Rz. 77

Ein Sozialplan muss nicht zwingend Abfindungen vorsehen. Er kann sich auf andere Milderungen oder Ausgleiche der Belastungen der Arbeitnehmer konzentrieren. Gerade durch die Einfügung des § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2a BetrVG zeigt der Gesetzgeber, dass die Sicherung von Beschäftigung und Beschäftigungsfähigkeit besonderes Gewicht bekommen soll. Dennoch kommt es in der Praxis selten vor, dass insbesondere der Betriebsrat zugunsten anderer Regelungen auf Sozialplanabfindungen verzichtet. Anzutreffen sind Sozialpläne, bei denen zur Milderung der Nachteile ausschließlich der Übertritt in eine Transfergesellschaft angeboten wird.

3.2.3.1 Abfindungsformeln

 

Rz. 78

Werden Abfindungen festgelegt, so ist jedenfalls der in § 75 BetrVG konkretisierte Gleichbehandlungssatz[1] zu beachten. In der Ausgestaltung bestehen dennoch große Gestaltungsspielräume. Demzufolge gibt es in der Praxis sehr unterschiedliche Regelungen. Die Betriebsparteien können etwa die Lage jedes Mitarbeiters individuell bewerten und den Sozialplan mit einem Anhang versehen, der für jeden Arbeitnehmer individuell eine Abfindungssumme vorsieht. In den meisten Fällen wird jedoch eine Abfindungsformel verwendet werden. Sie kann – im Rahmen des Gleichheitssatzes – frei gestaltet werden. Gebräuchlich sind einfache Formeln ebenso wie komplexere Formeln, die mehr Differenzierung ermöglichen.

 

Rz. 79

Seit dem 18.8.2006 ist bei Sozialplänen allerdings auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu beachten. Danach ist es weiter zulässig, bei Abfindungsformeln das Alter der Mitarbeiter und/oder die (meist dem Alter korrelierende) Betriebszugehörigkeit als Steuerungsinstrument zu verwenden. Allerdings ist nun erforderlich, dass bei der Differenzierung nach Lebensalter der Beschäftigten deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG regelt, dass eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig ist für Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, ggf. nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind. Die Regelung des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG verstößt nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung. Die Regelung ist i. S. v. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG durch ein vom nationalen Gesetzgeber verfolgtes legitimes Ziel gerechtfertigt. Es entspricht einem allgemeinen sozialpolitischen Interesse, dass Sozialpläne danach unterscheiden können, welche wirtschaftlichen Nachteile den Arbeitnehmern drohen, die durch eine Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren (BAG, Urteil v. 26.5.2009, 1 AZR 198/08).

Das BAG billigt den Betriebspartnern eine typisierende Betrachtung zu. Die mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen wirtschaftlichen Nachteile können mit steigendem Lebensalter zunächst zunehmen, weil die Gefahr längerer Arbeitslosigkeit typischerweise wächst, und können geringer sein, wenn Arbeitnehmer nach dem Bezug von Arbeitslosengeld in der Lage sind, Altersrente in Anspruch zu nehmen. Unwirksam sind Abfindungsformeln allenfalls dann, wenn sie das Lebensalter entgegen dieser typisierenden Regelung ohne Grund gestalten und z. B. jüngeren Arbeitnehmern höhere Abfindung zubilligen als Arbeitnehmern mittleren Lebensalters. Das gilt aber auch nur, soweit es für eine andere Regelung keinen sozialpolitisch nachvollziehbaren Grund gibt. So kann es zulässig sein, Facharbeitern höheren Lebensalters, die gleichwohl auf dem Arbeitsmarkt ohne weiteres eine neue Beschäftigung finden, geringere Abfindungen zuzusprechen als jüngeren ungelernten Mitarbeitern mit erheblichen Vermittlungsproblemen. Es kommt letztlich immer auf die konkrete Situation an und darauf, die Differenzierungen am Zweck von § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG auszurichten.

 

Rz. 80

In allen Fällen können Höchstbeträge festgelegt werden (BAG, Urteil v. 23.8.1988, 1 AZR 284/87), was allgemein und auch besonders für rentennahe Jahrgänge häufig praktiziert wird. Solche Kappungsgrenzen treffen naturgemäß überwiegend ältere Mitarbeiter, deren Abfindungen nach den Formeln besonders hoch sind. Damit liegt dem Grunde nach eine mittelbare Altersdiskriminierung vor (§ 3 Abs. 2 AGG). Diese ist aber schon nach der Generalklausel des § 10 Satz 1 und 2 AGG regelmäßig zulässig sein. Denn solche Regelungen bezwecken meist die Ausgewogenheit des Sozialplans dergestalt, dass nicht ältere Arbeitnehmer aufgrund von Sozialplanformeln den Löwenanteil des Budgets für sich beanspruchen und jüngeren Arbeitnehmern nur noch ein Rest verbleibt; sie können auch zur Korrektur von Formeln erforderlich sein, die jüngeren Mitarbeitern höhere Abfindungen gewähren sollen und bei älteren Mi...

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