Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Verfügung auf Unterlassung von Streikmaßnahmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine tarifvertragliche Regelung, die bestimmt, dass bei Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung um Interessenausgleiche und Sozialpläne an die Stelle der Einigungsstelle nach § 76 Abs. 8 BetrVG die tarifliche Schlichtungsstelle tritt, enthält keine Kompetenzregelung, die den Abschluss eines Tarifvertrages über in einem Sozialplan regelbare Inhalte ausschließt.

2. Die §§ 111 ff. BetrVG stellen keine abschließende Regelung dar, die dem Abschluss eines Tarifvertrages entgegen stehen.

3. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, korrigierend in die Höhe einer dem Grunde nach berechtigten Tarifforderung einzuggreifen, solange nicht die Tarifforderung selbst auf ein tariflich nicht regelbares Ziel gerichtet ist.

4. Ein tariflicher Sozialplan kann als zulässige Tarifforderung grundsätzlich auch im Wege eines Streiks erkämpft werden.

5. Dies gilt auch für den Abschluss eines Firmentarifvertrages, selbst, wenn der Arbeitgeber verbandszugehörig ist.

6. Einer Gewerkschaft kann nicht ohne weiteres zugemutet werden, auf eine von ihr angestrebte tarifliche Regelung, über deren rechtliche Zulässigkeit noch keine höchstrichterlichen Erkenntnisse vorliegen und zu der auch von namhaften Rechtswissenschaftlern unterschiedliche Auffassungen mit jeweils guten Gründen vertreten werden, allein deswegen von vornherein zu verzichten, weil die Gefahr besteht, dass die Gerichte später einen von ihrer Rechtsansicht abweichenden Rechtsstandpunkt einnehmen. Eine Unterlassungsverfügung setzt deshalb voraus, dass die Rechtswidrigkeit des Streiks ohne rechtsfortbildende Überlegungen feststellbar ist.

7. Bei Zweifeln über die Rechtmäßigkeit der angestrebten tariflichen Regelung darf von dem äußeren Mittel des Streiks nur in maßvollem Rahmen und vor allem nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn für die Zulässigkeit der tariflichen Regelung sehr beachtliche Gründe sprechen und des weiteren eine endgültige Klärung der Rechtslage anders nicht zu erreichen ist.

 

Normenkette

GG Art. 9; TVG § 2; BetrVG § 111 ff.

 

Verfahrensgang

ArbG Hameln (Urteil vom 07.05.2004; Aktenzeichen 3 Ga 3/04)

 

Tenor

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 07.05.2004, 3 Ga 3/04, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um die Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen, die das Ziel haben, einen Firmen-Tarifvertrag über Qualifizierungsmaßnahmen und Abfindungszahlungen im Falle von betriebsbedingten Kündigungen abzuschließen.

Die Verfügungsklägerin (künftig: Klägerin) ist Mitglied im Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V., Verfügungsbeklagte (künftig: Beklagte) sind die Verwaltungsstelle S… der IG Metall, die Bezirksleitung Hannover für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt der IG Metall sowie die IG Metall.

Die Klägerin ist Teil der US-amerikanischen UTC-Gruppe und beschäftigt in Deutschland ca. 4000 Mitarbeiter. Die Hauptverwaltung und ein Produktionsstandort befinden sich in Berlin. Ein weiterer Produktionsstandort befindet sich in. Hier werden mit ca. 360 Arbeitnehmern Fahrtreppen produziert.

In einem Interessenausgleich von 1999 verpflichtete sich die Klägerin zum Erhalt des Standortes S… Über die Wirksamkeit dieser Betriebsvereinbarung ist vor dem Arbeitsgericht Hameln ein Beschlussverfahren anhängig.

Die Klägerin fasste den Beschluss, ihr Werk in S… zum 31.12.2004 stillzulegen und die Produktion nach B … in der Tschechischen Republik und nach China zu verlagern. Hierüber wurden am 04. März 2004 der Wirtschaftsausschuss und der Betriebsrat informiert.

Mit Schreiben vom 29. März 2004 (Bl.31 d.A.) forderte die Beklagte zu 2) den Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V. auf, für den Betrieb in S… einen Ergänzungstarifvertrag zu vereinbaren, und erhob hierbei folgende Forderungen:

  1. Beschäftigte, die betriebsbedingt gekündigt werden, haben Anspruch auf Qualifizierungsmaßnahmen für bis zu 36 Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung eines Entgeltes in Höhe der bisherigen Vergütung. Die Firma trägt die Kosten der Qualifizierungsmaßnahmen.

    Der Firma bleibt es unbenommen, sämtliche Förderungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit nach dem SGB III in Anspruch zu nehmen.

  2. Zur Milderung der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen Nachteile erhalten die aus Anlass der Betriebsänderung ausscheidenden Beschäftigten eine Abfindung in Höhe von zwei Monatseinkommen pro Beschäftigungsjahr.

    Außerdem wird ein Fonds für Fälle besonderer Härte eingerichtet.

    Die Aufstellung weiterer Forderungen behalten wir uns vor.

Am 06. April 2004 lehnte die Große Tarifkommission des Verbandes der Metallindustriellen Niedersachsens Tarifverhandlungen ab und teilte dies den Beklagten mit Schreiben vom 07. April 2004 (Bl. 35 d.A.) mit.

Mit Schreiben vom 07. April 2004 (Bl. 36, 37 d.A.) forderte die Beklagte zu 2) die Kläger...

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