Rz. 610

Auch bei einer bereits lang andauernden krankheitsbedingten Leistungsunfähigkeit ist auf der 1.Stufe der Prüfung der sozialen Rechtfertigung eine negative Prognose dahingehend erforderlich, die Arbeitsunfähigkeit werde voraussichtlich längere oder nicht absehbare Zeit andauern (BAG, Urteil v. 12.7.2007, 2 AZR 716/06[1]; BAG, Urteil v. 20.11.2014, 2 AZR 664/13[2]). Auch hier ist Beurteilungszeitpunkt derjenige des Zugangs der Kündigung. Eine lang andauernde Erkrankung in der Vergangenheit kann Indizwirkung entfalten, jedoch kommt es nicht auf die bisherige Dauer der Arbeitsunfähigkeit an. Das BAG stellt auf die Unvorhersehbarkeit des Zeitpunkts einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ab und die sich gerade aus dieser Situation ergebende Situation der Ungewissheit, die sich unzumutbar betrieblich auswirkt (BAG, Urteil v. 29.4.1999, 2 AZR 431/98[3]). Seiner Darlegungslast für eine negative Prognose genügt der Arbeitgeber zunächst durch den Vortrag der bisherigen Dauer der Erkrankung und der ihm bekannten Krankheitsursachen. Dem muss der Arbeitnehmer entgegentreten (BAG, Urteil v. 13.5.2015, 2 AZR 565/14[4]). Die nach Zugang der Kündigung in Gang gesetzte gesundheitliche Entwicklung ist bei der Prüfung, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, nicht mehr zu berücksichtigen.

 

Rz. 611

Mit einer lang andauernden Erkrankung, bei der eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht innerhalb der nächsten 24 Monate zu prognostizieren ist, ist regelmäßig eine für den Arbeitgeber unzumutbare, erhebliche betriebliche Beeinträchtigung verbunden, ohne dass diese näher dargelegt werden müsste. Hier bezieht sich das BAG auf den nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG längstens zu überbrückenden Zeitraum mittels einer sachgrundlos befristeten Vertretung (BAG, Urteil v. 13.5.2015, 2 AZR 565/14[5]). Bei kürzeren Prognosezeiträumen ist im Rahmen der 2. Stufe zu prüfen, ob als milderes Mittel zur Kündigung Überbrückungsmaßnahmen getroffen oder dem Arbeitnehmer ein leidensgerechter Arbeitsplatz zugewiesen werden kann. I. d. R. fallen bei langdauernden Erkrankungen keine erheblichen wirtschaftlichen Belastungen für den Arbeitgeber an, weil dieser nach 6 Wochen keine Entgeltfortzahlung mehr zu leisten hat.

 

Rz. 612

Bei der Interessenabwägung kann neben den sozialen Daten des Arbeitnehmers (Unterhaltsverpflichtungen, Betriebszugehörigkeitsdauer, Ursache der Erkrankung, Alter) zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sein, dass das Arbeitsverhältnis bereits durch die lang anhaltende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in der Vergangenheit belastet worden ist und der Arbeitgeber zunächst längere Zeit zugewartet hat, bevor er eine Kündigung ausgesprochen hat.

[1] NZA 2008, 173.
[2] AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 53.
[3] NZA 1999, 978.
[4] AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 54.
[5] AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 54.

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