Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung eines Arbeitnehmerüberlassungsverhältnisses nicht alleine anhand von Einzelanweisungen des Verleihers. Geltung des § 9 Nr. 1 AÜG für Arbeitnehmerüberlassungsverträge in Deutschland mit ausländischem Recht. Bestand des Arbeitnehmerüberlassungsverhältnisses bei fehlender behördlicher Genehmigung. Keine Verwirkung der Klagerechts bei Klageerhebung fast fünf Jahre nach Vertragsbeginn

 

Leitsatz (amtlich)

1. Arbeitet eine Leiharbeitnehmerin, die von einem ausländischen Verleiher entsandt wurde, in Deutschland für den Entleiher, so gilt für die Rechtsbeziehungen zwischen der Leiharbeitnehmerin und dem Entleiher gemäß Art. 8 Abs. 2 VO EG 593/2008 (Rom I) deutsches Recht.

2. Eine Arbeitnehmerüberlassung kann sich auch aus den mit dem Verleiher vereinbarten und den von dem Entleiher übertragenen Aufgaben der Leiharbeitnehmerin ergeben. Es bedarf daher nicht in jedem Fall der Darlegung von Einzelanweisungen, um eine Arbeitnehmerüberlassung feststellen zu können.

3. § 9 Nr. 1 AÜG ist eine zwingende Eingriffsnorm im Sinne des Art. 9 Abs. 1 VO EG 593/2008. Im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung ohne behördliche Erlaubnis ist der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmerin innerhalb des Geltungsbereichs der Norm (in Deutschland) auch dann unwirksam, wenn für diesen Vertrag kraft Rechtswahl ausländisches Recht gilt. Außerhalb des Geltungsbereichs der Norm richtet sich die Wirksamkeit des Vertrags nach dem gewählten Recht.

4. Auch wenn im Fall einer Arbeitnehmerüberlassung ohne behördliche Erlaubnis das Vertragsverhältnis von Verleiher und Leiharbeitnehmerin kraft des gewählten Rechts im Ausland wirksam bleibt, gilt gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und der Leiharbeitnehmerin als zu Stande gekommen.

 

Normenkette

EGV 593/2008; AÜG § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1; BGB § 242; ArbGG § 72 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 23.01.2020; Aktenzeichen 8 Ca 194/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.04.2022; Aktenzeichen 9 AZR 228/21)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2020 (8 Ca 194/19) teilweise abgeändert.

    1. Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem 01. Oktober 2014 zumindest bis zum 23. Januar 2020 ein Arbeitsverhältnis bestand.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 91.043,25 Euro brutto abzüglich 66.500,00 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 1.291,75 Euro ab dem 04.11.2014, dem 02.12.2014, dem 03.01.2015, dem 03.02.2015, dem 03.03.2015, dem 02.04.2015, dem 05.05.2015, dem 02.06.2015, dem 02.07.2015, dem 04.08.2015, dem 02.09.2015, dem 02.10.2015, dem 03.11.2015, dem 02.12.2015, dem 05.01.2016, dem 02.02.2016, dem 02.03.2016, dem 02.04.2016 und dem 03.05.2016 zu zahlen.
    3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.628,05 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 27.07.2019 zu zahlen.
    4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.428,86 Euro brutto abzüglich 6.108,98 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz wie folgt zu zahlen:

      • -

        aus 1.304,55 Euro ab dem 02.10.2019

      • -

        aus 2.985,69 Euro ab dem 05.11.2019

      • -

        aus 3.043,95 Euro ab dem 03.12.2019 und

      • -

        aus 2.985,69 Euro ab dem 03.01.2020.

    5. Es werden abgewiesen:

      • -

        der Klagantrag Nr. 2, soweit Auskunft für den Zeitraum 01. Oktober 2014 bis 31. Dezember 2019 verlangt wird

      • -

        der Klagantrag Nr. 3, soweit ihm nicht unter c) stattgegeben wird

      • -

        der Klagantrag Nr. 4

      • -

        die Klaganträge Nrn. 6 bis 24, soweit ihnen nicht unter b) stattgegeben wird

      • -

        die Klaganträge Nrn. 25 bis 64

      • -

        die Klaganträge Nrn. 65 bis 68, soweit ihnen nicht unter d) stattgegeben wird.

  2. In Bezug auf die abgewiesenen Teile der Klage (1 e) wird die weitergehende Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
  3. Die Anschlussberufung der Beklagten wird als unzulässig verworfen.
  4. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
  5. Die Revision wird zugelassen, soweit der Klage stattgegeben wird. Darüber hinaus wird die Revision nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Klägerin macht im vorliegenden Verfahren auf der Grundlage einer von ihr vorgetragenen illegalen Arbeitnehmerüberlassung an die Beklagte Folgendes geltend:

- Bestand eines Arbeitsverhältnisses der Parteien seit dem 01. Oktober 2014

- Überstundenvergütung für den Zeitraum Oktober 2014 bis April 2016 in Höhe von insgesamt 30.494,48 Euro brutto

- Ausgleich Wegezeiten (170,2 Stunden): 5.933,17 Euro brutto

- Differenzvergütung (Teilklage)

- für den Zeitraum Oktober 2014 bis April 2016 (gearbeitet - Klaganträge Nrn. 6 bis 24): 114.826,50 Euro brutto ./. 53.360,98 Euro netto

- für den Zeitraum Mai 2016 bis 17. September 2019 (erstinstanzlicher Gütetermin) (nicht gearbeitet - Klaganträge Nrn. 25 bis 65): 245.193,43 Euro brutto ./. 103.955,01 Euro netto

- für den Zeitraum 18. September 2019 bis Dezember 2019 (nicht gearbeitet - Klaganträge Nrn. 65 bis 68): 20.720,57 Euro brutto ./. 6....

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