Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Grundschullehrers wegen Verbreitung antisemitischer Inhalte in einem geheimen Netzwerk. Zulässigkeit des Bestreitens mit „Nichtmehrwissen“

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L müssen sich die Beschäftigten durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen. Ergeben sich aus dem inner- oder außerdienstlichen Verhalten eines Beschäftigten erhebliche Zweifel an dem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, kann sowohl eine außerordentliche als auch eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein.

2. Erhebliche Zweifel an dem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bestehen, wenn ein Grundschullehrer in einem geheimen Netzwerk auf die Verbreitung antisemitischer Inhalte, die den Holocaust massiv anzweifeln, hinwirkt und sich demokratiefeindlich äußert.

3. Eine Erklärung zu eigenen Handlungen mit "Nichtmehrwissen" ist nur dann prozessual erheblich, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie sich nicht mehr erinnern kann, und wenn sie diese Tatsachen auch nicht durch zumutbare Nachforschungen rekonstruieren kann.

 

Normenkette

BGB § 626; TV-L § 3 Abs. 1 S. 2; SchulG MV § 2; SchulG MV § 3; ZPO § 138; PersVG MV §§ 62, 68 Abs. 1 Nr. 2; BPersVG § 128

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 06.10.2021; Aktenzeichen 1 Ca 277/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 06.10.2021 - 1 Ca 277/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung eines Grundschullehrers wegen des Vorwurfs einer mangelnden Verfassungstreue.

Der 1964 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Maschinenschlosser und betreibt seit langem eine Kampfsport-/Kampfkunstschule. Zum 24.04.2015 stellt ihn das beklagte Land als teilzeitbeschäftigten Sportlehrer ein. Der Kläger war zunächst in der Grundschule F. in W. eingesetzt. Von dort wechselte er zur Grundschule D. M. und nahm sodann am 01.08.2016 eine Tätigkeit in der Grundschule L. auf. Die Arbeitsverträge nehmen Bezug auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) in seiner jeweiligen Fassung. Der Kläger bezog zuletzt eine monatliche Vergütung der Entgeltgruppe 10 TV-L in Höhe von € 1.731,24 brutto.

Am 10.12.2020 erhielt das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom Landeskriminalamt Auszüge der Ermittlungsakten zu den Aktivitäten des Klägers in dem Nordkreuz-Netzwerk. Wiedergegeben sind dort verschiedene den Kläger betreffende Chats in der Telegram-Gruppe "NordCom" sowie einzelner Gruppenmitglieder untereinander. Die Gruppe Nordkreuz diente als Informationskanal, die Gruppe NordCom als Diskussionsplattform. Gründer und Administrator dieser Gruppen war Herr M. G., der sich im Chat "Ombre" nennt. Der Kläger nutzte in der Chat-Gruppe die Mobilfunk-Telefonnummer 0173/932XXXX und die Telegram-ID 1979XXXXX. Er war dort unter dem jeweils ersten Teil seines Vor- und seines Nachnamens registriert. Nach den Ermittlungen des Landeskriminalamtes fanden sich in den Chats des Klägers mit Herrn G. sowie der Gruppe NordCom u. a. folgende Posts:

Datum/Uhrzeit

Absender

Empfänger

08.04.2016

L.

Ombre

... R. H. fragt, ob er auch in com aufgenommen werden kann?

Ombre

... Ist der R., den auch S. kennt und der damals mit in Warin war?

09.04.2016

Ombre

S.

... Dein Kumpel R., heißt mit Nachnamen H.?

Ombre

S.

Wollte R. richtig in unsere Gruppe oder nur informativ in Com?

S.

Ombre

nimm ihn mal riner ist gut aufgestellt und ordnet sich ein!

10.04.2016

07:51 Uhr

Ombre

[Kläger]

Moin R., habe gestern deine Mobilnummer von J. erhalten und kann dich nun in unsere Gruppe einfügen. Gib mal bitte dazu kurz Rückmeldung! Gruß, Ombre

12:49 Uhr

[Kläger]

Ombre

Hallo Ombre, das freut mich ja, dass es geklappt hat. Beste Grüße R.

(Ohne Zeitangabe)

[Kläger]

Ombre

Bild einer Frau mit 3 Kindern, die mit einer Pistole zielt, und dem Text:

DIE POLIZEI BRAUCHT MINDESTENS 5 MINUTEN. SIE NUR SEKUNDEN. SELBSTVERTEIDIGUNG IST EIN MENSCHENRECHT.

14.04.2016

20:07 Uhr

Ombre

[Kläger]

SOP KURZFASSUNG DER CHATS

Dieser Chat wurde ins Leben gerufen, um die aktuelle Lage, den aktuellen Sachstand, sowie weiteres Vorgehen, an alle Eingeweihten zu übermitteln.

Dabei ist ein Aspekt von höchster bedeutung. Desto besser die Kommunikation, umso einfacher die Organisation und das Sammeln untereinander am Tag X.

Doch bis dahin gilt für jeden von UNS, so wenig wie möglich aufzufallen. Ziel ist es, diesen Chat, mit so viel vertrauenswürdigen Person wie nur möglich, zu befüllen und somit ein starkes Fundament zu erschaffen.

Dafür gelten folgende Regeln:

Empfangsbereitschaft - Sendeverbot

Keine Untergruppen bilden

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Antrag (bei Chat-Admin)

Prüfung des Kontakt auf Empfehlung (durch ...

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