Rz. 905

Der in § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2. KSchG geregelten Mitteilungspflicht kommt nach der Rechtsprechung des BAG auf prozessualer Ebene die Funktion einer abgestuften Verteilung der Darlegungslast zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu. Das BAG hat das Prinzip der abgestuften Darlegungs- und Beweislast aus § 138 ZPO entwickelt und die darin enthaltenen Grundsätze für das arbeitsgerichtliche Verfahren konkretisiert (zuletzt BAG, Urteil v. 21.5.2015, 8 AZR 409/13[1]). Die materiell-rechtliche Ausgestaltung dieser Verpflichtung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vom Gesetzgeber getroffene Interessenwertung auch in prozessualer Hinsicht zutrifft. Sie konkretisiert das auf der Darlegungs- und Beweisebene auch in anderen Bereichen anerkannte Prinzip der Sachnähe. Für die abgestufte Darlegungslast zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Bereich der sozialen Auswahl gelten folgende Grundsätze:

 

Rz. 906

Der Arbeitnehmer muss die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl behaupten. Sofern er Kenntnis von den die Mangelhaftigkeit der Sozialauswahl begründenden Tatsachen hat, muss er diese vortragen. Dabei genügt es nicht, dass er mit Hinweis auf die Sozialdaten der vergleichbaren Arbeitnehmer lediglich allgemein seine größere soziale Schutzbedürftigkeit behauptet. Bei Kenntnis der Vergleichsdaten hat er vielmehr diejenigen Arbeitnehmer namentlich zu nennen, die seiner Ansicht nach sozial weniger schutzbedürftig sind (BAG, Urteil v. 8.8.1985, 2 AZR 464/84[2]).

 

Rz. 907

Bei Unkenntnis der für die Sozialauswahl erheblichen Tatsachen genügt der Arbeitnehmer zunächst seiner Darlegungslast, wenn er pauschal die soziale Auswahl beanstandet und den Arbeitgeber auffordert, die Gründe mitzuteilen, die ihn zu der Auswahl veranlasst haben (BAG, Urteil v. 21.7.1988, 2 AZR 75/88[3]). Im Umfang seiner materiell-rechtlichen Auskunftspflicht geht damit die Darlegungslast auf den Arbeitgeber über, vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 a. E. KSchG. Als auskunftspflichtige darlegungsbelastete Partei hat der Arbeitgeber sodann die Gründe darzulegen, die ihn (subjektiv) zu der von ihm getroffenen Auswahl veranlasst haben. Eine Gesamtübersicht der Daten seiner Belegschaft muss der Arbeitgeber nicht vorlegen: Die Auskunftspflicht erstreckt sich nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG auf die tatsächlich getroffenen Erwägungen und nicht auf die, die der Arbeitgeber hätte treffen müssen (vgl. BAG, Urteil v. 28.1.2007, 2 AZR 796/05[4]).

 

Rz. 908

Kommt der Arbeitgeber der ihm hinsichtlich seiner subjektiven Auswahlüberlegungen obliegenden Darlegungslast vollständig nach, so hat der Arbeitnehmer wieder die volle Darlegungs- und Beweislast für eine objektiv fehlerhafte Auswahlentscheidung. Sofern der Arbeitgeber keine Auskunft erteilt und auch im Kündigungsschutzprozess keine Informationen ergänzt, ist es unstreitig, dass der Arbeitgeber soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat (BAG, Urteil v. 15.6.1989, 2 AZR 580/88[5]).

 

Rz. 909

Es kann sich gelegentlich bereits aus den Angaben des Arbeitgebers ergeben, dass das Auswahlverfahren objektiv nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Sozialauswahl entsprochen hat. In einem solchen Fall ist der Arbeitnehmer bis auf Weiteres von seiner Darlegungslast befreit, denn die Vermutung spricht dann dafür, dass auch die Auswahlentscheidung objektiv fehlerhaft und damit die Kündigung sozialwidrig ist. Es obliegt dann dem Arbeitgeber näher darzulegen, dass trotz des Verstoßes gegen § 1 Abs. 3 KSchG bei der Durchführung des Auswahlverfahrens gleichwohl der gekündigte Arbeitnehmer nicht fehlerhaft ausgewählt worden ist (BAG, Urteil v. 24.5.2005, 8 AZR 398/04[6]). Genügt der Arbeitgeber seiner Beweislast und bleiben dennoch Zweifel an der Richtigkeit der Sozialauswahl, so gehen diese zulasten des nach dem Gesetzeswortlaut insoweit beweispflichtigen Arbeitnehmers.[7]

 
Hinweis

Die Darlegungs- und Beweislast verteilt sich wie folgt:

  1. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen. Hat er Kenntnis von den Sozialdaten der vergleichbaren Arbeitnehmer, genügt die einfache Behauptung einer fehlerhaften Sozialauswahl nicht, vielmehr sind die nach Ansicht des gekündigten Arbeitnehmers weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer namentlich zu benennen. Sind dem Arbeitnehmer die Sozialdaten der Vergleichspersonen nicht bekannt, hat er einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber. Die Darlegungslast geht damit auf den Arbeitgeber über.
  2. Verweigert der Arbeitgeber die Auskunft, hat dies zur Folge, dass die getroffene Sozialauswahl unstreitig als fehlerhaft gilt. Stellt der Arbeitgeber die geforderten Informationen zur Verfügung, geht die Darlegungslast erneut auf den Arbeitnehmer über, der nun glaubhaft machen muss, dass vergleichbare Arbeitnehmer sozial weniger schutzbedürftig sind als er.
  3. Verbleibende Zweifel gehen zulasten des Arbeitnehmers.
[1] DB 2015 S. 2641; ErfK/Oetker, 22. Aufl. 2022, § 1 KSchG, Rz. 369.
[2] AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 10.
[3]...

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