Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung. Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz fehlender wirtschaftlicher Belastung

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch die Einbeziehung psychologischer Faktoren in die Bewertung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ist zulässig.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 13.01.2003; Aktenzeichen WK 7 Ca 33125/02)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Januar 2003 – 7 Ca 28603/02 und WK 7 Ca 33125/02 – teilweise geändert:

Auch die Klage wird abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits werden – bei einem Streitwert von 2.896,71 EUR – 88 % der Klägerin und 12 % der Beklagten auferlegt.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der (seit Juli 1998 als Assistentin des Berliner Niederlassungsleiters der Beklagten beschäftigten) Klägerin durch fristlose Arbeitgeberkündigung am 9. August 2002 beendet worden ist oder ob es, wie in einem Aufhebungsvertrag vom 23. Juli 2002 vorgesehen, bis zum 31. August 2002 fortbestanden hat; sie streiten ferner über einen per Widerklage geltend gemachten Anspruch der Beklagten auf Erstattung von Lohnsteuern. Der Berliner Niederlassungsleiter der Beklagten, Herr Dr. A., einer ihrer wesentlichen technischen Know-how-Träger, hat sein Vertragsverhältnis zur Beklagten zum 30. Juni 2002 gekündigt und ist zur schärfsten Konkurrentin der Beklagten (D. Deutschland GmbH) gewechselt. Nachdem die Beklagte ihm den Zugang zu ihrem EDV-System bereits gesperrt hatte, hat die Klägerin für ihn eine größere Anzahl von Dateien der Beklagten kopiert, darunter Projektlisten mit Kundennamen, Namen der Projektleiter, Projektbeschreibungen und Angebotspreisen, ferner Unternehmensdaten, die im Zusammenhang mit einem (letztlich nicht realisierten) Unternehmensverkauf zusammengestellt worden waren. Hierin sieht die Beklagte den Kündigungsgrund, der es ihr unzumutbar mache, das Arbeitsverhältnis bis zu seinem regulären Ende fortzusetzen. Die Klägerin ist zwischenzeitlich ihrerseits von der D. Deutschland GmbH eingestellt worden und dort wiederum als Assistentin des Dr. A. tätig.

Durch Urteil vom 13. Januar 2003, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen wird (Bl. 144 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht Berlin antragsgemäß

festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 9. August 2002 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 31. August 2002 fortbestand

und die auf Zahlung von 338,00 EUR zzgl. Zinsen gerichtete Widerklage abgewiesen. Ein wichtiger Kündigungsgrund liege nicht vor. Zwar habe die Klägerin Herrn Dr. A. (und damit auch der Konkurrentin D.) vorsätzlich Dateien der Beklagten zugänglich gemacht, an denen die Beklagte ein Geheimhaltungsinteresse gehabt habe. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise sei aber das Arbeitsverhältnis bei Kündigungsausspruch im

Wesentlichen bereits beendet gewesen: Die Klägerin habe den gesamten August Urlaub gehabt, ihr Urlaubsabgeltungsanspruch infolge der Kündigung sei gleich hoch wie der Urlaubsentgeltanspruch ohne die Kündigung; die Gefahr, dass die Klägerin während des bewilligten Urlaubs erkranken könnte (mit der Folge, dass Urlaubsbezahlung und Entgeltfortzahlung kumulativ zu leisten seien), sei nur theoretisch; der Gefahr, dass die Klägerin während des Urlaubs die Geschäftsräume betrete, könne die Beklagte durch ein Hausverbot begegnen. Hiernach sei die Widerklage unbegründet, da die ursprüngliche Augustabrechnung Bestand habe und ein zu geringer Abzug von Lohnsteuern (infolge höherer Besteuerung der Urlaubsabgeltung im Verhältnis zum Urlaubsentgelt) nicht vorliege.

Gegen dieses am 20. Februar 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. März 2003 eingegangene und am 22. April 2003 (Osterdienstag) begründete Berufung der Beklagten.

Die Beklagte wendet sich gegen die Reduzierung des Begriffs der „Unzumutbarkeit” auf wirtschaftliche Gesichtspunkte und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen über die Brisanz der von der Klägerin Herrn Dr. A. zugänglich gemachten Geschäftsgeheimnisse.

Sie beantragt,

unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen und

auf die Widerklage die Klägerin zu verurteilen, an sie 338,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 28.09.2002 zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht sich die Urteilsbegründung zu Eigen und wiederholt, die Beklagte habe nicht dargelegt, weshalb der Inhalt der von ihr weitergegebenen Dokumente geheimhaltungsbedürftig gewesen sei, zumal Herr Dr. A., der immerhin die Forschungsabteilung der Beklagten geleitet habe, sie ohnehin weitgehend im Kopf gehabt habe. Sie, die Klägerin, habe allenfalls fahrlässig gehandelt, weshalb eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung n...

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