Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. stufenweise Wiedereingliederung. kein Anspruch auf Übernahme von Fahrkosten zur Arbeitsstätte. Erfordernis des Zusammenhangs zwischen der Wiedereingliederung und einer von der Krankenkasse gewährten medizinischen Rehabilitation

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Übernahme von Fahrkosten nach § 60 Abs 5 SGB 5 setzt voraus, dass die Reisekosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entstanden sind und es sich um Leistungen handelt, die von der Krankenkasse gewährt wurden. Es genügt nicht die Inanspruchnahme von Leistungen anderer Rehabilitationsträger oder von Vergünstigungen sonstiger Stellen oder Personen, selbst wenn diese rehabilitativen Charakter haben.

2. Grundsätzlich gehören Maßnahmen und Leistungen, die nicht durch medizinische Erfordernisse der Krankheitserkennung oder -behandlung veranlasst sind, nicht zum Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung.

3. Mit der Formulierung in § 44 SGB 9 (juris: SGB 9 2018), die medizinischen und die sie ergänzenden Leistungen sollen mit der Zielsetzung einer Unterstützung der stufenweisen Wiedereingliederung erbracht werden, stellt der Gesetzgeber klar, dass die stufenweise Wiedereingliederung Teil einer medizinischen Rehabilitation nur ist, wenn sie im Kontext mit dieser erfolgt. Eine isolierte stufenweise Wiedereingliederung ist dagegen kein Bestandteil der medizinischen Rehabilitation.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Versicherte haben nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten zur Arbeitsstelle während einer stufenweisen Wiedereingliederung.

2. Die stufenweise Wiedereingliederung ist im SGB V nicht als Leistung zur medizinischen Rehabilitation ausgestaltet.

3. Die (vorherige) Antragstellung ist keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung eines Fahrkostenanspruchs nach § 60 Abs 5 SGB V.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 8. September 2021 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung von Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle während einer stufenweisen Wiedereingliederung ins Erwerbsleben.

Der 1969 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte und als Sachbearbeiter in einer Stadtverwaltung beschäftigte Kläger war vom 12.08.2019 bis 07.07.2020 arbeitsunfähig erkrankt (Diagnose F32.9) und bezog währenddessen vom 23.09.2019 bis 07.07.2020 Krankengeld. Anschließend nahm er bis 11.08.2020 Urlaub und baute Überstunden ab.

Am 15.07.2020 erstellte die behandelnde Hausärztin für den Kläger einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan, nach dem vom 12.08.2020 bis 22.09.2020 eine stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben stattfinden sollte. Dieser Plan, dem der Arbeitgeber des Klägers sein Einverständnis erteilte, ging der Beklagten am 03.08.2020 zu. Der Kläger erschien in diesem Zeitraum planmäßig an insgesamt 30 Arbeitstagen an seinem Arbeitsplatz (einfache Wegstrecke vom Wohnort 42 km) und erhielt für diesen Zeitraum vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlung, aufgrund der ab 12.08.2020 erneut ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (Diagnose F32.9).

Den Antrag des Klägers vom 14.09.2020 auf Übernahme der Fahrkosten zum Arbeitsplatz während der stufenweisen Wiedereingliederung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.11.2020 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 25.01.2021 ab. Nach § 60 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) übernähmen die Krankenkassen Fahrkosten nur im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Um eine solche Leistung handele es sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung nach 74 SGB V nicht.

Dagegen hat der Kläger am 22.02.2021 beim Sozialgericht (SG) Leipzig Klage erhoben. Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handele es sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Daher bestehe nach § 60 Abs. 5 SGB V i.V.m. § 73 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ein Anspruch auf Fahrkostenerstattung, der sich bei einer einfachen Wegstrecke von 42 km in Anlehnung an § 5 Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz (JVEG) auf 0,35 EUR je gefahrenen Kilometer, zumindest aber nach § 5 Abs. 2 Bundesreisekostengesetz (BRKG) auf 0,30 EUR je Kilometer zurückgelegter Strecke belaufe.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Urteil vom 08.09.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Fahrkostenerstattung aus § 60 SGB V. Zwar würden nach § 60 Abs. 5 SGB V Fahrkosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen. Um eine solche Leistung handele es sich aber bei der stufenweisen Wiedereingliederung nicht. Leistungen der Krankenkasse zur medizinischen Rehabilitation seien abschließend in §§ 40 bis 43 SGB V aufgeführt. Dabei sei die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74 SGB V nicht mit der Belastungserprobung nach § 42 SGB V deckungsgleich. Denn die Belastungserp...

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