1 Vorbemerkung

 

Rz. 1

Im Rahmen der Mitwirkungs- und Beschwerderechte der Arbeitnehmer regeln die §§ 84-86 BetrVG das Beschwerderecht des einzelnen Arbeitnehmers. Sie ergänzen die in den §§ 81-83 BetrVG geregelten Informations-, Anhörungs- und Erörterungsrechte. Die in §§ 84 ff. BetrVG geregelten Verfahren stellen sicher, dass die Anliegen der Arbeitnehmer im Betrieb Gehör finden. Dabei regelt § 84 BetrVG das individuelle Beschwerdeverfahren und § 85 das kollektive Beschwerdeverfahren. Der Arbeitnehmer kann frei entscheiden, ob er unmittelbar nach § 84 BetrVG Beschwerde beim Arbeitgeber einlegen oder ob er den Betriebsrat nach § 85 BetrVG einschalten will. Es ist auch möglich, dass er beide Verfahrenswege kumulativ beschreitet, die beiden Beschwerdeverfahren schließen einander nicht aus.[1]

Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, den Beschwerdeweg vor Erhebung einer arbeitsgerichtlichen Klage auszuschöpfen.[2] Es steht ihm auch frei, unmittelbar Klage gegen den Arbeitgeber zu erheben. Allerdings ist dabei zu beachten, dass der Arbeitnehmer im Fall eines sofortigen Anerkenntnisses des Arbeitgebers nach § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 93 ZPO die Prozesskosten zu tragen hat, wenn er nicht zuvor den Beschwerdeweg der §§ 84, 85 BetrVG beschritten oder den Anspruch außergerichtlich geltend gemacht hat.[3]

 

Rz. 2

Das Beschwerderecht ergibt sich unabhängig von der gesetzlichen Regelung in den §§ 84 ff. BetrVG aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und stellt ein Individualrecht des Arbeitnehmers dar. Hieraus folgt, dass das Beschwerderecht unabhängig davon besteht, ob in dem Betrieb ein Betriebsrat errichtet ist oder auch nur errichtet werden kann.[4] Folglich steht das Beschwerderecht allen Arbeitnehmern des Betriebes zu, insbesondere auch den leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG. Allerdings gelten die Verfahrensregeln des § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zur Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds und des § 85 BetrVG bezüglich der Entgegennahme der Beschwerde durch den Betriebsrat nur für Betriebe mit Betriebsrat und auch nur für Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG.

Aufgrund der ausdrücklichen Verweisungsvorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 3 AÜG gelten die §§ 84-86 BetrVG über das Beschwerdeverfahren im Entleiherbetrieb auch bezüglich der dort tätigen Leiharbeitnehmer, sodass diese sich mit ihren Beschwerden auch an den im Entleiherbetrieb errichteten Betriebsrat wenden können.

Leitende Angestellte können nach § 26 Abs. 1 SprAuG bei Beschwerden gegenüber dem Arbeitgeber ein Mitglied des Sprecherausschusses zur Unterstützung und Vermittlung heranziehen.

 

Rz. 3

Weitere gesetzliche Beschwerderechte finden sich etwa in § 17 Abs. 2 ArbSchG und § 13 AGG und §§ 112 ff. SeemG.

So räumt § 17 Abs. 2 ArbSchG den Arbeitnehmern ein spezielles Beschwerderecht bei nicht ausreichenden Arbeitsschutzmaßnahmen des Arbeitgebers ein. Bevor sich der Arbeitnehmer an eine Aufsichtsbehörde wendet, muss er den Arbeitgeber zur Abhilfe auffordern und ihm die Gelegenheit zur Abstellung der Mängel geben.

 

Rz. 4

Nach § 13 AGG haben die Beschäftigten das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt fühlen.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach § 13 AGBG gelten im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie bei den §§ 84 ff. BetrVG.

 

Rz. 5

Umstritten ist, ob hinsichtlich der Einrichtung oder Benennung der zuständigen Beschwerdestellen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht. Die Bestimmung der zuständigen Stelle fällt dabei in die Organisationshoheit des Arbeitgebers, die personelle Besetzung der Beschwerdestelle obliegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Beschluss v. 21.7.2009, 1 ABR 42/08[5]) dem Arbeitgeber. Der Betriebsrat hat nicht mitzubestimmen bei der Frage, wo der Arbeitgeber eine Beschwerdestelle errichtet, da es sich insoweit nicht um eine Frage der Ordnung des Betriebs oder des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb, sondern um eine mitbestimmungsfreie organisatorische Entscheidung des Arbeitgebers handelt. Daher kann der Arbeitgeber frei darüber entscheiden, ob er eine überbetriebliche Beschwerdestelle errichtet oder ob er diese im jeweiligen Betrieb schafft. Auch die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers, wen er mit der Entgegennahme von Beschwerden betraut, ist Teil seiner mitbestimmungsfreien Organisation.

Allerdings kommt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens in Betracht (BAG, Beschluss v. 22.7.2008, 1 ABR 40/07[6]; BAG Beschluss v. 21.7.2009, 1 ABR 42/08[7]). Die Einführung und Ausgestaltung eines Beschwerdeverfahrens nach § 13 AGG unterfällt der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 ...

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