Entscheidungsstichwort (Thema)

Corona-Erkrankung und Quarantäne als objektives Hindernis zur Erbringung der Arbeitsleistung. Monokausalität i.S.d. § 3 EFZG bei individueller behördlich angeordneter Quarantäne. Schuldhaftes Handeln und Arbeitsunfähigkeit. Kein Verschulden bei Corona-Infektion eines nicht geimpften Arbeitnehmers wegen fehlender Kausalität. Kein Verschuldensmaßstab aus § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG bezüglich der Entgeltfortzahlung. Anzeige und Nachweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein an COVID-19 erkrankter Arbeitnehmer ist infolge Krankheit objektiv an seiner Arbeitsleistung verhindert, wenn er sich in Quarantäne begeben muss, es sei denn, der Arbeitgeber kann von ihm verlangen, im Homeoffice zu arbeiten. Die erforderliche Monokausalität iSv. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist gegeben, wenn die behördlich angeordnete Quarantäne Folge einer Arbeitsunfähigkeit ist.

2. Für den Verschuldensmaßstab des § 3 EFZG ist nicht auf § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG abzustellen.

3. Ein Verschulden iSv. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist nicht anzunehmen, wenn die Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der empfohlenen Schutzimpfung nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können (Verschulden vorliegend vor dem Hintergrund des Infektionsgeschehens Ende Dezember 2021 verneint).

4. Ein vorläufiges Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Fortdauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit anders als durch Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung nachweist.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Arbeitnehmer handelt schuldhaft, wenn er in einem hinreichenden Verschuldensgrad Vorkehrungen unterlässt, durch die seine Arbeitsunfähigkeit vermieden worden wäre. Dazu genügt es nicht, wenn das Unterlassen der gebotenen Handlung - hier der Schutzimpfung - das Risiko des Erfolgseintritts lediglich erhöhte. Ob eine Kausalität anzunehmen ist, hängt stets von der jeweiligen Erkrankung und den Schutzwirkungen der entsprechenden Impfungen ab.

2. Nach § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG erhält eine Entschädigung nicht, wer durch die Inanspruchnahme einer öffentlich empfohlenen Schutzimpfung eine Absonderung hätte vermeiden können. Die gesetzliche Wertung in § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG kann jedoch nicht gleichgesetzt werden mit einem Verschulden i.S.v. § 3 EFZG. § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG stellt eine Ausprägung des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben dar, während das Verschulden nach § 3 Abs. 1 S. 1 EZFG den Verstoß des Arbeitnehmers gegen das Eigeninteresse betrifft.

 

Normenkette

EFZG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 2, § 7 Abs. 1 Nr. 1; IfSG § 56 Abs. 1 S. 4; BGB § 276

 

Verfahrensgang

ArbG Rheine (Entscheidung vom 07.09.2022; Aktenzeichen 3 Ca 530/22)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 07. September 2022 - 3 Ca 530/22 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.019,65 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 01. Februar 2022 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte 88 % und der Kläger 12 % zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte für einen Zeitraum, in dem sich der nicht gegen SARS-CoV-2 geimpfte Kläger aufgrund einer Infektion mit dem Corona-Virus und behördlicher Anordnung in Quarantäne befand.

Der Kläger ist seit dem 01. März 2015 als Produktionsmitarbeiter bei der Beklagten, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (im Folgenden: MTV) Anwendung. Die tägliche Arbeitszeit des Klägers beträgt bei einem Stundenlohn von 17,41 € brutto 7,4 Stunden. Das Arbeitsentgelt ist zum Schluss des Kalendermonats fällig.

Der Kläger wurde am 26. Dezember 2021 bei einer PCR-Testung positiv auf das Corona-Virus getestet. Daraufhin erließ die Gemeinde A mit Schreiben vom 29. Dezember 2021 eine Ordnungsverfügung, wonach gegenüber dem Kläger für mindestens 14 Tage Isolierung (Quarantäne) angeordnet wurde. Die Quarantäne dauerte bis zum Ablauf des 12. Januar 2022. Eine Beschäftigung des Klägers im Home-Office war nicht möglich.

Für die Zeit vom 27. bis zum 31. Dezember 2021 wurde dem Kläger von seinem Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. Der Kläger litt unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen. Die Beklagte leistete für diese Zeit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Für die Zeit vom 03. bis zum 12. Januar 2022 bemühte sich der Kläger um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Eine solche wurde ihm jedoch mit Verweis auf das positive Testergebnis als auch die Absonderungsanordnung nicht ausgestellt, da nach Auffassung des Hausarztes diese Dokumente ausreichten, um eine Arbeitsunfähigkeit nachz...

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