Rz. 105

Nach der gesetzlichen Regelung in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG hat sich die Einigungsstelle beim Ausgleich oder bei der Minderung wirtschaftlicher Nachteile am Einzelfall zu orientieren. Die Einigungsstelle ist mithin gehalten, nicht pauschal und ohne Rücksicht auf die Situation einheitliche Abfindungszahlungen festzulegen, sondern festzustellen, welche Nachteile den betroffenen Arbeitnehmern oder Gruppen von Arbeitnehmern tatsächlich entstehen. Typische individuelle Merkmale wie Lebensalter, Unterhaltsverpflichtungen und Dauer der Betriebszugehörigkeit können dabei berücksichtigt werden. Unter Umständen sind Ausgleichszahlungen sogar ganz auszuschließen (BAG, Beschluss v. 28.9.1988, 1 ABR 23/87). Hier ist im Zweifelsfall die Hinzuziehung eines Mitarbeiters der Bundesagentur für Arbeit nach § 112 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hilfreich.

Ein von der Einigungsstelle beschlossener Sozialplan muss nicht zwingend Abfindungen für zu entlassende Arbeitnehmer vorsehen. Er kann stattdessen auch ggf. ausschließlich Transfermaßnahmen mit Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit (§ 110 ff. SGB III) vorsehen.

 

Rz. 106

Um den Einzelfall beurteilen zu können, kann und hat die Einigungsstelle ins Einzelne gehende Ermittlungen durchführen, und zwar nicht nur in Kleinbetrieben, sondern auch in mittleren und Großbetrieben; sie hat dabei allerdings Augenmaß walten zu lassen. Denn es soll nicht zu Verzögerungen durch bürokratische Ermittlungen kommen.[1]

 

Rz. 107

Nach der Regelung des § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG sind lediglich wirtschaftliche Nachteile, die nicht nur unwesentlich sein dürfen, auszugleichen. Sonstige Nachteile sind dagegen nicht zu berücksichtigen.

 
Praxis-Beispiel

Ein Arbeitnehmer wird aufgrund der Betriebsverlagerung aus der Großstadt an einen ländlichen Standort versetzt. Für den damit verbundenen Verlust an kulturellen Angeboten kann er keinen Ausgleich verlangen.

Der Weg zur Arbeit verlängert sich um 5 Minuten.

Auch Nachteile, die lediglich gering sind oder durch anderweitige Vorteile aufgehoben werden, sind nicht auszugleichen (BAG, Beschluss v. 28.9.1988, 1 ABR 23/87). In den Grenzen von Recht und Billigkeit kann die Einigungsstelle frei darüber entscheiden, welche Nachteile aus der Betriebsänderung bei der Regelung im Sozialplan berücksichtigt werden sollen (BAG, Beschluss v. 28.9.1988, 1 ABR 23/87).

 

Rz. 108

Dabei darf sie nach der Schwere der möglichen Nachteile und deren Vermeidbarkeit differenzieren (BAG, Urteil v. 26.7.1988, 1 AZR 156/87). Dem wird sie nicht gerecht, wenn sie z. B. für alle entlassenen Arbeitnehmer ohne Unterschied Abfindungen festschreibt, deren Höhe sich ausschließlich nach dem Monatseinkommen und der Dauer der Betriebszugehörigkeit bemisst (BAG, Beschluss v. 14.9.1994, 10 ABR 7/94). Gleiches gilt, wenn die Einigungsstelle lediglich pauschale Abfindungen vorsieht, obwohl eine Betriebsänderung ganz unterschiedlich in die wirtschaftlichen Verhältnisse der hiervon betroffenen Arbeitnehmer eingreift.

 

Rz. 109

Die in Einigungsstellen gefundenen Abfindungsformeln differieren daher ähnlich wie die frei vereinbarten. Auch im Einigungsstellenspruch ist allerdings häufig als Grundformel die Regelung "Betriebszugehörigkeit x Monatsverdienst x Faktor" anzutreffen. Auch die Einigungsstelle ist an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gebunden.[2] Der Faktor führt in der Regel zu Abfindungen zwischen 0,3 und einem Monatsentgelt pro Beschäftigungsjahr. Allerdings ist die Abfindung dann im Hinblick auf das Gebot der Einzelfallbetrachtung weiter zu differenzieren nach den Chancen auf dem Arbeitsmarkt und den erlittenen wirtschaftlichen Nachteilen. Ein "Gießkannensozialplan" ist anfechtbar. Das Gebot, den Ausgleich oder die Milderung der durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile für die Arbeitnehmer möglichst konkret vorzunehmen, schließt Pauschalierungen nicht aus, weil sonst die Aufstellung eines Sozialplans unnötig verzögert wird.[3] Pauschalierende Ansätze müssen aber der typischen individuellen Situation entsprechen, wie sie sich aus dem Lebensalter, den familiären Belastungen sowie besonderen persönlichen Eigenschaften, z. B. Schwerbehinderteneigenschaft, ergibt.[4]

Je nach Lage des Betriebs, der Struktur der Gesamtbelegschaft, des regionalen Arbeitsmarkts und der Verhandlungslage mit dem Betriebsrat kann einzelnen Elementen der Abfindung ein größeres Gewicht gegeben werden, auch können Divisoren für einzelne Abteilungen oder Berufsgruppen im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes unterschiedlich gestaltet werden. Eine Höchstgrenze bei der Bemessung der Abfindung sieht § 112 Abs. 5 BetrVG nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht vor (BAG, Beschluss v. 27.10.1987, 1 ABR 9/86). Allerdings kann ein Höchstbetrag für Abfindungen vereinbart werden (BAG, Urteil v. 23.8.1988, 1 AZR 284/87).

 

Rz. 110

Der Begriff "Monatsverdienst" sollte wie in vereinbarten Sozialplänen eigens definiert werden.[5]

Der Begriff "Betriebszugehörigkeit" kann in den Grenzen des Gleichbehandlungssatzes von ...

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