Um diese Entwicklung einzugrenzen verabschiedete der Deutsche Bundestag am 22.5.2015 das Gesetz zur Tarifeinheit. Seit 10.7.2015 regelt § 4a TVG die Folgen einer Tarifpluralität. In § 4a Abs. 2 TVG ist nunmehr der Ausgangspunkt eine Tarifkollision, die gesetzlich als eine Überschneidung der Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften definiert ist. Eine solche Tarifkollision soll zuvörderst durch die Tarifpartner selbst vermieden, bzw. gelöst werden. Durch die Bildung von Tarifgemeinschaften oder die schlichtweg einheitliche Verhandlung von Tarifverträgen können die Gewerkschaften die nur subsidiäre geltende Kollisionsregel nicht zur Anwendung kommen lassen.[1] Auch sind die Gewerkschaften angehalten, ihre Zuständigkeiten ohne Überscheidungen voneinander abzugrenzen oder verbandsinterne Schlichtungsverfahren zur Abgrenzung zu nutzen.

Liegt eine Tarifkollision vor, gilt in dem Betrieb nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder im betroffenen Betrieb hat (§ 4a Abs. 2 Satz 2 TVG). Dabei kann der Beweis dieser Mehrheit ausdrücklich auch durch öffentliche Urkunden (§ 58 Abs. 3 ArbGG), also durch notarielle Erklärung erbracht werden.

 
Praxis-Beispiel

Nachweis der Mehrheitsgewerkschaft

Zum Nachweis legt die Gewerkschaft einem Notar eine Liste vor, die angibt, welches Belegschaftsmitglied Mitglied der Gewerkschaft ist. Voraussichtlich ist die Liste um die Aufnahmeerklärungen oder Bestätigungen der Arbeitnehmer zu ergänzen. Der Notar bescheinigt dann, wie viele Mitglieder in dem Betrieb der Gewerkschaft angehören. Die Zahl kann dann mit der notariell bescheinigten Zahl einer anderen Gewerkschaft verglichen werden. Durch die notarielle Erklärung wird vermieden, dass der Arbeitgeber erfährt, welche Mitarbeiter Mitglied in einer Gewerkschaft sind.

Bezugspunkt für die Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse ist der Betrieb (§ 4a Abs. 2 Satz 2 TVG). Dazu verweist das Gesetz auf den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff einschließlich des gemeinsamen Betriebs und einen durch Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 BetrVG gebildeten Betrieb. Das Gesetz erteilt damit eine Absage an einen Vergleich auf der Grundlage einer bestimmten Arbeitnehmergruppe (z. B. Lokführer, Piloten), die gemeinsam mit anderen Arbeitnehmergruppen in einem Betrieb eingesetzt werden. Dennoch ist zu erwarten, dass der Betriebsbegriff im Einzelfall Anlass zu Diskussion geben wird. Auch die notarielle Erklärung ist nur dann von Wert, wenn der Notar den Betrieb genauso erfasst wie ggf. später ein zur Entscheidung angerufenes Arbeitsgericht. Relevanter Zeitpunkt für die Beurteilung der Mehrheitsverhältnisse ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags (§ 4a Abs. 2 Satz 2 TVG). Dabei gilt jeder Änderungstarifvertrag als neuer Abschluss. Tritt ein Tarifvertrag erst nach Abschluss in Kraft, kommt es auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens an. Die Regelung verhindert damit einen permanenten Kampf der Gewerkschaft um Mitglieder aus der Belegschaft und die Änderung des anwendbaren Tarifvertrags durch den bloßen Anstieg der Zahl der Mitglieder. Nur zu bestimmten Zeitpunkten, nämlich dem Abschluss/Inkrafttreten von kollidierenden Tarifverträgen, wird die Mehrheit geprüft.

Infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.7.2017[2] wurde § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG ergänzt. Wurden bei Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, die an den Minderheitstarifvertrag gebunden sind, bleiben die diesbezüglichen Regelungen des Minderheitstarifvertrages für diese Arbeitnehmergruppen trotz der grundsätzlichen Geltung des Mehrheitstarifvertrages anwendbar. Das Bundesverfassungsgericht wie auch der Gesetzgeber[3] hatten hier langfristig angelegte, die Lebensplanung der Beschäftigen betreffende Ansprüche im Blick. Dies betrifft u. a. Leistungen zur Alterssicherung, zur Arbeitsplatzgarantie oder zur Lebensarbeitszeit. Sieht der Minderheitstarifvertrag z. B. eine betriebliche Altersversorgung vor und bietet der Mehrheitstarifvertrag keine vergleichbaren Leistungen, darf die Anwendung des Mehrheitstarifvertrages nicht dazu führen, dass die Arbeitnehmer ihre Altersversorgung verlieren. Die bisherigen Regelungen des Minderheitstarifvertrags bleiben für sie anwendbar.

Um eine Tarifkollision gar nicht erst eintreten zu lassen, gewährt das Gesetz der jeweils anderen Gewerkschaft ein mündliches Anhörungsrecht gegenüber dem Arbeitgeber (§ 4a Abs. 5 TVG). Nimmt der Arbeitgeber oder ein Arbeitgeberverband Verhandlungen mit einer Gewerkschaft auf, muss er dies rechtzeitig und in geeigneter Weise bekannt geben. Anschließend darf eine andere Gewerkschaft dem Arbeitgeber/dem Arbeitgeberverband mündlich ihre Vorstellungen und Forderungen vortragen. Dadurch soll ermöglicht werden, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen aufeinander abstimmen oder ggf. sogar in der Folge eine Tarifgemei...

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