Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. Ausschluss aus dem Betriebsrat. grobe Pflichtverletzung. Beleidigung. Verleumdung des Arbeitgebers. Störung des Betriebsfriedens. Neutralitätspflicht. polemische und überzogene Äußerungen im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung. Grundrecht auf freie Meinungsäußerung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Amtspflichtverletzung eines Betriebsratsmitglieds rechtfertigt allenfalls seinen Ausschluss aus dem Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten. Nur wenn durch die Amtspflichtverletzung zugleich das konkrete Arbeitsverhältnis unmittelbar und erheblich beeinträchtigt wird, ist eine außerordentliche Kündigung zulässig.

2. Aufgrund der sich aus § 74 Abs. 2 BetrVG ergebenden Neutralitätspflicht des Betriebsrats als Organ hat sich zwar der Betriebsrat als Organ jeder Tätigkeit im Arbeitskampf zu enthalten. Ein Betriebsrat bewegt sich aber im Rahmen seiner Aufgabenstellung, wenn er über eine Tarifauseinandersetzung unterrichtet.

3. Eine grobe Pflichtverletzung i.S.v. § 23 Abs. 1 BetrVG liegt dann vor, wenn die Pflichtverletzung objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend ist. Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der betrieblichen Gegebenheiten und des Anlasses der Pflichtverletzung zu beurteilen. Ein grober Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten kann nur dann angenommen werden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die weitere Amtsausübung des Betriebsratsmitglieds untragbar erscheint. Eine grobe Verletzung gesetzlicher Pflichten kann auch bereits bei einem einmaligen schwerwiegenden Verstoß gegeben sein.

 

Normenkette

BetrVG § 23 Abs. 1, § 74 Abs. 2, § 103; KSchG § 15 Abs. 1; BGB § 616 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Beschluss vom 21.08.2008; Aktenzeichen 2 BV 22/08)

 

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 21.08.2008 2 BV 22/08 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

A.

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) sowie um den Ausschluss des Beteiligten zu 3) aus dem Betriebsrat.

Die Arbeitgeberin beschäftigt ca. 900 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in drei Betrieben in B6, M1 und H2, in denen jeweils ein eigenständiger Betriebsrat gewählt ist.

Ferner ist im Unternehmen der Arbeitgeberin ein Gesamtbetriebsrat errichtet, dessen Vorsitzender der Beteiligte zu 3) ist.

Der Beteiligte zu 3), geboren am 06.03.1955, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 1987 ist er als Programmierer in der EDV-Abteilung des Betriebes der Arbeitgeberin in M1 zu einem monatlichen durchschnittlichen Bruttoverdienst von zuletzt 4.508,70 EUR tätig.

Der im Betrieb M1 gebildete Betriebsrat besteht aus neun Personen. Bis Oktober 2008 war der Beteiligte zu 3) freigestellter stellvertretender Betriebsratsvorsitzender; am 21.10.2008 wurde er einstimmig zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt.

Nachdem die Arbeitgeberin, die nicht tarifgebunden ist, Anfang 2005 die im Unternehmen übliche Praxis aufgegeben hatte, die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitarbeiter am Tarifwerk des öffentlichen Dienstes – seinerzeit BAT – zu orientieren, der Abschluss eines Haustarifvertrages mit der Gewerkschaft ver.di jedoch abgelehnt wurde, kam es in den Betrieben der Arbeitgeberin zu Warnstreiks und zu einem Tarifabschluss mit einer Gewerkschaft DHV (Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband im CGB). Weitere Verhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen führten sodann auch zum Abschluss eines Haustarifvertrages zwischen der Arbeitgeberin und der Gewerkschaft ver.di im März 2007. Seither kam es zwischen den Beteiligten zu zahlreichen arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren und Einigungsstellenverfahren, die auch die derzeitige Tarifsituation im Unternehmen der Arbeitgeberin zum Gegenstand hatten.

Gegenstand der Tarifsituation im Unternehmen der Arbeitgeberin war auch ein Schreiben des Konzernbetriebsrats vom 08.05.2008 (Bl. 22 f. d. A.), in dem u. a. das Zusammenwirken der Arbeitgeberin mit dem Verband DHV angesprochen wird. Auf den Inhalt des Schreibens vom 08.05.2008 (Bl. 22 f. d. A.) wird Bezug genommen.

In einem Schreiben vom 14.05.2008 (Bl. 19 f. d. A.), das an die Geschäftsführung der Arbeitgeberin gerichtet war, nahm der Gesamtbetriebsrat zu der aktuellen tariflichen Entwicklung im Unternehmen der Arbeitgeberin Stellung. In diesem Schreiben vom 14.05.2008 heißt es:

„… Zunächst möchten wir Ihnen mittteilen, dass wir die Sorgen der anderen Gremien teilen. Nach dem Beschluss der Kündigung des verdi-Haustarifvertrages in der Landestarifkommissionssitzung verdi am 5.5.2008 ist zu erwarten, dass der neu auszuhandelnde Haustarif 2009 nur unter schwierigen Begleitumständen zu Stande kommen wird. Grund für diese Vermutung ist das gebrochene Verhältnis unserer Geschäftsführun...

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