Rz. 36

Die Führung eines Kündigungsschutzprozesses allein vermag mit den damit immer verbundenen Spannungen eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zu begründen. Sachliche Äußerungen im Rahmen der Prozessführung sind regelmäßig von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Dies gilt auch bei Verwendung deutlicher und scharfer Formulierungen. Mit Entscheidung vom 9.9.2010[1] hat das BAG klargestellt, dass auch polemische und unhöfliche Formulierungen einer Partei oder eines Prozessbevollmächtigten durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt sind, solange sie einen sachlich nachvollziehbaren Bezug zu den maßgeblichen rechtlichen Fragen haben und die Grenzen zu persönlicher Schmähung, Gehässigkeit und bewusster Wahrheitswidrigkeit nicht übertreten sind.

 

Rz. 37

Vorwürfe oder Behauptungen, die nicht mehr von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt sind, können hingegen als Auflösungsgrund geeignet sein. Dies gilt z. B. bei vorsätzlich falschem Prozessvortrag. Allerdings muss ausgeschlossen sein, dass der falsche Vortrag auf einem bloßen Irrtum oder Nachlässigkeit beruht.[2] Es spielt keine Rolle, ob die wahrheitswidrige Behauptung für das Gericht entscheidungserheblich war. Ausreichend ist, dass dies hätte so sein können. Das Vertrauen in die Redlichkeit der Gegenseite kann auch in diesem Fall irreparabel zerstört sein.[3]

 
Praxis-Beispiel

Bei einer verhaltensbedingten Kündigung bestreitet der Arbeitnehmer wider besseres Wissen, dass er eine Abmahnung erhalten hat. Kommt das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass bei der gebotenen Interessenabwägung die ordentliche Kündigung auch bei Vorliegen einer Abmahnung sozial nicht gerechtfertigt ist, kann der vorsätzliche falsche Prozessvortrag Auflösungsgrund sein.[4]

Ausführungen von Prozessbevollmächtigten in Schriftsätzen sind im Hinblick auf § 85 Abs. 2 ZPO regelmäßig der vertretenen Partei zurechenbar. Daher kommt es nicht darauf an, ob ein Schriftsatz oder Vorbringen von einer Partei veranlasst war. Eine Partei kann sich nach Auffassung des BAG bei unfairen und herabsetzenden Äußerungen nicht hinter ihrem Anwalt verstecken.[5] Bei Vortrag eines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung kommt es darauf an, ob eine Partei sich diese Äußerungen zu eigen gemacht und sich auch nicht nachträglich ernsthaft distanziert hat.[6]

 
Praxis-Beispiel

(nach BAG, Urteil v. 10.6.2010, 2 AZR 297/09[7])

In dem vom BAG entschiedenen Fall hat ein Prozessbevollmächtigter eines in Nigeria geborenen Arbeitnehmers dem Arbeitgeber in der mündlichen Verhandlung vorgeworfen, die Kündigung liege allein an der "rassistischen Vorurteilsstruktur" des Personalreferenten. Es war in diesem Fall nach Auffassung des BAG durch das LAG aufzuklären, ob der Arbeitnehmer die Äußerung seines Prozessbevollmächtigten verstanden und wie er sich hierzu verhalten hat. Nach Zurückverweisung hat sich der Kläger nach Einschätzung des LAG am 25.1.2011 ernsthaft von der Äußerung seines Prozessbevollmächtigten vom 14.8.2008 distanziert, sodass das LAG den Auflösungsantrag zurückgewiesen hat.[8]

[1] BAG, Urteil v. 9.9.2010, 2 AZR 482/09, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64.
[2] BAG, Urteil v. 10.7.2008, 2 AZR 1111/06, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181.
[3] So ausdrücklich BAG, Urteil v. 24.5.2018, 2 AZR 73/18, NJW 2018, 3131, Rz. 26.
[4] Vgl. auch ErfK/Kiel, § 9 KSchG, Rz. 15.
[5] BAG, Urteil v. 10.6.2010, 2 AZR 297/09, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 63.
[6] BAG, Urteil v. 7.3.2002, 2 AZR 158/01, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42; BAG, Urteil v. 23.6.2005, 2 AZR 256/04, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52; Boecken/Düwell/Diller/Hanau/Eylert, § 9 KSchG, Rz. 32, einschränkend KR/Spilger, § 9 KSchG, Rz. 68.
[7] AP KSchG 1969 § 9 Nr. 63.
[8] LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15.3.2011, 3 Sa 618/10, LAGE, § 9 KSchG, Nr. 43 mit krit. Anm. Müller.

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