Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Kostenübernahme für einen Gebärdensprachkurs für die Eltern eines gehörlosen Kindes. Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt. kein besonderer Anlass. Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Betroffenheit der Kernfamilie. keine Leistungen an dritte Personen. EUGrdRCh, MRK und UNBehRÜbk. kein subjektiv-öffentliches Recht

 

Leitsatz (amtlich)

Leistungen der Eingliederungshilfe für ein gehörloses Kind umfassen gebärdensprachliche Unterrichtsleistungen zugunsten des Kindes selbst, nicht aber die Finanzierung eines Gebärdensprachkurses durch Privatlehrer für dessen Eltern aus Mitteln der Sozialhilfe. Weitergehende Leistungsrechte kann das gehörlose Kind auch weder aus Art 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCH - juris: EUGrdRCh) oder aus Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK - juris: MRK) oder aus den Art 24 Abs 3, 30 des Behindertenrechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN-BRÜ - juris: UNBehRÜbk) herleiten.

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschriften über die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den §§ 53 ff SGB 12 zielen auf die Eingliederung des behinderten Menschen und damit auf Leistungen an diesen, nicht an dritte Personen, wenn nichts anderes ausdrücklich im Gesetz geregelt ist.

2. Die Leistungen nach § 57 SGB 9 sind nicht als allgemeine Verständigungshilfe, sondern nur für besondere Fälle gedacht, etwa für Vertragsverhandlungen, Gerichtstermine, Arztbesuche oder die Hochzeit eines Familienmitglieds.

3. § 58 SGB 9 hat allein Hilfen zur Teilhabe in der sozialen Gemeinschaft - und damit jedenfalls regelmäßig außerhalb der Kernfamilie des Art 6 Abs 1 GG - im Blick. Es geht um den Teilhabeanspruch des behinderten Menschen außerhalb seiner häuslichen und damit familiären Umgebung.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. September 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom beklagten Sozialhilfeträger, die Kosten eines Hausgebärdensprachkurses für ihre Eltern im Wege der Eingliederungshilfe zu übernehmen.

Für die 2006 geborene mehrfachschwerbehinderte Klägerin, die neben anderem an einer an Taubheit grenzenden beidseitigen Schwerhörigkeit bei cochleärer Dysplasie leidet (GdB 100), stellte ein Arzt am 2009 fest, hinsichtlich der Sinnes- und Sprachbehinderung liege eine wesentliche und nicht nur vorübergehende Behinderung vor. Die Teilhabe sei beeinträchtigt. Pädagogische Eingliederungshilfe für den Regelkindergarten werde ab 2009 für die Dauer des Kindergartenbesuchs empfohlen. In der Folge erbrachte der Beklagte auf der Grundlage einer mit der Kirche als dem Kindergartenträger, des von der Klägerin besuchten Kindergartens - am 12. August 2009 geschlossenen Vereinbarung für den Zeitraum von Oktober 2009 bis Juli 2010 monatlich Leistungen für pädagogische (460,00 €) und begleitende Hilfen (308,00 €) in Höhe von insgesamt 768,00 €. Ein entsprechender, an die Familie der Klägerin adressierter Bescheid (25. September 2009) wurde bestandskräftig.

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 22. Juni 2010 erteilte der Beklagte mit an die Familie der Klägerin adressierten und ebenfalls bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 28. Juli 2010 eine Kostenzusage analog zum vorausgegangenen Bescheid vom 25. September 2009 für die Zeit von August 2010 bis Juli 2012.

Mit Antrag vom 4. April 2011 begehrte die Klägerin vom Beklagten eine Umwandlung der Frühförderung in eine Geldleistung unter Erhöhung der Förderstundenzahl im Rahmen eines Persönlichen Budgets. Darüber hinaus beantragte die Klägerin beim Beklagten am 24 Mai 2011, die Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs für die ganze Familie zu übernehmen, und legte ein auf denselben Tag datierendes Angebot des S. bei. Darin bot der Gebärdensprachdozent E. der Klägerin einen wöchentlich zweistündig stattfindenden Hausgebärdensprachkurs zum Preis von 60,00 € pro Stunde bei zwei Stunden Fahrzeit (240,00 €) und einer Wegstreckenentschädigung von 190 km/0,30 € (57,00 €) - wöchentlich also 297,00 € und monatlich 1.188,00 € - an. Zur Untermauerung der Begehren bezog sich die Klägerin auf die Stellungnahme der Fachärztin für Kinderheilkunde und Neuropädiatrie Dr. V. vom 31. März 2011. Danach sei eine Integrationshilfe für die Klägerin zum Erlernen und Trainieren der Gebärdensprache angezeigt. Eine Integrationskraft sei dafür ein wesentliches Plus. Denn eine Sprachentwicklung habe bisher nicht stattgefunden, obgleich die Klägerin zunehmend an Kommunikation interessiert sei. Geboten sei ein zeitlicher Umfang an Unterstützung von 16 Stunden wöchentlich.

Mit Bescheid vom 7. Juni 2011 lehnte der Beklagte sowohl das beantragte Persönliche Budget als auch die geltend gemachten Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs ab. Zur Begründung hieß es, ein Persönliches Budget komme...

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