Entscheidungsstichwort (Thema)

Vermutung. Betriebsbedingte Kündigung in der Insolvenz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Da § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO voraussetzt, dass es sich um eine Betriebsänderung i. S. des § 111 BetrVG handelt, kommt es auch im Rahmen des § 125 InsO zunächst darauf an, inwieweit eine Stilllegung des Betriebs oder eine Betriebsveräußerung geplant waren (wie BAG 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – EzA § 613 a BGB Nr. 210).

2. Für den im Rahmen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vom Insolvenzverwalter zu erbringenden Nachweis einer geplanten Stilllegung des Betriebs reichen u. U. die Kündigung aller Arbeitnehmer und der Entschluss zu einer sog. Ausproduktion nicht aus, wenn es kurze Zeit (hier: circa einen Monat) nach dem Abbruch von Verhandlungen über eine Betriebsveräußerung mit demselben Interessenten doch noch zu einem Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB kommt.

3. Der Arbeitnehmer muss im Kündigungsschutzprozess gegen eine vom Insolvenzverwalter nach Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochene ordentliche Kündigung sowohl die in § 128 Abs. 2 InsO wie die in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO enthaltene Vermutung widerlegen. Hierfür muss er den Vollbeweis erbringen, dass die Kündigung nicht auf § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG i. V. m. § 613 a Abs. 4 Satz 2 BGB gestützt werden kann, sondern nach § 613 a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam ist (wie LAG Hamm 04.06.2002 4 Sa 81/02 – BB 2003, 159 nur L.).

4. Eines gesonderten Anhörungsverfahrens nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bedarf es nicht, wenn in dem Interessenausgleich mit Namensliste zum Ausdruck gebracht ist, dass der Insolvenzverwalter gleichzeitig das Anhörungsverfahren bezüglich der in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer eingeleitet und der Betriebsrat bezüglich dieser Arbeitnehmer eine abschließende Stellungnahme abgegeben hat (wie LAG Hamm 04.06.2002 – 4 Sa 81/02 – a. a. O.).

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2; InsO § 125 Abs. 1, § 128 Abs. 2; BetrVG § 102 Abs. 1, § 111

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Urteil vom 10.07.2002; Aktenzeichen 6 Ca 1831/02v)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers gegen den Beklagten zu 1) wird dasTeil-Urteil desArbeitsgerichts Wuppertal vom10.07.2002 – 6 Ca 1831/02 v – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch die Kündigung des Beklagten zu 1) vom 27.03.2002 aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Feststellungsklage, soweit sie sich gegen die Kündigung des Beklagten zu 1) vom 26.04.2002 richtet, abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung des Klägers gegen den Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.

3. Die Berufung des Klägers gegen die Beklagte zu 2) wird als unzulässig verworfen.

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schluss-Urteil erster Instanz vorbehalten.

5. Die Revision wird für den Beklagten zu 1) zugelassen.

6. Für den Kläger wird die Revision, soweit seine Berufung gegen den Beklagten zu 1) zurückgewiesen worden ist, zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung.

Die Firma S. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in V. wurde im Rahmen der Umstrukturierung der T.- Gruppe im Jahre 1999 gegründet und übernahm danach das im Betrieb der Firma G. GmbH & Co. KG (im Folgenden: G.) vorhandene Personal. Sonstige Vermögenswerte übernahm die Schuldnerin nicht.

Am 14.03.2002 schlossen die Schuldnerin und die Firma G. einen Rahmenvertrag. Dieser sieht vor, dass die Firma G. der Schuldnerin die gesamte Produktion für Eigenprodukte mit Markenzeichen G. aus dem Bereich Schlösser, Beschläge und Zylinder überträgt und die Schuldnerin ihrerseits der Firma G. einmal im Monat die von ihr erbrachten Leistungen zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung stellen soll. Gemäß seinem § 8 kann der Rahmenvertrag von jedem Vertragspartner mit einer ordentlichen Frist von sechs Monaten zum Quartalsende gekündigt werden.

Der am 29.07.1952 geborene, verheiratete Kläger, der Vater eines 18-jährigen, unterhaltsberechtigten Sohnes ist, ist bei der Schuldnerin seit dem 20.11.1989 als Techniker beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen betrug zuletzt durchschnittlich 3.244,– EUR (so der Kläger) bzw. 3.327,74 EUR (so die Beklagte).

Das Amtsgericht Wuppertal eröffnete durch Beschluss vom 01.01.2002 – 145 IN 400/01 – das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Am gleichen Tag wurde durch Beschluss desselben Gerichts – 145 IN 399/01 – das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma G. eröffnet und Herr Rechtsanwalt W. zum Insolvenzverwalter bestellt.

Entsprechend dem Rahmenvertrag vom 14.03.2000 hielten beide Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb zunächst aufrecht. Zu diesem Zweck stellte der Insolvenzverwalter der Firma G. der Schuldnerin das für die Produktion benötigte Rohmaterial sowie die hierzu benötigten Werkzeuge zur Verfügung. Gleichzeitig wurde der Schuldnerin durch die Firma G. gestattet, ...

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