregelt werden kann (BAG, Beschluss v. 24.4.2013, 7 ABR 71/11).

Voraussetzung für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 i. V. m. Abs. 2 BetrVG zur Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats ist auch hier, dass die Bildung des unternehmenseinheitlichen Betriebsrats einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient.

Dazu sind folgende Aspekte zu beachten (BAG, Beschluss v. 24.4.2013, 7 ABR 71/11):

  • Von besonderer Bedeutung ist, wo die mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen im Betrieb getroffen werden. Der Betriebsrat muss dort arbeiten, wo die wichtigen Entscheidungen im Betrieb getroffen werden.[8] Der Gesetzgeber ist deshalb davon ausgegangen, dass sich die Wahl eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats insbesondere dort anbietet, wo die Entscheidungskompetenzen in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten zentral auf Unternehmensebene angesiedelt sind.
  • Andererseits haben die Betriebsparteien bei der Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats nicht nur den Umstand zentralisierter unternehmerischer Entscheidungen, sondern auch den Grundsatz der Ortsnähe zu berücksichtigen. Insbesondere ist von Bedeutung, ob durch die mit der Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Bet...

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