Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung des Klageantrags im Kündigungsschutzprozess gem. § 4 KSchG. Zugang einer schriftlichen Willenserklärung unter Abwesenden

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Falls der Kündigungsschutzklage stattgegeben wird, steht zugleich fest, dass das Arbeitsverhältnis vor oder bis zu einem bestimmten Termin auch nicht aufgrund irgendeines anderen Umstands sein Ende gefunden hat. Durch den Antrag nach § 4 KSchG ist somit das Begehren auf Feststellung mit umfasst, dass das Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch bestanden hat.

2. Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine schriftliche Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den "gewöhnlichen Verhältnissen" und den "Gepflogenheiten des Verkehrs" zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist.

 

Normenkette

BGB § 130 Abs. 1; KSchG § 4 S. 1; MuSchG § 17; ZPO §§ 286, 138 Abs. 1; KSchG § 7; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 03.12.2020; Aktenzeichen 5 Ca 2886/19)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 03.12.2020, Az. 5 Ca 2886/19, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung, dabei in erster Linie um den Zugang eines Kündigungsschreibens.

Die Klägerin war ab dem 01.08.2019 als Sachbearbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Vom 19.08.2019 bis zum 06.09.2019 war sie arbeitsunfähig erkrankt. Innerhalb dieser Zeit wurde eine Schwangerschaft der Klägerin festgestellt.

Am 02.09.2019 erstellte die Beklagte ein Kündigungsschreiben und gab dieses als an die Klägerin gerichtetes Einschreiben mit Rückschein zur Post. Dieses wurde, nachdem eine Aushändigung an die Klägerin nicht möglich war und eine Abholung nicht erfolgte, an die Beklagte zurückgesendet.

Ob auch ein weiteres Kündigungsschreiben vom 02.09.2019 an diesem Tage erstellt und in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen wurde, steht zwischen den Parteien im Streit.

Am Montag, dem 09.09.2019 erschien die Klägerin wieder zur Arbeit. Als die Klägerin im Betrieb eintraf, war der Schreibtisch, an dem sie bislang gearbeitet hatte, leergeräumt. Ihr wurde, nach etwa 30 Minuten, ein auf den 09.09.2019 unterzeichnetes Kündigungsschreiben überreicht. Außerdem teilte der Geschäftsführer ihr mit, ein weiteres, noch auf dem Postweg befindliches Kündigungsschreiben müsse sie nun nicht mehr abholen.

Mit Schreiben vom 18.09.2019 setzte die Klägerin die Beklagte über die bestehende Schwangerschaft (zu diesem Zeitpunkt 13. Woche) in Kenntnis. Das Schreiben ging der Beklagten am Folgetag zu.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, sie habe außer der Kündigung vom 09.09.2019 keine weitere Kündigung erhalten. Weder am 02.09.2019 noch an einem darauffolgenden Tag habe sich in ihrem Hausbriefkasten ein Kündigungsschreiben befunden. Sie sei an diesem Tag aufgrund ihrer Erkrankung zu Hause gewesen und habe keine Person auf dem Grundstück bemerkt.

Erstinstanzlich hat die Klägerin beantragt,

  1. festzustellen, dass das zwischen ihr und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 09.09.2019, der Klägerin am gleichen Tag zugegangen, zum 23.09.2019 oder einem sonstigen Zeitpunkt aufgelöst worden ist,
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 23.09.2019 hinaus fortbesteht,
  3. die Beklagte zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hierzu hat die Beklagte erstinstanzlich vorgetragen, am Vormittag des 02.09.2019 habe der Vater des Geschäftsführers, Herr G., gemeinsam mit der Mitarbeiterin Frau F. ein Kündigungsschreiben zum Haus der Klägerin gebracht und dort in den Briefkasten eingeworfen. Daher sei das Arbeitsverhältnis bereits aufgrund dieser Kündigung innerhalb der Probezeit beendet worden.

Das Arbeitsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 12.03.2020 die Zeugen E., F., G., H. und I. vernommen. Mit Urteil vom 03.12.2020 hat das Arbeitsgericht Koblenz der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Gericht -zusammengefasst- ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Kündigung vom 09.09.2019 (dies im Hinblick auf § 17 MuSchG) noch durch die Kündigung vom 02.09.2019 beendet worden. Ein Zugang dieser Kündigung sei nicht festzustellen. Die Beweiswürdigung bezüglich des Ein...

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