Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen der Versäumung der Kündigungserklärungsfrist gem. § 171 Abs. 3 SGB IX bei negativer Gesundheitsprognose

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tatsache, dass es sich bei dem Kündigungsgrund um einen Dauertatbestand handelt, ist bei einer Verletzung der Kündigungserklärungsfrist des § 171 Abs. 3 SGB IX, also bei dem Zugang einer Kündigung mehr als einen Monat nach Zustimmung des Integrationsamtes, unerheblich.

2. Auch wenn eine negative Gesundheitsprognose ein Dauertatbestand sein mag, handelt es sich bei der Zustimmung des Integrationsamtes zum Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung um ein zeitlich punktuelles Ereignis. In analoger Anwendung des § 174 Abs. 5 SGB IX ist daher nach Zugang der Zustimmung des Integrationsamtes die einen Monat währende Kündigungserklärungsfrist aus § 171 Abs. 3 SGB IX auszudehnen bis zum Abschluss eines im öffentlichen Dienst ggfls. notwendigen Mitbestimmungsverfahrens; die Kündigung ist dann aber unverzüglich auszusprechen.

3. Mit dem empfehlenden Beschluss der Einigungsstelle endet das Einigungsstellen- und damit das Mitbestimmungsverfahren im öffentlichen Dienst. Das weitere Verfahren, insbesondere die Entscheidung der Stelle nach § 68 LPVG NW, fällt in den Bereich der Ausübung der Organisations- und Personalhoheit, die allein dem Dienstherrn oder Verwaltungsträger zusteht (hier wie BVerwG v. 17.03.1987 - 6 P 15/85).

 

Normenkette

SGB IX §§ 168, 171 Abs. 3, § 174 Abs. 5; BGB § 121

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 12.12.2018; Aktenzeichen 2 Ca 3797/18)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.12.2018 - 2 Ca 3797/18 - abgeändert:

    1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 17.05.2018 weder zum 31.12.2018 noch zu einem anderen Datum beendet worden ist.
    2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als Verwaltungsangestellten mit einer Wochenarbeitszeit von 25 Stunden und mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 9b Stufe 6 TVöD sowie auch im Übrigen zu den Bedingungen des bisherigen Arbeitsvertrages in seiner zuletzt gültigen Fassung weiter zu beschäftigen.
    3. Im Übrigen wird die Klage
  • II.

    Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

  • III.

    Die Kosten des Rechtsstreits hat zu 1/4 der Kläger zu tragen und zu 3/4 der Beklagte.

  • IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist, die der Beklagte mit einer nach seiner Auffassung gerechtfertigten negativen Gesundheitsprognose begründet.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 12.12.2018 Bezug genommen. Soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung sind auszugsweise die folgenden Daten hervorzuheben:

Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Aus Gründen des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrages ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ordentlich nicht kündbar.

Nach Anhörung des Gesamtpersonalrats, der Gesamtschwerbehindertenvertretung und der bei dem Beklagten so genannte "Stabsstelle Gleichstellung und Gender Mainstreaming" zur Absicht des Beklagten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zu kündigen, erteilte das Integrationsamt auf entsprechenden Antrag des Beklagten am 06.02.2018, im Dezernat 1 des Beklagten eingegangen am 09.02.2018, die Zustimmung zur besagten beabsichtigten Kündigung (Bl. 151 d.A.). Das Integrationsamt gehört organisatorisch zum Dezernat 5 im Hause des Beklagten.

Weil der Gesamtpersonalrat zwischenzeitlich die vom Beklagten begehrte Zustimmung verweigert hatte, tagte die Einigungsstelle mehr als zwei Monate später am 26.04.2018 und endete an diesem Tag nach der zweiten Abstimmung unter Beteiligung des Vorsitzenden mit einem Spruch (Bl. 172), der die Empfehlung zum Gegenstand hatte, die Kündigung möge ausgesprochen werden. Die schriftliche Begründung des Beschlusses der Einigungsstelle ist am 08.05.2018 dem Dezernat 1 des Beklagten zugegangen, nachdem dort bereits am 04.05.2018 das Protokoll der Einigungsstelle eingegangen war.

Der Direktorin des Beklagten wurde durch interne Verfügung vom 09.05.2018 (Anlage B28, Bl. 459 d.A.) die schriftliche Begründung des Einigungsstellenspruchs zugesandt mit der Anfrage, ob sie mit der beabsichtigten Kündigung einverstanden sei. Dieses Einverständnis erteilte die Direktorin des Beklagten nach nochmaliger Beteiligung diverser Gremien und Ansprechpartner mit Verfügung vom 17.05.2018 (Anlage B 29, Bl 460).

Die streitgegenständliche Kündigung ging dem Kläger am 18.05.2018 zu, also mehr als drei Monate nach Zustimmung des Integrationsamtes, 22 Tage nach Spruch der Einigungsstelle, zehn Tage nach Zustellung der Begründung...

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