Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherung. Pflegestufe. Antragsprinzip. Höherstufungsantrag. Antragsrücknahme. Eigenanteil. Verzicht. Rücknahme des Antrags auf Heraufsetzung der Pflegestufe

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn ein Versicherter den Antrag auf Heraufsetzung der Pflegestufe gestellt und hierüber die Pflegekasse antragsgemäß entschieden hat (hier von Pflegestufe II auf Pflegestufe III), kann der Versicherte nicht nachträglich den Antrag zurücknehmen, um den sich aus der ebenfalls anzupassenden Pflegeklasse ergebenden höheren Eigenanteil an dem nunmehr insgesamt höheren Pflegesatz abzuwenden. Der mit der Regelung des § 87a Abs. 2 SGB XI verfolgte Zweck, dem Heimträger die Durchsetzung des Anspruchs auf Leistung des richtigen Pflegesatzes zu ermöglichen steht einem freien Antragsrücknahmerecht des Versicherten, der sich in vollstationärer Pflege befindet, entgegen.

 

Normenkette

SGB XI § 33 Abs. 1, § 87a Abs. 2; SGB IV § 19 S. 1; SGB I § 46

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 13. Mai 2005 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die von ihrem Sohn als Betreuer gesetzlich vertretene Klägerin wendet sich gegen die Bewilligung von Leistungen nach der Pflegestufe III.

Die am … 1944 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet unter einem schweren Defektzustand einer chronisch paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie bei schwerem hirnorganischen Psychosyndrom. Seit 1977 erfolgten mehrere stationäre Behandlungen in Nervenkliniken. Seit September 1994 erhält sie vollstationäre Pflege bei der Beigeladenen. Von der Beklagten bezieht die Klägerin seit Juli 1996 Leistungen nach der Pflegestufe II. Im Februar 2002 erfolgte eine stationäre Behandlung aufgrund einer Oberschenkelhalsfraktur links nach Sturz. Die osteosynthetisch versorgte Oberschenkelfraktur hatte keine dauerhafte Funktionseinschränkung zur Folge. Auf das Schreiben des Sohnes der Klägerin vom 08.11.2002, welches die Beklagte als Höherstufungsantrag angesehen hatte, das der Sohn der Klägerin hingegen in der mündlichen Verhandlung lediglich als “Anregung zur Nachbegutachtung„ verstanden wissen wollte, erstellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Auftrag der Beklagten am 30.01.2003 durch die Pflegefachkraft H1 ein Pflegegutachten. Danach habe sich die psychische Symptomatik im Laufe der Zeit deutlich verschlechtert. Die Klägerin sei mittlerweile unruhig, umtriebig und nachtaktiv. Aufgrund der psychischen Grunderkrankung habe sich die an die osteosynthetisch versorgte Fraktur im Jahr 2002 anschließende Mobilisation sehr schwierig gestaltet. Im November 2002 sei eine weitere stationäre Behandlung wegen Lungenembolie mit Synkopen notwendig geworden. Anschließend sei die Klägerin über längere Zeit bei deutlich reduziertem Allgemeinzustand bettlägerig gewesen. Inzwischen könne sie wieder außerhalb des Bettes mobilisiert werden. Ihr Antrieb sei sehr wechselhaft. Tageweise sei die Klägerin wach, gesprächig, umtriebig und in der Lage, nach aktivierender Anleitung im Beisein der Pflegeperson mitzuhelfen. Ansonsten gelinge ihr nichts mehr, die Klägerin schlafe mitunter am Tisch ein. Ihre Urteils- und Kritikfähigkeit sei bei hochgradigen Verhaltensauffälligkeiten aufgehoben. Die Klägerin sei situativ unangepasst, reagiere überwiegend inadäquat und sei nicht anpassungsfähig. Durch ständige Fehlhandlungen könne sie nicht in Gruppen integriert werden. Ihre Stimmung sei sehr wechselhaft. Es bestehe ständiger Speichelfluss. Auch nachts sei sie aktiv mit Fehlhandlungen bei Umtriebigkeit. Im Bereich der Körperpflege seien 109 Minuten täglich an Hilfeleistungen notwendig, wobei nahezu sämtliche Verrichtungen vollständig übernommen werden müssten. Pflegeerschwerend sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin häufig nicht fixierbar sei und weglaufe. Im Bereich der Ernährung sei ein Hilfebedarf von 91 Minuten zu verzeichnen. Dabei müsse die mundgerechte Zubereitung voll übernommen werden (täglicher Zeitaufwand: 11 Minuten); die orale Aufnahme der Nahrung teilweise (täglicher Zeitaufwand: 80 Minuten). Im Bereich der Mobilität seien 57 Minuten an täglicher Hilfe notwendig. Hinzu komme ein nächtlicher Grundpflegebedarf aufgrund zwei- bis dreimal erforderlichen Windelwechsels. Bei Umtriebigkeit müsse die Klägerin beruhigt und ins Bett zurückgeführt werden. Schließlich seien die Auswirkungen ihrer Fehlhandlungen zu beseitigen. Insgesamt ergebe sich ein grundpflegerischer Hilfebedarf von 257 Minuten täglich. Der hauswirtschaftliche Hilfebedarf belaufe sich täglich auf 60 Minuten. Die Klägerin benötige aufgrund ihrer Erkrankungen und Fähigkeitsstörungen rund um die Uhr Hilfe im grundpflegerischen Bereich. Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin Leistungen nach der Pflegestufe III ab dem 01.11.2002 (Bescheid vom 04.02.2003). Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch. Der Pflegeauf...

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