Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterzuckerung. allgemeiner erheblicher Betreuungsbedarf

 

Orientierungssatz

Bei einer in zeitlichen Abständen auftretenden Unterzuckerung besteht keine dauerhafte Einschränkung der Alltagskompetenz und damit kein Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen wegen eines erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs nach dem SGB 11.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.08.2010; Aktenzeichen B 3 P 3/09 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 01.04.2008 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin über die gewährten Leistungen nach der Pflegestufe II hinaus zusätzliche Leistungen wegen eines erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zustehen.

Die 1957 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert und bezieht seit August 2001 Leistungen der Pflegestufe II. Im März 2006 beantragte die Klägerin zusätzliche Betreuungsleistungen gemäß § 45 b SGB XI. In ihren daraufhin von der Beklagten veranlassten Gutachten (nach Aktenlage) vom 29.03.2006, 19.05.2006 und 04.07.2006 gelangte die Pflegefachkraft im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) G zum Ergebnis, es lägen bei der Klägerin zwar leichte kognitive Defizite vor, jedoch keine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, psychiatrische Erkrankung oder geistige Behinderung. Der ohne Zweifel bestehende allgemeine Beaufsichtigungsbedarf bei bestehendem Diabetes mellitus und infolge dessen auftretenden Hypoglykämien sei nicht einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz zuzuordnen sondern eben der somatischen Erkrankung. Mit Bescheid vom 04.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2006 lehnte die Beklagte daraufhin den Leistungsantrag ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 10.01.2007 Klage zum Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben und geltend gemacht, sie leide an einer deutlichen Einschränkung der Hirnfunktion mit erheblichen Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses, weshalb sie etwa Terminabsprachen sofort vergesse. Außerdem liege eine Störung des Tag-Nacht-Rhythmus vor. Eine aktuelle Begutachtung würde ergeben, dass sie in ihrer Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt sei. Die Klägerin hat Bescheinigungen ihres Hausarztes Dr. M vom 12.03.2007 und ihres Nervenarztes Dr. W vom 14.03.2007 vorgelegt. Hierzu hat die Beklagte ein weiteres MDK-Gutachten der Pflegefachkraft G vom 07.05.2007 beigebracht.

Von Amts wegen hat das SG ein Gutachten des Nervenarztes Dr. B vom 04.07.2007 eingeholt. Der Sachverständige hat folgende Diagnosen festgestellt:

1. Organische Persönlichkeitsstörung bei Zustand nach Apoplex, spastischataktisches Gangbild mit Polyneuropathie,

2. bekannter Diabetes mellitus mit Erstdiagnose 1983, diabetisches Spätsyndrom mit episodischen Hypoglykämien,

3. früher chronischer Alkoholismus, zur Zeit remittiert,

4. Zustand nach ausgedehntem Myocardinfarkt mit Vorderwandaneurysma 2002,

5. Zustand nach kardiogenem Schock,

6. Zustand nach kardiopulmonaler Reanimation bei primärer Asystolie am 20.09.2003,

7. Zustand nach subtotaler Strumektomie,

8. Osteoporose,

9. Marcumarisierung,

10. Zustand nach Fraktur im Bereich des linken Schultergelenkes.

Von den Kriterien zur Bewertung der Einschränkung der Alltagskompetenz seien die Nrn. 4 ( tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation ), 5 ( im situativen Kontext inadäquates Verhalten ), 6 ( Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen ), 8 ( Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben ), 9 ( Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus ), 10 ( Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren ) und 12 ( ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten ) zu bejahen, sobald eine episodische Unterzuckerung vorliegt. Mit einer Frequenz wohl einmal 14-täglich träten bei ihr "schwere Unterzuckerungen", ansonsten einmal wöchentlich "leichte Unterzuckerungen" auf, die die Klägerin selbst nicht bemerke und die vom Ehemann mit Glukagon therapiert werden müssen. Im Falle der Unterzuckerung gerate sie in einen psychischen Zustand, in dem Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit vollkommen aufgehoben sind, wobei dieser Zustand bis zur Besserung limitiert ist. Psychiatrisch sei dies als Verwirrtheit zu bezeichnen, die mit typischer episodischer Desorientiertheit einhergehe. Verstärkt werde dies durch eine hirnorganische Vorschädigung bei Zustand nach Apoplex und nach früherem Alkoholismus. Hierdurch bekomme die Unterzuckerung eine stärkere Ausprägung. Die Unterzuckerung sei jedoch kein zeitüberdauernder Zustand, sondern trete immer wieder, teilweise auch unvorhersehbar auf. Normativ sei durch das Gericht zu entscheiden, ob ein Zustand...

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