Rz. 120

Für das Verfahren der Massenentlassungsanzeige gelten die Regelungen des Sozialverwaltungsverfahrens. Ein Beteiligter kann sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 13 Abs. 1 SGB X; § 14 Abs. 5 VwVfG). Der Arbeitgeber kann sich also von seinem gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen (§§ 164 ff. BGB) Vertreter vertreten lassen. Im Insolvenzfall trifft den Insolvenzverwalter die Anzeigepflicht.[1] Bevollmächtigte sind zurückzuweisen, wenn sie entgegen § 3 RDG Rechtsdienstleistungen erbringen (§ 13 Abs. 5 SGB X); die bis zur Zurückweisung vorgenommenen Verfahrenshandlungen bleiben allerdings wirksam (arg. e contr. § 13 Abs. 7 Satz 2 SGB X; § 14 Abs. 7 Satz 2 VwVfG). Die Erstattung einer Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit (§ 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG) für ein verbundenes Unternehmen stellt allerdings nach § 2 Abs. 3 Nr. 6 RDG keine Rechtsdienstleistung i. S. d. § 2 Abs. 1 RDG dar.[2]

 

Rz. 121

Ebenso wie bei den Auskunfts- und Beratungspflichten gegenüber dem Betriebsrat kann sich der Arbeitgeber gegenüber der Agentur für Arbeit nicht darauf berufen, dass die Entscheidungen über die Massenentlassung von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen wurden und dass dieses die notwendigen Informationen nicht übermittelt (§ 17 Abs. 3a KSchG). Teilt der Arbeitgeber die zur ordnungsgemäßen Anzeige erforderlichen Angaben nicht (vollständig) mit, weil die Muttergesellschaft die Informationen vorenthält, kann der Arbeitgeber keine wirksame Anzeige erstatten, was Folgen für die kündigungsschutzrechtliche Situation der Arbeitnehmer hat.

 

Rz. 122

Der Arbeitgeber kann aus begründetem Anlass eine vorsorgliche Anzeige erstatten. Dies kommt einerseits bei unklarer Sachlage in Betracht, z. B. wenn der Arbeitgeber die Notwendigkeit und Anzahl der Entlassungen aufgrund einer wirtschaftlich ungeklärten Situation nicht sicher voraussehen kann.[3] Andererseits ist eine vorsorgliche Anzeige möglich, wenn die Rechtslage nicht eindeutig ist, ob die geplanten Entlassungen anzeigepflichtig sind oder nicht, wie etwa im Falle, dass eines von 2 Unternehmen, die einen Gemeinschaftsbetrieb unterhalten, seinen Betriebsteil stilllegt. Rechtsmissbräuchliche Anzeigen werden in der Praxis kaum jemals vorkommen. Unterrichtet der Arbeitgeber den Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG, ist bei der nachfolgenden Anzeige von der Ernstlichkeit seines Entlassungsbeschlusses auszugehen. Außerdem verlieren vorsorgliche Anzeigen ohnehin ihre Wirkung, wenn die Freifrist ohne Durchführung der Entlassungen (§ 18 Abs. 4 KSchG) abgelaufen ist.

[3] BAG, Urteil v. 3.10.1963, 2 AZR 160/63, AP KSchG § 15 Nr. 9; HWK/Molkenbur, § 17 KSchG Rz. 31; FW KSchG (Stand: 10.10.2017) Rz. 17.21.

6.1 Zuständige Agentur für Arbeit

 

Rz. 123

Die Anzeige (§ 17 Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG) und die Zuleitung der Kopie über die Mitteilung an den Betriebsrat (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG) sind an die zuständige Agentur für Arbeit zu richten. Zuständig ist die Arbeitsagentur, die für den von der Massenentlassung betroffenen – auf Grundlage des unionsrechtlichen Betriebsbegriffs (Rz. 51) zu bestimmenden – Betrieb örtlich zuständig ist, nicht diejenige am Unternehmenssitz.[1] Besteht die betriebliche Organisationsstruktur im Falle einer Betriebsstilllegung nicht mehr, ist die Anzeige bei der für die frühere Betriebsstätte zuständigen Arbeitsagentur zu erstatten.[2] Ist die Agentur für Arbeit, an welche die Anzeige übersandt wird, unzuständig, hat sie die Anzeige weiterzuleiten.[3] Hält sich die Agentur für Arbeit, an welche die Anzeige übersandt wird, fälschlicherweise für zuständig, und leitet die Anzeige deshalb nicht an die zuständige Agentur weiter, entlastet dies den Arbeitgeber nicht. Vielmehr sind die Massenentlassungsanzeige und nach bisheriger Rechtsprechung des BAG (zur beabsichtigten Rechtsprechungsänderung Rz. 159 ff.) in der Folge auch die ihr folgende Kündigung unwirksam, wenn die Anzeige bei einer unzuständigen Agentur für Arbeit erstattet wird.[4] Erst mit Eingang der Anzeige bei der zuständigen Arbeitsagentur wird die Anzeige wirksam (§ 130 Abs. 1 und 3 BGB) und setzt die Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 KSchG in Gang.[5]

 

Rz. 123a

Die Einreichung der Massenentlassungsanzeige bei 2 unterschiedlichen Agenturen für Arbeit (inklusive der zuständigen Arbeitsagentur) führt jedenfalls dann nicht zur Nichtigkeit (§ 134 BGB) einer nachfolgend ausgesprochenen Kündigung, wenn die Anzeige vollständige und zutreffende Angaben zu den für die örtliche Zuständigkeit möglicherweise relevanten Umständen enthält und der Arbeitgeber auf die mehrfache Einreichung hinweist. Es ist dann Sache der angegangenen Behörden, sich über die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung nach §§ 18, 20 KSchG abzustimmen.[6]

 

Rz. 123b

Die von der BA eröffnete Möglichkeit einer sog. Sammelanzeige unterliegt keinen unionsrechtlichen Bedenken.[7] Danach können Großunternehmen mit deutschlandweit...

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