8.3.1 Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

 

Rz. 121

Die sog. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers geht auf die Lehre vom "personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis"[1] zurück. Unter diesem Oberbegriff werden sämtliche Nebenleistungspflichten und Schutzpflichten, einschließlich der die Vertragspflicht fördernden Aufklärungs-, Auskunfts- und Unterrichtungspflichten zusammengefasst.[2] Sie ist demnach keine besondere Nebenpflicht, die über die Struktur allgemeiner Nebenpflichten im Austauschverhältnis hinausgeht.[3] Insbesondere steht sie nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zur Arbeitspflicht oder sogar der Treuepflicht des Arbeitnehmers.[4] Rechtssystematisch ist die Fürsorgepflicht, zumindest in bestimmten Ausprägungen, dem Grundsatz von Treu und Glauben zuzuordnen.[5] Soweit besondere gesetzliche Vorschriften die Nebenpflichten des Arbeitgebers konkretisieren, ist ein Rückgriff auf den allgemeinen Rechtsgedanken der Fürsorgepflicht nicht zulässig.[6] Der Ursprung derartiger Regelungen in der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kann im Einzelfall aber zu einer einschränkenden Auslegung veranlassen. In diesem Sinne hat das BAG eine Lohnfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG bei einer Arbeitsunfähigkeit wegen einer In-vitro-Fertilisation abgelehnt, weil die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers lediglich das allgemeine Krankheitsrisiko, nicht aber die Realisierung eines Kinderwunsches erfasse.[7] Verursacht die Erfüllung der Fürsorgepflicht Kosten, so sollen diese durch eine Zumutbarkeit für den Arbeitgeber beschränkt sein.[8] Dies ist ein Unterfall der Begrenzung der Fürsorgepflicht über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.[9]

[1] V. Gierke, FS Brunner, 1914, S. 57.
[2] Reichold in MünchArbR, § 91, Rz. 1. ; Richardi in Staudinger, § 611 BGB, Rz. 896 ff.
[3] Preis in ErfK, § 611a BGB, Rz. 615.
[4] Edenfeld in Erman, § 611 BGB, Rz. 485; Müller-Glöge in MünchKom, § 611 BGB, Rz. 987.
[5] Müller-Glöge in MünchKom, § 611 BGB, Rz. 986.
[8] BAG, Urteil v. 27.11.1974, 5 AZR 20/74, AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 82; Blomeyer, FS 25 Jahre BAG, S. 18.
[9] Kort, NZA 1996, S. 857.

8.3.2 Auskunftspflichten

 

Rz. 122

Unter der Auskunftspflicht des Arbeitgebers ist die Pflicht zu verstehen, den Arbeitnehmer oder einen Dritten über bestimmte, mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehende Vorgänge oder Tatsachen zu informieren.[1] Solche Pflichten sind zum Teil gesetzlich verankert (z. B. §§ 7, 12, 14 ArbSchG). Im Arbeitsverhältnis besteht ferner nach § 242 BGB ein Auskunftsanspruch, soweit der Arbeitnehmer in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, während der Arbeitgeber unschwer Auskunft erteilen kann.[2] Ein Auskunftsanspruch kann sich u. U. auch aus dem Arbeitsvertrag selbst ergeben.[3]

[1] Müller-Glöge in MünchKom, § 611 BGB, Rz. 992.
[3] BAG, Urteil v. 21.11.2000, 9 AZR 665/99, AP BGB § 242 Auskunftspflicht für den Fall der Umsatzbeteiligung Nr. 35.

8.3.3 Aufklärungs- bzw. Informationspflichten

 

Rz. 123

Unter Aufklärungs- bzw. Informationspflichten sind solche Nebenpflichten zu verstehen, die den Arbeitgeber verpflichten, den Arbeitnehmer ungefragt von sich aus über Umstände zu informieren, die die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder jedenfalls sonst für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind.[1] Bestimmte Informationspflichten sind vereinzelt ausdrücklich gesetzlich geregelt wie z. B. § 8 TVG, § 16 Abs. 1 ArbZG, § 26 MuSchG. Im Gegensatz zu vertraglich ausdrücklich vereinbarten sog. Informationsbeschaffungspflichten bestehen Informations- und Aufklärungspflichten auch ohne besondere vertragliche Vereinbarung.[2] Es besteht jedoch keine allgemeine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über sämtliche für den Zweck des Schuldverhältnisses bedeutsamen Umstände. Schafft der Arbeitgeber allerdings ein außergewöhnliches Risikopotenzial, so ist er verpflichtet, den Arbeitnehmer über solche Umstände aufzuklären, die für die Entstehung oder Wahrung seiner Rechte von Bedeutung sind.

[2] Thüsing in HWK, § 611a BGB, Rz. 401.

8.3.4 Schutzpflichten

8.3.4.1 Schutz des Lebens und der Gesundheit des Arbeitnehmers

 

Rz. 124

Der Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers gehört zu den wichtigsten arbeitgeberseitigen Nebenpflichten. Schutzpflichten, die dem Schutz von Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers dienen, haben überwiegend eine Konkretisierung durch den Gesetzgeber erfahren. Besonders bedeutsam sind hierbei die Vorschriften des ArbSchG, des ASiG, § 618 Abs. 1 BGB, § 62 HGB, § 12 HAG, § 114 SeeArbG und § 28 JArbSchG.

 

Rz. 125

Der Arbeitnehmer hat gegenüber dem Arbeitgeber im Hinblick auf einen arbeitsschutzkonformen Zustand seines Arbeitsplatzes grundsätzlich einen einklagbaren Erfüllungsanspruch.[1] Verstößt der Arbeitgeber gegen Arbeitsschutzvorschriften, steht dem Arbeitnehmer ferner ein Unterlassungsanspruch als quasi negatorischer Beseitigungsanspruch analog §§ 12, 862, 1004 BGB zu.[2] Besteht durch das ...

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