[1] Zu den Ausnahmen von der Sozialauswahl umfassend Thüsing/Wege, RdA 2005, 12, 13 ff.

4.7.5.1.1 Allgemeines

 

Rz. 870

Nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen sind nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Ein solches Interesse kann sich insbesondere auf die Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der Arbeitnehmer gründen. Die genannten Merkmale werden häufig zusammengefasst und so beschriebene Arbeitnehmer als "Leistungsträger" bezeichnet. Dieser Begriff umfasst allerdings – insofern missverständlich – auch Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer besonderen Kenntnisse oder Fähigkeiten aus der Sozialauswahl ausscheiden.

 

Rz. 871

§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG statuiert eine Ausnahme von der Sozialauswahl aufgrund wichtiger Belange des Betriebs. Es ist daher keine vom Arbeitgeber zu erfüllende Pflicht, Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen – das Gesetz bietet ihm vielmehr die Möglichkeit, in der konkreten Situation zu entscheiden, ob er die "Leistungsträger" in die Sozialauswahl miteinbeziehen will oder nicht. Ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist Teil seiner unternehmerischen Freiheit.

 
Hinweis

Zwar besteht für den Arbeitgeber keine Pflicht, besonders fähige Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen. Es ist dem Arbeitgeber jedoch zu raten, die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit wahrzunehmen, und Leistungsträger von vornherein aus dem Kreis der kündigungsbedrohten Arbeitnehmer herauszunehmen. Denn im Regelfall sind die leistungsstärksten Arbeitnehmer – abgesehen von vielleicht den Routiniers – auch die sozial stärksten. Im Rahmen der Sozialauswahl wäre ihnen daher regelmäßig vorrangig zu kündigen.

 

Rz. 872

Auch die Frage, ob betriebliche Interessen durch die Einbeziehung bestimmter Arbeitnehmer in die Sozialauswahl betroffen werden, ist durch den Arbeitgeber zu beantworten.[1] Er muss entscheiden, welche Mittel – also auch welche Arbeitnehmer – benötigt werden, um den Betriebszweck zu erreichen. Allerdings reicht nicht jedes betriebliche Interesse aus, um besonders leistungsstarke Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszuhalten: Es muss sich vielmehr um "berechtigte" betriebliche Interessen handeln. Davon werden auch reine Nützlichkeitserwägungen erfasst.[2] Privatinteressen des Unternehmers finden hingegen keine Berücksichtigung, sodass z. B. eine besondere persönliche Verbundenheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Herausnahme aus der Sozialauswahl nicht begründen kann.

Aus der Auswahlfreiheit des Unternehmers folgt, dass sich der einzelne Arbeitnehmer nicht darauf berufen kann, der Arbeitgeber habe insofern eine falsche Auswahlentscheidung getroffen, als dass er ihn – den Arbeitnehmer – nicht als Leistungsträger berücksichtigt habe.[3] Er kann lediglich geltend machen, dass andere ungerechtfertigt aus der Sozialauswahl herausgenommen wurden und diese daher fehlerhaft ist.[4]

[1] Thüsing/Wege, RdA 2005, 12, 13 m. w. N; Preis, NZA 1997, 1073, 1087; einschränkend Kittner, AuR 1997, 182, 188.
[2] Vgl. Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673, 1675.
[3] KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 677; Melms, Die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers bei Kündigungen, 1999, S. 85 (Diss.); a. A. wohl Kittner, AuR 1997, 182, 188.
[4] Thüsing/Wege, RdA 2005, 12, 13.

4.7.5.1.2 Betriebliche Interessen

 

Rz. 873

Nicht jedes betriebliche Interesse kann die Herausnahme eines Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl rechtfertigen. Anhaltspunkte für die Bestimmung der berücksichtigungsfähigen Interessen bietet § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Grundvoraussetzung für die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl ist die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer untereinander (vgl. hierzu Rz. 817 ff.), denn nur zwischen ihnen findet die Sozialauswahl statt. Sofern der Arbeitgeber bestimmte Arbeitnehmer von der Sozialauswahl ausnehmen will, kommen als Kriterien ausschließlich nicht arbeitsplatzbezogene Merkmale in Betracht: Nur diese Merkmale wurden nicht bereits im Rahmen der Vergleichbarkeit beachtet. Darunter fallen insbesondere Merkmale des Arbeitnehmers, die zwar für die Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben nicht unbedingt vonnöten sind, die im Betrieb aber nachweislich gebraucht werden, wie z. B. eine außergewöhnliche soziale Kompetenz oder ein besonderes Geschick in der Motivation von Arbeitskollegen (sog. soft skills[1]). Ferner können Kenntnisse berücksichtigt werden, die der Arbeitnehmer zwar im Rahmen seiner Tätigkeit zurzeit nicht einsetzen kann, die aber in Zukunft im Betrieb von Nutzen sein können. Entgegen dem etwas missverständlichen Wortlaut der Norm genügt es, wenn in der Person des Arbeitnehmers eines der 3 genannten Merkmale vorliegt. Die Auflistung in § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG ist alternativ, nicht kumulativ zu verstehen.

 

Rz. 874

Kenntnisse: Unter Kenntnissen i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG ist spezielles Wissen zu verstehen, das sich der Arbeitnehmer im Laufe seiner bisherigen Tätigkeit, im Rahmen seiner Ausbildung oder auf sonstige Weise angeeignet hat. Hierunter fallen z. B. Sprachkenntnisse[2] oder spezielle Computerk...

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