Rz. 103

Der Arbeitgeber kann von seiner Weiterbeschäftigungspflicht unter den in Abs. 5 Satz 2 abschließend genannten Gründen entbunden werden.

8.1 Klage des Arbeitnehmers bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg oder erscheint mutwillig (Nr. 1)

 

Rz. 104

Das Gesetz übernimmt hier Voraussetzungen, wie sie in § 114 ZPO festgelegt sind; es gelten deshalb die gleichen Beurteilungsgrundsätze.[1] Da das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entscheidet, ist nur eine summarische Prüfung möglich.[2] Sie muss ergeben, dass die Klage offensichtlich oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird.[3]

 

Rz. 105

Eine Entbindung ist auch bei mutwilliger Klageerhebung möglich. Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung, wenn eine verständige Partei ihr Recht nicht in gleicher Weise verfolgen würde. Jedoch wird eine Kündigungsschutzklage, die hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet, nur ausnahmsweise mutwillig sein; denn erhebt der Arbeitnehmer nicht innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG die Feststellungsklage, so wird der Mangel der sozialen Rechtfertigung geheilt (§ 7 KSchG).

[1] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 255 m. w. N.
[2] LAG Düsseldorf, Urteil v. 23.5.1975, 8 Sa 152/75, EzA § 102 BetrVG 1972 Beschäftigungspflicht Nr. 4.
[3] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 255; KR/Rinck, § 102 BetrVG Rz. 303.

8.2 Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers würde zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen (Nr. 2)

 

Rz. 106

Die Unzumutbarkeit ist nach h. M. entsprechend dem Wortlaut der Norm unternehmens-, nicht betriebsbezogen zu ermitteln.[1] Es genügt nicht, dass der Arbeitgeber mit der Entgeltfortzahlung belastet ist. Die unzumutbare wirtschaftliche Belastung muss vielmehr in der Unmöglichkeit oder wirtschaftlichen Sinnlosigkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bei unveränderten Arbeitsbedingungen liegen. Dies ist vor allem relevant, wenn der Betriebsrat seinen Widerspruch mit einer anderweitigen Verwendung des Arbeitnehmers begründet, der Arbeitnehmer aber eine vertragsrechtlich erforderliche Einverständniserklärung verweigert. Gleiches gilt, wenn der Betriebsrat mit seinem Widerspruch eine fehlerhafte Sozialauswahl rügt und der Arbeitgeber deshalb bei einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers an einem Arbeitsplatz 2 Arbeitnehmer beschäftigen müsste.[2] Der Arbeitgeber muss in diesen Fällen zusätzlich darlegen, dass die wirtschaftliche Belastung durch die Weiterbeschäftigung so gravierend ist, dass dadurch die Ertragslage des Betriebs tangiert wird.[3] Allgemeine Angaben, z. B. gesunkene Umsätze, Arbeitsmangel, finanzielle Schwierigkeiten genügen im Rahmen der Nr. 2 nicht zur Begründung. Erforderlich ist die Angabe konkreter und detaillierter Daten über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebs und Unternehmens und eine Prognose der künftigen Entwicklung.[4]

 
Hinweis

Machen mehrere Arbeitnehmer einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend, so ist bei der Feststellung der unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung auf die Gesamtzahl der Weiterzubeschäftigenden abzustellen und nicht lediglich auf die Belastung, die von dem konkreten Arbeitnehmer ausgeht, von dessen Weiterbeschäftigungspflicht sich der Arbeitgeber entbinden lassen will.[5]

[1] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 257; DKW/Bachner/Deinert, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 320; a. A. Rieble, BB 2003, 844 mit beachtlichen Argumenten.
[2] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 257; MünchArbR/Volk, 5. Aufl. 2022, § 344 Rz. 82.
[3] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 257; strenger MünchArbR/Volk, § 344 Rz. 82; zu streng LAG Hamburg, Urteil v. 16.5.2001, 4 Sa 33/01, NZA-RR 2002, 25, 27.
[5] Rieble, BB 2003, 844; a. A. DKW/Bachner/Deinert, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 323; Borrmann, DB 1975, 882, 883.

8.3 Widerspruch des Betriebsrats war offensichtlich unbegründet (Nr. 3)

 

Rz. 107

Dieser Entbindungsgrund liegt vor, wenn offenkundig ist, dass kein Widerspruchsrecht besteht. Keine Rolle spielt, ob die Kündigungsschutzklage Aussicht auf Erfolg hat.[1] Offensichtlich unbegründet ist ein Widerspruch, wenn es keiner besonderen gerichtlichen Aufklärung bedarf, dass der Widerspruchsgrund nicht vorliegt, z. B. weil der Arbeitsplatz, auf dem der Arbeitnehmer nach Ansicht des Betriebsrats weiterbeschäftigt werden kann, bereits mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt ist.[2]).

[1] Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 258.
[2] (LAG Düsseldorf, Beschluss v. 12.6.1975, 3 TaBV 106/74 ,DB 1975, 1995; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 102 BetrVG Rz. 258; KR/Rinck, § 102 BetrVG Rz. 309.

8.4 Verfahren

 

Rz. 108

Die Befreiung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung erfolgt auf Antrag des Arbeitgebers durch einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts. Das Arbeitsgericht entscheidet im Urteilsverfahren.[1] Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sind in Abs. 5 Satz 2 abschließend geregelt, sodass der Arbeitgeber nicht zusätzlich einen Verfügungsgrund i. S. d. §§ 935, 940 ZPO glaubhaft machen muss.[2]

 
Hinweis

Das Arbeitsgericht kann den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht mit der Begründung ablehnen, dass bereits kein ordnungsgemäßer Widerspruch des Betriebsrats vorliegt.[3] Ist streitig, ob der Widerspruc...

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