Entscheidungsstichwort (Thema)

Sexuelle Belästigung als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Unerwünschte Zusendung pornografischer Videos per WhatsApp als sexuelle Belästigung. Entbehrlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die unerwünschte Zusendung pornografischer Videos über einen Messenger-Dienst (WhatsApp) an eine Arbeitskollegin ist als Grund "an sich" geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

2. Unerwünscht ist die Zusendung, wenn dies objektiv erkennbar ist. Wie der Belästiger sein eigenes Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte, ist unerheblich. Eine sexuelle Belästigung ist bereits kraft Gesetzes untersagt; einer ausdrücklichen vorherigen Ablehnung durch die oder den Betroffene/n bedarf es nicht. Es ist Sache des Versenders pornografischer Videos, sich eines Einverständnisses des Empfängers zu versichern.

3. Eine vorherige Abmahnung kann bei einer unerwünschten Zusendung pornografischer Videos entbehrlich sein.

 

Normenkette

BetrVG § 103; BGB § 626 Abs. 1-2; AGG §§ 1, 3 Abs. 3-4, § 7 Abs. 1, 3, § 12 Abs. 3; KSchG § 15 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Entscheidung vom 09.01.2018; Aktenzeichen 4 BV 2/17)

 

Tenor

1. Die Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stralsund vom 09.01.2018 - 4 BV 2/17 - werden zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A.

Die beteiligte Arbeitgeberin begehrt die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden wegen Übersendung pornografischer Videoclips an eine Arbeitskollegin.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) stellt verschiedene Kartoffelprodukte her und beschäftigt in S. etwas mehr als 200 Arbeitnehmer. Der Betriebsrat (Beteiligter zu 2) besteht aus 9 Mitgliedern. Der im Februar 1971 geborene Beteiligte zu 3 nahm am 01.08.1996 bei der Arbeitgeberin eine Beschäftigung als Anlagen- und Mischerfahrer auf. Seit 1997 gehört er dem Betriebsrat an, zeitweise als Ersatzmitglied. Der Beteiligte zu 3 absolvierte eine betriebliche Meisterausbildung und arbeitete zeitweise als Schichtmeister. Im Jahr 2004 übernahm er die Aufgaben des Bereichsleiters Grundproduktion. Seit 2008 ist er als Administrator für sämtliche IT-Anlagen im Betrieb zuständig. Im Zuge der Betriebsratswahl 2014 wurde er zum Vorsitzenden des Betriebsrats gewählt. Eine Freistellung nach § 38 BetrVG erfolgte nicht. Der Beteiligte zu 3 ist Mitglied des Konzernbetriebsrats. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.

Die betroffene Arbeitskollegin, Frau G., geboren im Juli 1961 und somit rund 10 Jahre älter als der Beteiligte zu 3, trat bereits am 01.09.1978 in die Dienste der Arbeitgeberin bzw. ihrer Rechtsvorgänger. Frau G. ist verheiratet; der Ehemann ist ebenfalls bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Mit Gründung des Betriebsrats im Jahr 1990 wurde Frau G. in den Betriebsrat gewählt, dem sie fortan ununterbrochen angehörte. Ab dem Jahr 2002 stellte der Betriebsrat sie zu 50 % ihrer Arbeitszeit für Betriebsratstätigkeiten frei. Im August 2013 wurde bei ihr ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt. Im Jahr 2014 wurde Frau G. zur Vertrauensfrau der Schwerbehinderten gewählt. Ihre Arbeitsaufgabe bestand zuletzt darin, die Einstellung von Auszubildenden für alle Werke des U.-Konzerns in Deutschland zu organisieren.

Frau G. war für den Betriebsrat als Schriftführerin tätig. Sie richtete für die Betriebsratsmitglieder und die Ersatzmitglieder eine WhatsApp-Gruppe ein, um die Kommunikation zu vereinfachen. Der Beteiligte zu 3 wurde Anfang 2016 in die WhatsApp-Gruppe aufgenommen, nachdem er sich ein Smartphone zugelegt hatte. Im September 2016 erhielt er neben Frau G. einen Administratorenzugang für die WhatsApp-Gruppe. In der WhatsApp-Gruppe wurden auch Inhalte mit sexueller Ausrichtung ausgetauscht. Derartige Nachrichten kamen jedoch zu keiner Zeit von Frau G. noch kommentierte sie diese in irgendeiner Weise.

Ende Juni/Anfang Juli 2016 zog der Beteiligte zu 3 auf Anweisung der Arbeitgeberin in das Büro von Frau G., das sie bislang allein genutzt hatte. Schon kurze Zeit später bat Frau G., die aufgrund einer Erkrankung des Kopfes geräuschempfindlich ist und häufig unter starken Kopfschmerzen leidet, die Personalleiterin darum, wieder ein eigenes Büro beziehen zu können. Zu diesem Zweck hatte sie auch Kontakt zum Integrationsfachdienst aufgenommen.

Am 20.10.2016 verunfallte der ebenfalls bei der Arbeitgeberin beschäftigte Ehemann von Frau G. beim Apfelpflücken und musste stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Ab dem 21.10.2016 schickte der Beteiligte zu 3 WhatsApp-Nachrichten direkt an Frau G., zunächst mit lustigen Clips und Bildern. Nach ca. 10 Tagen enthielten seine Nachrichten auch zweideutige Bilder. Ab dem 11.11.2016 sandte er Frau G. verschiedene Nachrichten mit sexuellem Inhalt, die sie jeweils ignorierte und löschte.

Am Montag, 21.11.2016, betrat der Beteiligte zu 3 morgens das gemeinsame Büro und wandte si...

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