Jahrzehntelang galt in Deutschland der Grundsatz "Ein Betrieb – ein Tarif". Die ständige Rechtsprechung begründete dies damit, dass ein Nebeneinander mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb für den Arbeitgeber unüberwindliche praktische Schwierigkeiten mit sich bringen würde. Im Jahr 2010 gab das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der Tarifeinheit auf, weil es keinen übergeordneten Grundsatz gibt, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur eine einheitliche Tarifregelung zu Anwendung kommen darf.

In der Folge sahen sich zahlreiche Arbeitgeber in Arbeitskämpfe und Tarifverhandlungen mit verschiedenen Gewerkschaften verwickelt. Insbesondere die Spartengewerkschaften konnten bei einem Arbeitskampf mit wenigen Beschäftigten ganze Betriebe stilllegen.

Zum 10.7.2015 ist das Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) in Kraft getreten. Dies ändert einzelne Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes sowie des Tarifvertragsgesetzes (TVG).

Haben mehrere Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge für ein und dieselbe Beschäftigtengruppe abgeschlossen, findet im Betrieb nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft Anwendung, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat (Tarifkollision, § 4a Abs. 2 TVG). Dabei kommt es auf die Mitgliederzahlen zum Zeitpunkt des Abschlusses des letzten kollidierenden Tarifvertrags an, sog. Mehrheitstarifvertrag. Über die Zahl der im Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder kann gem. § 58 Abs. 3 ArbGG durch Vorlage öffentlicher Urkunden der Nachweis angetreten werden. Öffentliche Urkunde in diesem Sinne ist eine notarielle Bescheinigung, die von einem Notar anhand der Mitgliederlisten einer Gewerkschaft erstellt wird.[1]

Das BVerfG hat § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG als unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG angesehen.[2] Seit 2019 ist § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG daher wie folgt ergänzt worden: "(…) wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach dem 1. Hs. nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar."

Seitens der Minderheitsgewerkschaft kann die Nachzeichnung des mit der Mehrheitsgewerkschaft geschlossenen Tarifvertrags verlangt werden, § 4a Abs. 3 TVG.

Im Falle der Tarifpluralität, d. h. mehrere Gewerkschaften haben unterschiedliche Tarifverträge für verschiedene Beschäftigtengruppen abgeschlossen, sind alle Tarifverträge für die jeweilige Beschäftigtengruppe anwendbar.

Im Bereich des öffentlichen Dienstes kann es insbesondere durch Ärzte in Krankenhäusern oder durch Lokomotivführer im Ergebnis zu einer Blockade von Unternehmen durch diese Splittergruppen kommen, die gruppenegoistische Sonderinteressen zulasten der Gesamtbelegschaft verfolgen.[3] Durch den geringen Aufwand, den solche Arbeitnehmergruppen benötigen, um einen massiven Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, ist die Arbeitskampfparität erheblich zuungunsten des Arbeitgebers verschoben. Ungeklärt ist, wie ein Arbeitgeber auf einen solchen Arbeitskampf reagieren kann und soll. Eine Aussperrung der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer ist grundsätzlich unverhältnismäßig, da diesen der von der Spartengewerkschaft geführte Arbeitskampf nicht zugutekommt – im Bereich der Krankenhäuser sogar schadet, da die Ausgabensteigerungen durch Einkommenszuwächse der Ärzte oftmals durch Personalabbau bei anderen Beschäftigtengruppen aufgefangen werden müssen. Im Ergebnis wäre dies eine doppelte Aufopferung des übrigen Krankenhauspersonals. Somit ist es auch nicht möglich, nach den Grundsätzen eines Unterstützungsstreiks die übrigen Arbeitnehmer auszusperren. In der Literatur wird eine lösende Aussperrung vorgeschlagen, d. h. die Arbeitsverhältnisse werden beendet.[4] Dies kommt praktisch nicht in Betracht, da der Arbeitgeber auf die Arbeitnehmergruppe dringend angewiesen ist. Damit stößt das Arbeitskampfrecht an seine Grenzen. Letztlich wird man an die Verhältnismäßigkeit eines Streiks von Sparten- und Spezialistengewerkschaften strenge Maßstäbe anlegen müssen, die auch die Interessen des Gemeinwohls im verstärkten Maße berücksichtigen. Notwendig ist eine Notdienstvereinbarung, die zumindest den Bereich der Daseinsvorsorge abdeckt. Kommt es zu längeren Arbeitskämpfen, die sich erheblich auf die Allgemeinheit auswirken, ist es Sache der Tarifvertragsparteien, die Allgemeinheit im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit über die Arbeitsbedingungen zu informieren. Durch den Druck seitens der Bevölkerung – die regelmäßig Hauptleidtragende dieses Arbeitskampfs ist – wird dann ein Tarifabschluss in die eine oder andere Richtung gefördert.

Keine Tarifkollision (Überschneiden des Geltungsbereichs nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften, vgl. § 4a Abs. 2 Satz 2 1. HS TVG) liegt im Verhältnis der Tarifverträge von ver.di und der dbb beamtenbund und tarifunion vor. Der TVöD und auch der TV-L sind zwar mit unterschiedlichen Gewerkschaften vereinbart, die ...

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