Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertretungstätigkeit als Befristungsgrund. Befristungskontrolle und institutioneller Rechtsmissbrauch. Rechtsmissbrauch bei Dauer und Häufigkeit von Befristungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird eine Befristung zur Vertretung einer in Elternzeit befindlichen Lehrkraft vereinbart, stellt diese Vertretungstätigkeit eine Sachgrund für die Befristung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG dar. Dabei muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung der Vertretungskraft gegeben sein.

2. Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann, wenn ein Sachgrund vorliegt, von der Befristung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet und zudem nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden, es sei denn, die Gesamtdauer übersteigt bereits acht Jahre oder es wurden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart.

 

Normenkette

BEEG § 21 Abs. 1; BGB § 242; TzBfG § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nrn. 2-4; TzBfG § 14 Abs. 2, § 16 S. 1, § 17; KSchG § 7 Hs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 23.06.2022; Aktenzeichen 2 Ca 408/22)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.06.2022, Az. 2 Ca 408/22, wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Vertretungsbefristungsvereinbarung.

Die 1980 geborene Klägerin verfügt über keine formale Lehramtsbefähigung. Sie war zunächst vom 16.10.2017 bis 22.06.2018 an der G. Realschule Plus und seit dem 12.08.2019 - mit Unterbrechungen - an der Berufsbildenden Schule J. in K. eingesetzt. Der erste Vertrag enthielt drei Vertragsänderungen. Im Einzelnen war die Klägerin aufgrund Arbeitsvertrag vom 16.10.2017 (Bl. 4 ff. d. A.), Änderungsvertrag vom 16.14.2017 (Bl. 14 ff. d. A.), Änderungsvertrag vom 13.12.2017 (Bl. 19 ff. d. A.), Änderungsvertrag vom 13.12.2017 (Bl. 24 ff. d A.), Arbeitsvertrag vom 05.08.2019 (Bl. 44 ff. d. A.); Arbeitsvertrag vom 22.01.2020 (Bl. 60 ff. d. A.) und Arbeitsvertrag vom 13.08.2020 (Bl. 29 ff. d. A.) wie folgt beschäftigt:

1. 16.10.2017 bis 22.06.2018 15/27 Lehrerwochenstunden (LWS),

16.12.2017 bis 22.06.2018 5/27 LWS (Stundenänderung)

16.12.2017 bis 22.06.2018 4/27 LWS (Stundenänderung)

16.12.2017 bis 22.06.2018 3/27 LWS (Stundenänderung)

2. 12.08.2019 bis 31.01.2020 12/24 LWS

3. 03.02.2020 bis 16.08.2020 14/24 LWS

4. 17.08.2020 bis 29.08.2021 10/24 LWS.

Mit Arbeitsvertrag vom 29.06./08.07.2021 (Bl. 78 ff. d. A.) stellte das beklagte Land die Klägerin für die J.-(Berufs-)Schule in K. - unter Anwendung des TV-L (Entgeltgruppe 10) ein. § 1 des Arbeitsvertrags der Klägerin lautet auszugsweise wie folgt:

"Frau/Herr A. wird ab 30.08.2021 [...]

(x) als teilzeitbeschäftigte Lehrkraft

(x) mit 41,67 v.H. der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer entsprechenden vollbeschäftigten Lehrkraft befristet eingestellt

[...]

(x) befristet gemäß § 21 BEEG für die Abdeckung von Unterrichtsbedarf infolge der Abwesenheit von Frau/Herrn K.)

bis zu deren / dessen Rückkehr in den Dienst, längstens bis zum 28.01.2022."

Bis Ende März eines jeden Jahres müssen die Schulleitungen der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ihren Personalbedarf in Gestalt von Eintragungen in einen sogenannten "vorläufigen Gliederungsplan" für das kommende Schuljahr anzeigen, der dann Gegenstand einer standortübergreifenden Personalplanung wird.

Studienrat K., der vor seiner Elternzeit ein Stundendeputat von 24/24 LWS hatte, beanspruchte mit Schreiben vom 03.03.2021 (Bl. 172 f. d. A.) Elternzeit vom 30.08.2021 bis zum 31.01.2022. Vor seiner Elternzeit hat er nicht im Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) unterrichtet.

Von der Klägerin wurde im ersten Schulhalbjahr 2021/22 in folgenden Klassen unterrichtet:

BVJS21:

Berufsvorbereitungsjahr mit dem Schwerpunkt Sprache, Modellversuchsklasse bestehend aus geflüchteten Schüler_innen (4/24 LWS)

BVJKP21:

Berufsvorbereitungsjahr mit dem Schwerpunkt Körperpflege (3/24 LWS)

BVJHG-i21:

Berufsvorbereitungsjahr Inklusion mit dem Schwerpunkt Hauswirtschaft und Gartenbau (3/24 LWS)

Mit ihrer am 17.02.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen, dem beklagten Land am 24.02.2022 zugestellten Klage wendet sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Sie hat vorgetragen,

das Vorliegen eines Sachgrundes für die Befristung werde bestritten. Es liege eine unzulässige Kettenbefrist...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge