Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Information durch den Betriebsrat gegenüber der Belegschaft. Verstoß des Betriebsrats gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten durch Rundschreiben. Auflösung des Betriebsrats wegen Missachtung des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Zitat aus rechtsanwaltlichem Schreiben kein Verstoß gegen § 79 Abs. 2 BetrVG. Meinungsfreiheit des Betriebsrats

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bedeutung der Meinungsfreiheit des Betriebsrats bei Abfassung und Versand eines Rundschreibens an die Belegschaft.

 

Normenkette

BetrVG § 2 Abs. 1, § 23 Abs. 1, § 77 Abs. 2 S. 4; GG Art. 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 05.08.2021; Aktenzeichen 1 BV 9/21)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 05.08.2021 - 1 BV 9/21 - abgeändert. Der Antrag der Arbeitgeberin, den in ihrem im Betrieb bestehenden Betriebsrat aufzulösen, wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Arbeitgeberin beantragt die Auflösung des bei ihr bestehenden Rumpfbetriebsrats wegen eines Rundschreibens an die Belegschaft.

Die Arbeitgeberin ist ein Zustellunternehmen mit rund 132 Arbeitnehmern und einem ursprünglich siebenköpfigen Betriebsrat. Sie ist eine Tochtergesellschaft der M GmbH, die unter anderem die A Zeitung sowie die A Nachrichten verlegt. Um die Zustellerinnen und Zusteller zu erreichen, versandte die Arbeitgeberin für den Betriebsrat mehrfach im Jahr das Rundschreiben "Der Betriebsrat informiert".

Am 18.12.2020 legten vier Mitglieder des Betriebsrats, darunter der vormalige Vorsitzende, ihr Amt nieder. Die vier ausgeschiedenen Betriebsratsmitglieder wandten sich mit Schreiben vom 23.12.2020, wegen dessen näheren Inhalts auf Blatt 38 der Akte Bezug genommen wird, an "alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen" der Arbeitgeberin. Darin erhoben sie gegen den derzeitigen Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter ua. den Vorwurf, während der Corona-Pandemie trotz Vorerkrankungen von Betriebsratsmitgliedern auf Präsenzsitzungen bestanden und die gebotenen Hygienemaßnahmen (Handdesinfektion, Tragen einer Atemschutzmaske) nicht eingehalten zu haben. Dies sage, so das Schreiben, "viel über ihre moralische und soziale Kompetenz aus, die (...) gerade bei Betriebsratsmitgliedern sehr hoch angesiedelt sein sollte, entscheiden sie doch im Rahmen des Gesundheitsschutzes auch über eure Gesundheit mit".

Nach der Amtsniederlegung der vier Mitglieder beabsichtigte der Betriebsrat den Versand des nächsten Rundschreibens mitsamt der zuvor abgeschlossenen "Betriebsvereinbarung zur Regelung der Vergütung für Zustellerinnen und Zusteller" (im Folgenden: BV Vergütung) zu verschicken.

In dem Rundschreiben wird zunächst der Rücktritt der vier Betriebsratsmitglieder und deren Schreiben vom 23.12.2020 thematisiert. In dem Schreiben heißt es unter anderem, dass der aktuelle Anlass für den Rücktritt die Weigerung des Geschäftsführers der Arbeitgeberin gewesen sei, aufgrund der verschärften Bedingungen der Corona-Pandemie eine Präsenzsitzung des Betriebsrates zuzulassen. Die von den ehemaligen Betriebsratsmitgliedern in dem Brief vom 23.12.2020 beschriebene Darstellung der Verhältnisse sei verlogen, einseitig und verantwortungslos. Es sei zudem verantwortungslos, die gewählten Mitglieder mit Hilfe des Geschäftsführers "auszubooten". Der seit längerem schwelende Konflikt habe mehrere Ursachen, unter anderem die Inhalte, die Verhandlungen und das Zustandekommen der BV Vergütung, die der ehemalige Vorsitzende im Mai 2020 unterschrieben habe und die nunmehr bei vielen Arbeitnehmern zu großer Verärgerung bei den Abrechnungen führe. Der das Gremium in dieser Sache beratende Rechtsanwalt habe den letzten Entwurf der Betriebsvereinbarung gegenüber dem ehemaligen Vorsitzenden als unzureichend kommentiert, wie sich aus seinem auszugsweise zitierten Schreiben ergebe. In dem Verfahren gegen den Geschäftsführer zur weiteren Nutzung der Sitzungsräume sei eindeutig belegt worden, dass die ehemaligen Betriebsratsmitglieder die Glaubwürdigkeit der Arbeitgeberin mit mehreren Schriftstücken unterstützt hätten. Das Rundschreiben könne erst jetzt verschickt werden, weil der Geschäftsführer ihn, den Betriebsrat, seit Dezember 2020 massiv behindere. Von rechtswidriger Zensur bis zu unsinnigen Vorwürfen hätten die Versuche gereicht, mit denen der Versand habe verhindert werden sollen.

Die Arbeitgeberin verweigerte den Versand des Rundschreibens und untersagte ihn auch dem Betriebsrat unter anderem mit der Begründung, dass das Schreiben gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoße, wahrheitswidrige Behauptungen enthalte und dass die Herausgabe von Betriebsvereinbarungen nicht gestattet sei. Gleichwohl verschickte der Betriebsrat das Rundschreiben, wegen dessen vollständigen Inhalts auf Blatt 12 und 13 der Akte Bezug genommen wird, nebst einer Kopie der benannten Betriebsvereinbarung auf eigene Kosten.

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, der...

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